Die Forderungen des Globalen Südens

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Die Forderungen des Globalen Südens

»Global South revives non-alignment in wake of Ukraine war«

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Geschrieben von Alexandra Sitenko

Bei te.ma veröffentlicht 21.11.2022

Geschrieben von Alexandra Sitenko
Bei te.ma veröffentlicht 21.11.2022

Während die Position des Westens bzw. des Globalen Nordens im Ukraine-Krieg eindeutig ist, kann man das nicht über die Länder des Globalen Südens behaupten. In seinem Kommentar beschreibt der südafrikanische Friedensforscher Adekeye Adebajo von der Universität Pretoria die ambivalente Reaktion des Globalen Südens auf den russischen Überfall auf die Ukraine und erläutert, warum diese Länder sich für eine erneute Blockfreiheit entscheiden.

In zunehmendem Maße wurde in Politik und Forschung in den letzten Monaten wahrgenommen, dass die westliche Antwort auf den russischen Angriff auf die Ukraine inklusive Waffenlieferungen an Kiew und Sanktionen gegen Moskau nicht überall auf der Welt mitgetragen wird. Auch die im Westen vorherrschende Wahrnehmung eines „Epochenbruchs“ wird im Globalen Süden nicht geteilt.1 

Adekeye Adebajo sieht diese Haltung unter anderem in der tief sitzenden Skepsis gegenüber westlicher Inkonsequenz bei der Bewertung militärischer Interventionen begründet. Als Beispiel erwähnt er die von den USA angeführte Invasion im Irak im Jahr 2003, die ohne Genehmigung des UN-Sicherheitsrats durchgeführt wurde. Hinzu kommt die kollektive Frustration aufgrund der jahrzehntelangen westlichen Untätigkeit bei der Reform der internationalen Handelspolitik2 oder der Global Governance, so dass diese den Interessen des Globalen Südens stärker Rechnung tragen. Ihre Interessen versuchen die Staaten des Südens zu wahren, indem sie sich für eine erneute Blockfreiheit entscheiden und sich nicht in Großmachtrivalitäten verwickeln lassen.

Eine Ähnlichkeit zwischen der einstigen und heutigen Blockfreiheit sieht Adebajo in der „positiven“ statt einfach nur passiven Neutralität, die sich im Streben des Südens äußert, Institutionen der Weltordnungspolitik zu stärken. Südafrika war beispielsweise 1998 Gastgeber des Gipfels der Bewegung der Blockfreien Staaten und hat sich auch während des Ukraine-Konflikts für die strategische Blockfreiheit eingesetzt, indem es für eine friedliche Lösung eintrat und sich gleichzeitig weigerte, seine Brics-Verbündeten zu sanktionieren.3 

Adebajo erinnert daran, dass China, Indien, Indonesien, Südafrika, Äthiopien, Algerien, Brasilien und Mexiko, die einen Großteil der Weltbevölkerung repräsentieren, eine blockfreie Haltung zum Ukraine-Konflikt eingenommen haben, wobei viele auch die russische Interpretation zu akzeptieren scheinen, dass sich Moskau durch die Nato-Osterweiterung eingekreist fühlte.

Besonders verärgert sind laut dem Autor viele im Globalen Süden über die Einteilung der Welt in gute Demokratien und böse Autokratien, wie diese von Joe Biden kürzlich vorgenommen wurde. Genau aus diesem Grund hätten die meisten lateinamerikanischen Staaten die Warnungen Washingtons ignoriert, keine Geschäfte mit China zu betreiben.

Schließlich verweist der Autor darauf, dass Prognosen zufolge China, Indien und die USA bis 2050 die drei größten Volkswirtschaften der Welt sein werden. Bereits heute wird mehr internationaler Handel über den Pazifik als über den Atlantik abgewickelt. Trotz der Rückkehr der Geopolitik nach Europa verschiebt sich die Zukunft der internationalen Beziehungen, laut Adebajo, schrittweise von Europa nach Asien.4 Daraus kann man ableiten, dass eine militärische Auseinandersetzung in Europa für den Globalen Süden nicht den geopolitischen Stellenwert besitzt, der eine eindeutige politische Positionierung erfordert.

Fußnoten
4

Johannes Plagemann: Die Ukraine-Krise im globalen Süden: Kein „Epochenbruch. In: GIGA Fokus Global. Nr. 2, April 2022.

Wie der Globale Norden sich nach wie vor an den ökologischen und sozialen Ressourcen des Globalen Südens bedient, zeigen Ulrich Brand und Markus Wissen: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. Oekom Verlag, München 2017, ISBN 978-3-86581-843-0.

Für ausführlichere Details zur Position Südafrikas im Ukraine-Krieg siehe Elizabeth Sidiropoulos: How do Global South politics of non-alignment and solidarity explain South Africa’s position on Ukraine? In: Brookings. 02. August 2022, abgerufen am 14. November 2022.

Diesen Schluss erlaubt auch der im März 2022 veröffentlichte europäische Strategische Kompass für Sicherheit und Verteidigung. Darin steht, dass ein neues Zentrum des globalen Wettbewerbs im indopazifischen Raum entstanden sei (S. 10).

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Die Blockfreiheit war ein Ansatz, den die neuen unabhängigen Entwicklungsländer seit den 1950er Jahren verfolgten, um in den Stellvertreterkriegen des Kalten Krieges ein Gleichgewicht zwischen Ost und West zu finden. Die Bandung-Konferenz von 1955 forderte die Entwicklungsländer auf, auf kollektive Verteidigungsvereinbarungen mit Großmächten zu verzichten, während die inzwischen 120 Mitglieder zählende Bewegung der Blockfreien Staaten ihre Mitglieder aufforderte, Militärbündnisse wie die Nato zu meiden.

Im September 1998 fand im südafrikanischen Durban das Gipfeltreffen der Blockfreien Staaten statt, bei dem Nelson Mandela im Mittelpunkt stand und Staatsoberhäupter wie Fidel Castro, Jassir Arafat, Robert Mugabe und Muammar Gaddafi anwesend waren.

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