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Das Interview ist in seinen vorsichtigen Abwägungen sehr bereichernd zu lesen, vielen Dank dafür.

Nicht ganz überzeugt hat mich die abschließende These, wo unterschieden wird zwischen einer Wissenschaft, die das breite historische Material kritisch prüft und zu abwägenden und differenzierenden Betrachtungen gelangt - und Forschungen (die sind es doch bei Snyder, oder?) bzw. Positionen, die zugespitzte Thesen und einzelne Narrative entwickeln wollen. Ich denke, dass der Unterschied selbst hier überspitzt dargestellt wird. Denn historische Wissenschaft selbst geht zunächst schon von bestimmten Grundannahmen aus, von theoretischen Überzeugungen, leitenden Konzepten. Teilweise, gerade in der neueren und neuesten Geschichte, ist das geradezu eine Notwendigkeit, um angesichts der Materialfülle die Quellenauswahl zu begründen etc. Damit werden Perspektiven gewählt, die immer auch hätten anders gewählt werden können. Das scheint mir aber auch zu implizieren, dass das eigene historische Urteil immer von bestimmten theoretischen Voraussetzungen abhängig ist, die eben begründen, warum eine Person eine Perspektive bevorzugt und eine andere Person eine zweite Perspektive. Wohlgemerkt: Ich möchte damit keinen harten Relativismus verteidigen. Zweifelsohne gibt es gute Gründe dafür, bestimmte Positionen als überzogen, einseitig etc. zu kritisieren, wie gerade die Debatte um Krone-Schmalz in den letzten Tagen zeigt. Mein Punkt ist nur der, dass ich fand, die “Gegenseite” wurde hier zu objektivistisch gezeichnet: Auch die abwägende Historikerin, die offen für Gegenargumente, für Komplexitäten und Mehrdeutigkeiten ist, geht von bestimmten theoretischen Voraussetzungen aus, entscheidet sich für bestimmte Perspektiven und damit für Narrative. Der “abgewogene Befund” ist nach meiner Überzeugung immer einer, der alternative, argumentativ ähnlich gut gestützte argumentative Befunde zulässt.

Diskussionen
5 Kommentare
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Diesem Argument kann ich in seiner Grundsätzlichkeit nur zustimmen. Inzwischen gibt es erfreulichen Anlass, die These vom Ende des Interviews in Teilen zu revidieren. Gestern haben Franziska Davies und Ekaterina Makhotina für Ihr Buch “Offene Wunden Osteuropas”, das die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg im östlichen Europa einfühlsam kartiert, den Bayerischen Buchpreis 2022 erhalten. Damit gibt es preisgekröntes und in der breiten medialen Öffentlichkeit stehendes Buch aus der Osteuropäischen Geschichte, an dessen wissenschaftlicher Qualität kein Zweifel herrscht. Die behauptete Differenz zwischen ausgewogener Wissenschaft und zugespitztem medialen Erfolg ist damit widerlegt. Hoffentlich wird es weitere Beispiele geben.

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Ja, ein wichtiger Erfolg! Und vielleicht in der Tat ein kleiner Schritt, um das Problem der Zuspitzung, Verknappung und oft genug Verfälschung von Gehalt beim Übergang vom wissenschaftlichen in den öffentlich-medialen Diskurs zu bewältigen. Auch wenn ich fürchte, dass grundlegende mediale Selektionsdynamiken das auch weiter nicht leicht machen werden.

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@JohannesMüller-Salo: Hier wollte ich nur kurz an einer Stelle einhaken: „abgewogener Befund“ finde ich einen sehr vielversprechenden Ausdruck. Meistens sagt man ja „ausgewogen“ und läuft damit gleich Gefahr, einer Balanciertheit oder Parität das Wort zu reden. Dabei kann es ganz unterschiedliche Proportionalitäten geben, etwa so, dass die Gegenargumente sehr viel leichter wiegen als die eigenen, aber eben doch etwas wiegen. Das Ausgewogene kann kaum in so einer Weise disbalanciert sein; das Abgewogene schon. 

 

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