Zunächst einmal sei
Für die heutigen Dimension stellt er dar, wo und wie sich das Genus in der Sprache niederschlägt und vor allem, inwiefern es sich auf die außer-sprachliche Realität bezieht. Mit dem Fokus auf das Deutsche macht er zwei zentrale Beobachtungen: Erstens kann jedes semantische Geschlecht, also jede sprachliche Wiedergabe des Geschlechts eines Lebewesens, durch jedes grammatische Genus ausgedrückt werden – wir sprechen hier also nicht von einer eindeutigen oder gar „natürlichen“ Repräsentation (vgl. der Rogner „weiblicher Fisch“, die Drohne „männliche Biene/Wespe“, das Rind). Zweitens gibt es aus seiner Sicht dringenden Differenzierungsbedarf, wo ein grammatisches Genus Individuen unterschiedlicher Geschlechter bezeichnen kann.
Bär führt hier einen wichtigen Unterschied ein. Einerseits gibt es die „echten generischen Ausdrücke“ wie der Mensch, die Person, das Individuum. Sie enthalten überhaupt keine semantische Information zum Geschlecht und können ohne Anpassung oder gedanklichen Mehraufwand für alle verwendet werden. Andererseits gibt es Ausdrücke, die Bär „pseudogenerisch“ nennt, wie z.B. der Hund, die Katze, das Huhn; und – wichtig – der Arzt, der Rechtsanwalt. Diese haben eine Doppelfunktion: Sie drücken sowohl eine geschlechtsunspezifische Gesamtmenge aus als auch eine geschlechtsspezifische Teilmenge. Hunde meint entweder alle Hunde oder nur männliche Hunde, dann im Kontrast zu Hündinnen. Analog verhält es sich bei Katzen und Kater, Hühner und Hähne, Ärzte und Ärztinnen.
Die sozio-historischen Ursprünge der semantischen Verbindungen, die in solchen pseudogenerischen Ausdrücken diese Multifunktionalität ermöglichen, sind der Ansatzpunkt für Geschlechtergerechtigkeit. Es ist vielleicht nur ein etymologischer Zufall, dass beim Hund das Maskulinum beide Geschlechter umfasste und bei der Katze das Femininum. Bei Wörtern für Tiere ist das gesellschaftliche Problem aber auch größtenteils vernachlässigbar. Eine Hündin wird kaum benachteiligt, wenn ein Spaziergänger sie Hund nennt. Die Gründe, warum die meisten Berufs- und Personenbezeichnungen pseudogenerische Maskulina sind, beruhten dagegen schon immer auf Diskriminierung: Frauen durften die meisten Berufe für die längste Zeit in der Geschichte nicht ausüben. Die Spur dieser Benachteiligung ebenso wie ihre heutigen Auswirkungen hallen wider im Gebrauch der generischen Maskulina. Deswegen gilt es, so Bär, sprachlich zu handeln und dem heutigen gesellschaftlichen Gleichstellungsanspruch gerecht zu werden – auch wenn für ihn die letzten Mittel zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht gefunden waren.
Auf der sprachgeschichtlichen Achse geht Bär anschließend der Frage nach, wie Sprachgemeinschaften überhaupt in einer solchen Situation landen – also wie grammatisches Genus entsteht und mit dem semantischen Geschlecht verflochten wird. Bär kommt zu dem Schluss, dass grammatisches und semantisches Genus vermutlich ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten. Viel eher haben wir es mit einer sekundären und späteren „Sexualisierung“ des Genussystems zu tun, das einst Eigenschaften wie Individualität versus Kollektivität oder Abstraktheit ausdrückte.
Wie auch immer dieser Prozess vonstatten gegangen sein mag, er liegt lange zurück, und das Dickicht seiner Auswirkungen ist heute nicht mehr ohne Weiteres aufzulösen. Wie aber Bär zeigt, unterliegen Genussysteme wie alles Sprachliche einem steten Wandel. Den „Einheitsplural“, den manche gerne zum generischen Femininum umdeuten würden, gibt es schließlich erst seit dem Mittelhochdeutschen. Es kann sich also noch viel tun.