Am Anfang war der Majdan

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Tatiana Zhurzhenko2017

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Geschrieben von Hera Shokohi

Bei te.ma veröffentlicht 01.02.2023

te.ma DOI 10.57964/a2s6-2a84

Geschrieben von Hera Shokohi
Bei te.ma veröffentlicht 01.02.2023
te.ma DOI 10.57964/a2s6-2a84

Die Majdan-Revolution von 2013/14 fand schnell Einzug in das kollektive Gedächtnis der Ukraine. Vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen des Majdan kam es zu einer Neubewertung der Vergangenheit des Landes. Tatiana Zhurzhenko untersucht, inwiefern verschiedene politische Akteure den Majdan in ihre erinnerungskulturellen Narrative einbeziehen.

2017 jährte sich die Oktoberrevolution zum 100. Mal. In der Ukraine sei die Erinnerung an die revolutionären Jahre vor allem von der Geschichte der ukrainischen Staatsbildungsversuche von 1917-1921 geprägt, so die Politikwissenschaftlerin Tatiana Zhurzhenko. Die Revolutionen wie die verhinderte Staatsgründung zwischen 1917-1921 haben laut der Autorin zwar ihre Ziele verfehlt, konnten aber dennoch den Grundstein für eine moderne politische Nation Ukraine legen. 

Die Ereignisse des Majdans 2004 und 2013/14 hätten zu einer neuen Interpretation der sowjetisch-ukrainischen Geschichte geführt. Zhurzhenko argumentiert, dass die Majdan-Proteste dazu führten, dass die Geschichte der Ukraine sich vor allem als Geschichte der Revolutionen und nationalen Befreiungsbewegungen lesen lässt. Im Kreml wird der Blick auf die Geschichte des Nachbarlandes auf das komplette Gegenteil gelenkt: Statt einer Geschichte in der Tradition der Revolutionen werden die gescheiterten Versuche zur Staatsgründung akzentuiert, so Zhurzhenko.

Die ukrainische Regierung und das Ukrainische Institut für Nationales Gedenken wiederum haben die Majdan-Revolution und die kontinuierliche russische Aggression (Annexion der Krim, Krieg in der Ostukraine) schon längst in ein erinnerungskulturelles Narrativ russischer Aggression und ukrainischer (Selbst-)Verteidigung eingebettet. Zugleich findet eine Dekommunisierung in der Ukraine statt: Ab 2015 sind sowjetische Symbole (wie zum Beispiel Denkmäler) verboten. Zhurzhenko sieht dies als einen finalen Akt der Dekolonisierung an. Außerhalb dieses staatlichen Kanons bleibt das Erbe des Majdans umstritten: Sowohl linke politische Gruppen als auch Nationalisten vereinnahmen ihn als Teil ihrer Bewegung.

Obwohl politische Akteure und Eliten in der Ukraine den Majdan mit den ukrainischen Staatsgründungsversuchen von 1917-1921 verknüpfen wollen, spielen letztere kaum eine Rolle im kollektiven Gedächtnis der Zivilgesellschaft: Die ukrainische Gesellschaft habe keine emotionale Verbindung zu den Jahren 1917-1921, so Zhurzhenko. Die Majdan-Revolution habe allerdings dazu geführt, dass große Teile der Gesellschaft begannen, ehemalige sowjetische Denkmäler als Symbole der Fremdherrschaft zu sehen – als Zeichen des Sowjetimperiums, von Putins anti-ukrainischer Politik oder auch als Symbole für Janukowitschs prorussisches Regime.

Zhurzhenko schreibt, dass der Majdan auch ohne den Bezug zu den Jahren 1917-1921 zu einer lebendigen Zivilgesellschaft und einer konsolidierten nationalen Identität in der Ukraine geführt habe. Diese Identität habe sich vor allem durch den Druck äußerer Aggression durch die russische Politik ausgebildet. Die Idee der ukrainischen Unabhängigkeit und Staatlichkeit sei vollständig im Bewusstsein der Gesellschaft verwurzelt.

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