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Politisch hyperkorrekt?

Gendergerechte Sprache?
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Ich muss ja zugeben, die Kritiker*innen der gendergerechten Sprache haben in mancherlei Hinsicht irgendwie Recht. Immer wieder höre ich in meinem Umfeld gegenderte Formen, die mir nicht recht einleuchten wollen. Halbpolemisch schrieb jemand über „Arschlöcher*innen“. Wohlmeinende Menschen sprechen auf jeden Fall des Öfteren von „Mitglieder*innen“. Auch „Vormünder*innen“ drang schon an meine Ohren. Alles in allem: Schade um die schöne Grammatik, völlig dem verkorksten epizönen Korrektorat anheimgefallen. Oder?

Eine voreilige Schlussfolgerung. Denn was passiert da eigentlich? Was vehemente Gegner*innen des Genderns unterstellen, so scheint es mir zumindest, ist ein Verfall, also eine Auflösung von grammatikalischer Regelhaftigkeit, ob durch einen vollumfänglichen Verlust struktureller Muster oder aber eine Regulierung ad absurdum à la „Salzstreuer(*)innen“ (ein Scherz, den es schon lange vor der Gendersternzeit gab und der auch vor 30 Jahren schon müde war).

Aber der Fehler, nennen wir ihn provisorisch mal so, ist meines Erachtens kein Zeichen eines Verlusts oder gar einer Übertünchung oder Ausmerzung von Altem. Er zeigt viel mehr, dass bei Menschen, die sich an ihre Gruppe mit „Liebe Mitglieder*innen“ wenden, eine Erweiterung der Grammatik stattgefunden hat. Sie haben eine neue Regel dazugelernt. Um das besser zu verstehen, ist es hilfreich, die Struktur zu kennen, mit der die Linguistik viele solcher Regeln erfasst. Drei Komponenten sind dabei wichtig: der Input (das Ursprüngliche, das verändert wird), der Output (das Ergebnis der Veränderung), und der Kontext (die Umgebung, in der Veränderung stattfindet). Schauen wir uns diese Komponenten doch im einzelnen mal genauer an.

Zunächst der Input: Bei einem Prozess wie der Movierung, also dem Spezifizieren von Gender über Wortendungen, ist dies einfach eine Personenbezeichnung. Nehmen wir als Beispiel jemanden Kaufinteressiertes. Ist er ein Mann, nennen wir ihn Kunde.  Damit haben wir ein (je nach Sichtweise) nicht-generisches oder pseudo-generisches Nomen. Ist die kaufinteressierte Person nicht-männlich, möchten wir dem vielleicht sprachlich Rechnung tragen.

Dies tun wir mit dem Output des Prozesses, nämlich einer neuen, sprachlich komplexeren Form, die dem auszudrückenden Gender ein hör- oder lesbares Sprachsignal zuweist. Im Deutschen verwenden wir dabei für Personen weiblichen Geschlechts vorwiegend die Endung -in. Für genderneutrale Formen gibt es aktuell viele Varianten, die diskutiert werden. Stellvertretend und hierarchielos nehmen wir hier mal das -*in (gesprochen /ʔɪn/). Genau wie sein feminines Gegenstück wird es hinten an den Stamm der Personenbezeichnung angehängt. Der Output ist dann bei unserem Beispiel „Kundin“ für eine Frau oder „Kund*in“ für eine nicht-binäre Person oder jemanden unbestimmten Geschlechts. So weit, so gut, so einfach. Wo also schlägt die Movierung über die Stränge?

Viele Personenbezeichnungen referieren auf Tätigkeiten, die Menschen ausführen – und diese werden häufig über Verben ausgedrückt: „verkaufen“, „fahren“, „singen“. Aus dem Wortstamm des Verbs (oder einer eng verwandten Formvariante) bilden wir dann zur Bezeichnung einer Person, die die Handlung ausübt, oft ein sogenanntes Agensnomen. Meist machen wir dies über Endungen. Die geläufigste Endung dafür ist das -er. So erhalten wir „Verkäufer, „Fahrer und „Sänger“. Endungslose Formen wie „Koch“, „Steinmetz“ oder eben „Kunde“ sind im Deutschen nämlich eher die Ausnahme, und diese Strategie wird auch nicht mehr zur Bildung neuer Wörter gebraucht. 

Aus historischen Gründen bildet die Endung -er in ihrer simpelsten Form Maskulina – sie ist (vermutlich) schon zu urgermanischen Zeiten als *-ārijaz aus dem Lateinischen entlehnt worden, wo die Endung -ārius lautete (vgl. heutige lateinstämmige Worte wie „Konsiliarius“). Ursprünglich war sie im Lateinischen nicht nur für die Auszeichnung handelnder Personen zuständig, sondern bezeichnete eine generelle Zugehörigkeit zu etwas. Sie war in ihrer Wortstammwahl nicht auf Verben beschränkt und konnte sowohl Nomen als auch Adjektive bilden. Entsprechend gab es sie auch im Femininum auf -āria und im Neutrum auf -ārium (man denke an Aquarium zu aqua „Wasser“), und das ohne große Umschweife in der Wortstruktur. Im Germanischen aber wurde sie in ihrer semantischen Multifunktionalität eingeschränkt in die größte Klasse der Maskulina eingepasst, die der Wörter auf -az, zu denen beispielsweise auch Berg (*bergaz), Finger (*fingraz) oder Wolf (*wulfaz) gehören. Knappe 1700 Jahre später hat sich die kleine maskuline Silbe, mittlerweile von *-ārijaz auf -er geschrumpft, massiv im deutschen Vokabular verankert und sich zum produktivsten Nomenbildner gemausert. Dies bedeutet, dass die allermeisten Personenbezeichnungen, die zum Input werden, dieses -er mit sich tragen. Anders gesagt: Fügen wir ein -innen oder ein -*innen an, dann geht dem meist ein -er voraus.

Und genau an dieser Stelle kann es dann zu einem Phänomen kommen, das in der Sprachwissenschaft als Hyperkorrektur bezeichnet wird: Ein unterbewusster Prozess, bei dem eine Regel, eine Umwandlung von Input zu Output, über ihren eigentlich ‘korrekten’ Kontext hinaus angewandt wird. Beim Sprechenlernen passiert Ähnliches: Oma hat mir was vorgelest und dann haben wir abendgeesst, sagt ein Kind, das schon gelernt hat, dass die meisten Vergangenheitsformen mit einem -t gebildet werden, dem aber noch der Kontext fehlt, bei welchen Verben das nicht so ist. Es übergeneralisiert, was es weiß, um sprechen zu können. Bei Erwachsenen, die ihre Muttersprache schon erworben haben, ist die Motivation für die Hyperkorrektur eine andere: Sie merken, dass ihre Art zu sprechen aus irgendeinem Grund sozial auffällig ist. Das kann seine Gründe in vermeintlicher gesellschaftlicher Benachteiligung haben, wie im Falle von Dialektsprecher*innen aus aus dem rheinischen Raum, die von Haus aus keinen ich-Laut mitbringen. Irgendwann bemerken sie, dass im Hochdeutschen bei einem Satz wie Ich mag Fisch zwei unterschiedliche Konsonanten auftreten, während sie nur einen haben („Isch mag Fisch“). Weil der ich-Laut zum prestigehaltigen Marker der Hochsprache wird, aber intuitiv nicht klar ist, in welchem Kontext ein ich-Laut vorkommt und in welchem ein sch-Laut auch standardsprachlich angebracht ist, schießen sie über das Ziel hinaus und sagen, wenn sie hochdeutsch klingen wollen oder müssen, bisweilen Dinge wie „Ich mag Fich“. Das liegt nicht daran, dass sie den Unterschied nicht hören, oder gar ihren Ursprungslaut verloren hätten. Viel mehr ist die Aufmerksamkeit so stark auf die neu erlernte Regel, die sozial symbolträchtige Überführung von Input in Output gelenkt, dass das in mehr Kontexten passiert, als nötig.

Das Beispiel von Mitglieder*innen ist ganz ähnlich, wenn der Anreiz hinter ihm auch – so meine ich – weniger negativ geprägt ist. Eher möchten hier Leute sprachlich klar machen, dass ihnen die Inklusion aller Geschlechter wichtig ist, und sie wissen, dass das gut geht, wenn Personenbezeichnungen gegendert sind. Die meisten Genderendungen fügen sich an Nomen, die mit -er gebildet sind. Endet also eine Form auf -er, tut man wahrscheinlich gut daran, ein -*innen anzuhängen. Dass das -er bei „Mitglieder“ und „Vormünder“ (und „Arschlöcher“) aber einen Plural anzeigt, also etwas anderes ist als das -er von Wörtern wie „Mitmieter“, „Gründer“ oder „Einbrecher“, verblasst im Eifer des Gefechts vor dem sozialen Wunsch der Inklusion aller Angesprochenen. Wer also hyperkorrigiert, der kennt die Regeln schon fast zu gut. Und wahrscheinlich besser als diejenigen, die meinen, ein Jahrtausende altes Grammatiksystem ließe sich durch eine kleine Neuerung ins Wanken bringen.

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