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Optimieren zu Lasten des Klimas: wie KI uns in die falsche Richtung lenkt

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Orit Halpern2020
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Optimieren zu Lasten des Klimas: wie KI uns in die falsche Richtung lenkt

»Planetary Intelligence«

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Geschrieben von Paul Schütze

Bei te.ma veröffentlicht 05.10.2023

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/ks08-5p54

Geschrieben von Paul Schütze
Bei te.ma veröffentlicht 05.10.2023
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/ks08-5p54

Welche grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen bringen KI-Technologien mit sich und wie wirken sich diese auf die Klimakrise aus? Orit Halpern zeigt in ihrem Text, dass sich sowohl unser Denken als auch Handeln in einer Transformation befinden – mit schwerwiegenden Folgen für den Planeten.

Die Risiken und Chancen von künstlicher Intelligenz (KI) für die Bewältigung der Klimakrise werden vielfach besprochen: vom Energieverbrauch der Datenzentren über die Anwendung maschinellen Lernens zur Effizienzsteigerung verschiedenster Infrastrukturen1 bis zu den Potenzialen von prädiktiven Algorithmen für Klimavorhersagen. Selten wird hingegen diskutiert, ob und wie der KI-Boom die gesellschaftliche Wahrnehmung der Klimakrise beeinflusst. 

Genau dieser Frage widmet sich Orit Halpern in ihrem Text. Sie vertritt die These, dass jeder Aspekt des Lebens in europäischen und anglophonen Gesellschaften zunehmend dem Imperativ unterliegt, „smarter“, vernetzter und stetig optimiert zu werden.

Besonders die letzten Jahre haben der Autorin zufolge gezeigt, dass Datenanalyse, Automatisierung und KI zu fundamentalen Bestandteilen der gesellschaftlichen Organisation geworden sind: Krankheitsmuster werden mittels Datenanalyse vorhergesagt, die Forschung zur Behandlungen von Krankheiten und Impfstoffen wird durch maschinelles Lernen beschleunigt und Kontakte auf Social Media und Dienstleistungen auf Online-Plattformen werden durch Algorithmen vermittelt. Die KI-Anwendungen, die dabei zum Einsatz kommen, sollen immer smarter werden: immer mehr Daten, immer besser vernetzte Systeme, immer genauere Vorhersagen. Zur Bezeichnung dieses Umstands führt Halpern den Begriff des „smartness mandate“ ein. 

Dieses betrifft vor allem europäische und anglophone Gesellschaften und hat zunächst materielle Auswirkungen auf andere Teile der Erde. Am Beispiel der Atacama-Wüste in Chile schildert sie, wie dort für die Hardware von KI dringend notwendige Ressourcen abgebaut werden, wie etwa Kupfer oder Seltene Erden wie Lithium. Ganze Landstriche werden dabei verwüstet und ausgebeutet. Auf einer Seite des Planeten, in der Atacama-Wüste, werden riesige Bergwerke gebaut, um auf der anderen Seite Datenzentren und Algorithmen zu speisen.

Halpern weist darauf hin, dass sich gleichzeitig mit dem Abbau von Ressourcen in der Wüste ein soziokultureller Wandel in den europäischen und anglophonen Gesellschaften vollzieht: Während es einst nur darum gegangen sei, Ressourcen abzubauen, werde nun alles daran gesetzt, den Abbau zu perfektionieren. Denn die Ressourcen seien endlich: So gehe beispielsweise das Wasser für die Förderung der Erdmetalle zur Neige, ebenso wie die Erdmetalle selbst. Soll aber weiterhin Hardware für die Algorithmen produziert werden, darf die Extraktion nicht enden. 

Mithilfe von KI-Technologien werde nun versucht, die letzten und kleinsten Vorkommen von z.B. Lithium zu finden und den Wasserverbrauch auf den letzten Tropfen zu reduzieren. Neueste Algorithmen und mathematische Modelle sollen es durch permanentes Feedback von tausenden Sensoren ermöglichen, feinste Vorhersagen und Entscheidungen zu treffen, wie in den Bergwerken am besten gelüftet, gegraben, entsorgt und gesäubert werden kann.  So werde nicht mehr über das Ende der Ressourcen und der Extraktion verhandelt, sondern es werde hinausgezögert, um möglichst lange weiter extrahieren zu können. Die materielle Ausschöpfung im Sinne des smartness mandate gehe immer weiter, getrieben durch stetige Optimierung. Halpern zufolge verändert KI die Debatte rund um die Ausschöpfung der planetaren Grenzen: von den vormals endlichen Ressourcen hin zum sich stetig optimierenden Horizont.

Der Text zeichnet das Bild einer Welt, in der KI-Technologien eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von Krisen und der nachhaltigen Verwaltung von Ressourcen einnehmen. Sie verändern die gesellschaftliche Perspektive auf die Zukunft und beeinflussen entsprechend die Reaktionen auf die Klimakrise. Die Utopie, dass endliche Ressourcen auf unendliche Horizonte ausgedehnt werden könnten, steht paradigmatisch für den weitreichenden Einfluss von KI und die daraus abgeleitete Hoffnung, dass es mit dem smartness mandate und fortwährender Optimierung  immer so weitergehen könne.

Halpern zeigt uns, dass der Diskurs um KI und die Klimakrise sich nicht nur um einzelne Chancen oder Risiken drehen sollte. Immer müssen auch größere gesellschaftliche und globale Fragen mitdiskutiert werden: Wie soll es im Angesicht der Klimakrise weitergehen? Wollen wir ein Weiter-so, ermöglicht und optimiert durch KI? Oder ist es Zeit, umzudenken und sich bewusst zu machen, welche Mechanismen hinter dem Einsatz von KI-Technologien verborgen liegen? 

Fußnoten
1

Eine Effizienzsteigerung mithilfe von KI wird z.B. in der Wasserversorgung, Verkehrsplanung und Stromverteilung versucht zu erzielen.

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