Curator's Cut, 17 Okt 2022

Eine linguistische Vorsortierung: Gendern

Sprachliche Gleichberechtigung sollte eine Selbstverständlichkeit sein, die Mittel zu ihrem Erreichen sind es sicher nicht: Sie werden nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Linguistik kontrovers diskutiert. Die te.ma-Kuration erkundet das Feld: Wo herrscht Einigkeit in der Linguistik, wo nicht? Welche Details entgehen der öffentlichen Diskussion? Und wie handhaben es andere Sprachen als das Deutsche?

Gendergerechte Sprache?

In diesem Curator’s Cut nähern wir uns einleitend für unseren Themenkanal der Debatte um das Gendern. Die Diskussion wird derzeit vor allem außerhalb der Sprachwissenschaft intensiv und kontrovers geführt. Das öffentliche Erregungspotential der Debatte verwundert uns nicht, berührt die Frage des Genderns doch nicht nur die kommunikatorischen und identitätsstiftenden Werkzeuge einer Sprachgemeinschaft, sondern auch deren außersprachliche Realität.

Wir begleiten als Kurator*innen den Themenkanal „Gendergerechte Sprache“ in den kommenden Monaten. Beide sind wir in der Sprachwissenschaft/Linguistik verwurzelt, wenn auch in unterschiedlichen Fachbereichen (Julian R. Rott: Typologie und Morphosyntax, Christiane Ulbrich: Multilingualismus und Phonologie). Keine*r von uns arbeitet zu Fragen, die unmittelbar das Gendern betreffen, was uns einen frischen Blick auf die Argumente ermöglicht.

Außer Frage steht für uns bei dieser Diskussion, dass alle Menschen gleichberechtigt behandelt werden müssen und ihre jeweiligen Ansprüche an sprachliche Repräsentation legitim sind. Das gilt selbstverständlich auch für Personen unterschiedlichen Geschlechts. Wie das durch den sensiblen Einsatz sprachlicher Mittel umzusetzen wäre, wollen wir über die gesamte Laufzeit des Themenkanals durch ein fundiertes und intersektional bewusstes Evaluieren von Vorschlägen und Strategien aus der Linguistik wie auch der sprachlichen Praxis herausarbeiten. 

Wir beide stimmen darin überein, dass Sprache lebendig ist und sich nicht vorhersagen lässt, was sich im allgemeinen Sprachgebrauch schließlich durchsetzt. Patentlösungen sind nicht zu erwarten, so dass uns auch die reine Unterscheidung zwischen Pro- und Kontra-Ansätzen zum Gendern nicht produktiv erscheint. Wir wollen vielmehr die Argumente verschiedener Seiten abwägen, bei ihrer Sortierung unterstützen und mögliche Widersprüche aufdecken. Dabei empfinden wir es als wertvoll, dass unsere Einschätzungen und Bewertungen zu bestimmten Diskussionssträngen teils deutlich auseinandergehen. 

„Typisch Deutsch“? – Terminologie und Sprachvergleich

Zum Einstieg kann es interessant sein, kurz bei den Begrifflichkeiten aus sprachwissenschaftlicher Sicht innezuhalten: „Gendern“ ist im Deutschen ein substantiviertes Verb, das wiederum von einem aus dem Englischen entlehnten Substantiv stammt. Verben drücken eine fortlaufende Handlung aus, worüber sich ein erster Interpretationsspielraum ableitet: Für die einen (pro Gendern) bildet sich hier eine aktivistische Notwendigkeit ab, gesellschaftliche transformatorische Prozesse voranzutreiben. Andere (kontra Gendern) sehen darin eine überflüssige, aufgezwungene Mühseligkeit, einen Hemmschuh für die Zunge. 

Würden wir statt „Gendern“ einen abstrakten Begriff wie „Gendergerechtigkeit“, „Genderrepräsentation“ oder „Genderspezifizierung“ bevorzugt verwenden, so ergäbe sich womöglich deutlicher, dass es sich hierbei um ein komplexes sozio-politisches Thema handelt, das – unter anderem – eine sprachliche Dimension besitzt.

Diese sprachliche Dimension soll uns jetzt eingehender beschäftigen. Gerade im deutschen Sprachraum steht hier häufig ein Begriff am Anfang: das generische Maskulinum. Das grammatische Geschlecht (Genus) ist eine besonders auffällige Kategorie des deutschen Sprachsystems, da es die Substantive betrifft und Substantive diejenigen Wörter sind, mit denen wir die Dinge beim Namen nennen. Die Genera des Deutschen – Femininum, Maskulinum und Neutrum – sind grammatikalisch zunächst erstmal gleichwertig. Es gibt zwischen ihnen keine irgendwie geartete Rangordnung. Und deswegen wird hinterfragt, ob das generische Maskulinum für alle drei stehen kann und sollte und inwieweit dies die außersprachliche Realität abbildet.

Beim Nachdenken über diese Frage ist es interessant zu wissen, dass sich das Problem in anderen Sprachen ganz anders gestaltet. Das Englische z.B. verlor sein Genussystem bereits im 14. Jahrhundert, und in den germanischen Sprachen Skandinaviens sind Maskulinum und Femininum historisch zum sogenannten Utrum zusammengefallen. In diesen Sprachen wird die grammatikalische Teilhabe der Geschlechter vor allem über die Wahl der Personalpronomen ausgefochten. Wieder andere Sprachen wie das Baskische, Estnische oder das Swahili hatten nie geschlechtsspezifische Wortmarkierungen, und dennoch gibt es natürlich auch in diesen Sprachgemeinschaften sozialen Ausschluss und Sexismus, der sich sprachlich manifestiert.

Der Vergleich und insbesondere der Blick über den indo-europäischen Sprachraum hinaus können hilfreich sein, um unsere sprachspezifische Problemstellung zu relativieren und sie in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Wir werden solche Vergleiche in diesem Themenkanal immer wieder praktizieren, uns aber zunächst aufs Deutsche konzentrieren. Gehen wir dafür ins Zwiegespräch.

Morphologische Tücken, morphologische Chancen

Christiane Ulbrich: Ich möchte auf der Ebene der Morpheme ansetzen. Dafür, dass die Sprache geschlechtlich gleichberechtigend sein oder werden soll, kursieren in der aktuellen Debatte verschiedene Vorschläge, etwa das Binnen-I (MitarbeiterInnen), der Schrägstrich (Redakteur/innen), die Sternchenform (Lehrer*innen), der Doppelpunkt (Künstler:innen) oder der Gender-Gap (Arbeitnehmer_innen). Kritiker*innen des Genders wenden ein, dass solche orthographischen Markierungen die Lesbarkeit eines Textes behindern und die Möglichkeiten ihrer Umsetzung in Leichter Sprache beschränkt sind. Schließt das nicht wieder eine andere soziale Gruppe aus? Wie gehst du mit diesem Einwand um?

Julian Andrej Rott: Worauf du anspielst, ist klar. Das Argument der Barrierefreiheit ist tatsächlich kompliziert. Selbstverständlich bin ich dafür, dass die Zugänglichkeit der Sprache gewährleistet sein muss, aber ich frage mich, warum dieses Argument – das unterstelle ich jetzt einmal aus meinen persönlichen Erfahrungen heraus – oftmals von nicht-behinderten, muttersprachlichen Menschen angewandt wird. Diese nehmen im selben Atemzug in Kauf, dass beispielsweise queeren Personen die Repräsentation genommen wird. Es wirkt ein bisschen, als werden hier die Belange unterschiedlicher Gruppen gegeneinander ausgespielt. Kristina Bedijs zeigt zudem, dass es für Leichte Sprache durchaus niederschwellige Integrationsmöglichkeiten für gendergerechte Ansätze gibt. Sie hebt etwa die Nutzung geschlechtsneutraler Formen und Partizipien (z.B. Fachkraft, Auszubildende) hervor, die ohnehin Teil des Grundwortschatzes sind. Der für die Leichte Sprache zentrale Faktor der Textkomplexität wird so nicht erhöht. Auch diakritische Zeichen sind gut mit den Ansprüchen der Leichten Sprache in Einklang zu bringen. Ich sehe hier kein massives Problem. Außerdem gibt es ja auch behinderte Personen, die keine Männer sind – was ist mit ihnen? 

Christiane Ulbrich: Gut, ich stimme dir grundsätzlich zu. Allerdings bleiben die Möglichkeiten, in Leichter Sprache zu gendern, beschränkt. Und diese Einschränkungen wirken sich durchaus problematisch auf sprachliche Konventionen aus, d.h. die gegenseitige Verständigung über Sprache. Gisela Zifonun hat das etwa in einem Beitrag im Sprachreport herausgestellt. Zum Beispiel verkomplizieren diakritische Verfahren wie der Schrägstrich die Interpretation beim Lesen. Eine Form wie Lehrer/innen kann zudem eine Menge bedeuten:

  • die Lehrer und die Lehrerinnen, im Sinne von sowohl als auch, bei einer gemischten Gruppe

  • Lehrer oder Lehrerinnen, also irgendeiner, irgendeine von ihnen, gleich welchen Geschlechts (im Sinne eines einschließenden Oder)

  • Lehrer bzw. Lehrerinnen, als ausschließendes Entweder-oder

Das jeweils zu entscheiden ist höchst anspruchsvoll, wenn man bedenkt, dass Sprachverstehen zumeist in Sekundenschnelle abläuft, manchmal sogar ablaufen muss. 

Julian Andrej Rott: Ja, diesen Punkt sehe ich durchaus. Allerdings ist das schon so spezifisch, dass sich meiner Meinung nach vorwiegend Linguist*innen damit beschäftigen. Im Alltag löst sehr oft der sprachliche Kontext, wie etwas gemeint ist. Ich halte das für verkraftbar.

Christiane Ulbrich: Aber wie verhält es sich mit Beispielen, wie Arzt und Ärztin? Da lässt sich schwerlich ein Schrägstrich oder ein Sternchen setzen.

Julian Andrej Rott: Diese Formen, bei denen das Femininum mit einem Umlaut gebildet wird, sind etwas komplizierter. Bei ihnen kann in der Tat kein eindeutiger Wortstamm abgetrennt werden, hinter den sich das Sternchen oder der Schrägstrich setzen lässt, denn einmal lautet der Wortstamm Arzt- und einmal Ärzt-. Der Umlaut entsteht bei der Movierung, wie der Fachausdruck heißt. Der Umlaut entsteht nur bei manchen Vokalen, nämlich dann, wenn die Wurzel ein a, o, u oder au enthält, also wie bei Koch > Köchin, Bauer > Bäuerin oder eben Arzt > Ärztin. Aber Achtung, selbst da findet der Umlaut nicht immer statt, wie bei Kunde > ** Kündin, Gatte > **Gättin und so weiter. Maskulina dieser Formen werden heute nicht mehr aktiv gebildet. Es handelt sich um eine begrenzte Menge von Formen, für die eine Strategie gefunden werden kann. 

Mein Vorschlag wäre es, einzig die umgelautete Form zu benutzen, das heißt, nur von Köch*innen zu sprechen. Im Plural ist das Problem sogar noch geringfügiger, denn viele dieser Maskulina erhalten in der Mehrzahl auch den Umlaut: Koch > Köche, Papst > Päpste. Da ist der Unterschied zu den Köch*innen und Päpst*innen doch ziemlich klein.

Christiane Ulbrich: Ob sich ein Koch bei Köch*innen mitgemeint fühlt und wie sich dies durchsetzen ließe, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber selbst wenn ich deinen Vorschlag akzeptieren würde, denke ich noch an weitere Angriffspunkte gegen die diakritischen Verfahren, sogar aus geschlechtertheoretischer Warte. So wird argumentiert, dass beispielsweise das Gendersternchen Männer, Frauen und nichtbinäre Personen einschließt. Aber ist das so? Entsteht mit dem Sternchen oder dem Schrägstrich nicht sogar eine nochmalige Hervorhebung der Männer? Sie haben weiterhin das Privileg, im ersten Wortabschnitt eindeutig bezeichnet zu werden. Wer dann hinter dem Sternchen steht, eine Frau oder eine nichtbinäre Person, wird trotzdem nicht klar und ist egal?

Julian Andrej Rott: Das sehe ich anders. Bei einer Form wie Ingenieur*in steht die männliche Form natürlich immer zuerst. Man könnte flapsig sagen, im Deutschen fällt das Maskulinum nicht weit vom Stamm. Aber das ist doch nicht das Problem beim Gendern! Anders als manchmal behauptet, geht es nicht darum, Männern etwas wegzunehmen, sie anzugreifen oder gar zu marginalisieren. Die Sternchenform macht neben ihnen den Rest der Bevölkerung sichtbar, und das ist für mich der springende Punkt. Ein Streit um die Reihenfolge am Wort wäre angesichts der gesellschaftspolitischen Bedeutung von sozialer Teilhabe und Gendergerechtigkeit sehr künstlich, meinst du nicht? 

Christiane Ulbrich: Wir waren uns in der Grundfrage, dass die deutsche Sprache geschlechtlich gerechter sein oder werden soll, einig, ja! Ist sie aber, genauer betrachtet, nicht schon sehr gerecht? Ich spiele auf die binäre Bezeichnung von Mann und Frau an. Synchron und formal ist die Pluralform ‚weiblich‘ (die Bauarbeiter vs. der Bauarbeiter). Das heißt, im Plural haben wir ein generisches Femininum, im Singular ein generisches Maskulinum. Dies wird als selbstverständlich wahrgenommen und genutzt. Und wenn eine Gruppe junger Männer Vatertag feiert, stört sich sicherlich keiner von ihnen daran, wenn gesagt wird, dass sie mit Bollerwagen und Bier um die Häuser ziehen.

Julian Andrej Rott: Das Argument, es gebe im Plural ein generisches Femininum, halte ich für nicht zielführend. Hier werden zwei unterschiedliche Kategorien vermischt: Genus und Numerus. Zusammen mit den Fällen konstituieren sie das, was man linguistisch Paradigma nennt, also die Gesamtheit der Formen eines Wortes. Bei Substantiven ist das Genus von sich aus festgelegt, es verändert sich über die Wortformen nicht. Adjektive, Artikel etc. passen sich dagegen dem Genus, Numerus und Fall ihres Bezugsworts an. Der zentrale Punkt hierbei ist, dass wir von unabhängigen Eigenschaften sprechen, die nicht ohne Weiteres zusammengefasst werden können. Wie schon Luise F. Pusch festgestellt hat: Ein paar identische Formen machen noch lange kein generisches Femininum. Ich klaue „den jungen Männern ihr Bier“ – und gebe es „der durstigen Frau“. Man würde auch nicht behaupten, die Frau sei im Dativ kurz männlich, weil sie „der“ genannt wird, genauso wenig, wie die jungen Männer plötzlich weiblich werden, nur weil es „ihr“ Bier ist.

Daran, dass sich niemand über scheinbar maskuline Formen bei Feminina beschwert, sieht man auch, dass es nicht um den Klang der Formen an sich geht. Bei „der Frau“ wird keine weibliche Person unsichtbar gemacht. Es geht beim Gendern darum, wer bei den einzelnen Formen gemeint ist und deswegen entbrennt der Streit um das Gendern in der Gesellschaft gerade um die Plurale: Lehrer, Lehrerinnen, Lehrer*innen.

Christiane Ulbrich: Ja, das hast du sprachwissenschaftlich auf den Punkt gebracht. Mein Argument war auch nicht ganz ernst gemeint. Aber ich mochte die Ironie im Debattenbeitrag von André Meinunger zum generischen Femininum.

Der „Buchstabe“ /ʔ/ 

Julian Andrej Rott: Die Lösungsansätze, die wir bis jetzt genannt haben, beziehen sich auf die geschriebene Sprache. Lass uns mal schauen, welche Möglichkeiten es gibt, beim Sprechen zu gendern. 

Christiane Ulbrich: Da wäre der Glottisschlag bzw. die Sprechpause als mündlicher Ausdruck von Genderstern und allen weiteren Varianten als Erstes zu nennen. Der Glottisschlag gilt als unästhetisch und wird deswegen kritisiert. Diesem Argument möchte ich nicht folgen. Der Glottisschlag klingt in dieser neuen sprachlichen Verwendung vielleicht ungewohnt, aber wir haben ihn als festen Bestandteil unseres Lautinventars schon lange. Er taucht etwa in Lehnwörtern wie Theater /tʰeˈʔaːtʰər/ oder Chaos /ˈkʰaʔɔs/ auf. Er hat sein eigenes Zeichen im internationalen phonetischen Alphabet, nämlich das /ʔ/. Und der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, dass mit dem Glottisschlag eine neue Wortendung (Suffix) /ʔɪn/ neben -in /ɪn/ eingeführt wird. 

Julian Andrej Rott: Genau. Das ist gar nicht problematisch, denn neue Wortendungen gibt es immer wieder. So kam z.B. -gate ca. 2013 aus dem Englischen in unsere Sprache. Seitdem bringt die Endung alle möglichen Skandale auf den Begriff: das Dieselgate bei Volkswagen aus dem Jahr 2015 oder auch das jüngste Beispiel Partygate bei den Verstößen gegen die Covid-Auflagen im Büro des ehemaligen britischen Premierministers Boris Johnson. 

Das Besondere am Glottisschlag in /ʔɪn/ ist lediglich, dass man ihn im Deutschen normalerweise nicht schreibt: <bekehren> hat einen Buchstaben mehr als <beehren>. Phonologisch haben beide die gleiche Anzahl Konsonanten: /bəˈkʰeːʁən/ und /bəˈʔeːʁən/. Nur weil /kʰ/ in <bekehren> wie ein <k> aussieht und der Glottisschlag /ʔ/ unsichtbar ist, heißt das nicht, dass letzterer weniger bedeutungsunterscheidend wirkt. Auch dass der Glottisschlag wie z.B. bei Dieb*innen /ˈdiːpʔɪnən/ hinter anderen Konsonanten vorkommt, ist nichts Neues. So sagen wir z.B. für abändern /ˈʔapʔɛndɐn/ (gesprochen: ab-ändern) und nicht */ˈabɛndɐn/ (gesprochen etwa: a-bändern). Ich behaupte, dass Letzteres nicht verständlich ist.

Auch an dieser Stelle lohnt der Blick auf andere Sprachen. Manche schreiben den Glottisschlag ganz genau wie das /kʰ/ als Buchstaben. Das Maltesische und das Võro, gesprochen im Süden Estlands, schreiben ihn als <q>, das Hawaiianische und andere polynesische Sprachen als <ʻ> (ʻOkina), in Sprachen mit anderen Schriftsystemen gibt es Zeichen wie das hebräische <א> (Aleph). 

Man sieht: alles eine Frage der Konvention. Wir müssten entsprechend einen Weg finden, den Glottisschlag zu schreiben. Sonderzeichen wie * und _ sind da eine gute Möglichkeit, da sie bisher nicht mit einem Laut belegt sind. Sie vermeiden daher Verwirrung. Ich könnte mir insgesamt vorstellen, dass der Glottisschlag als gesprochene Version des Gender-Gaps weniger Widerstand erfahren würde, wenn es bereits ein akzeptiertes Zeichen für ihn gäbe. Wenn er sich weiter etabliert, wird hier eine Schreibung den Test der Zeit bestehen. 

Christiane Ulbrich: Ja, absolut, da gehe ich mit. 

Alternativen zum Gendern

Julian Andrej Rott: Wir reden die ganze Zeit über Verfahren, die möglichst nicht nur alle mitmeinen, sondern auch mitnennen sollen. Vielleicht wäre es einfacher, wenn man gerade weniger explizit wäre?

Christiane Ulbrich: Eine Variante wäre das sogenannte Entgendern. Auch dazu gibt es verschiedene Ansätze. Manche Formen haben es sogar in den Sprachgebrauch geschafft. So werden zum Beispiel in WG-Anzeigen bereits Mitbewohni gesucht, in Anlehnung oder gar Ausführung der Methode des Entgenderns nach Phettberg

Julian Andrej Rott: Entgenderte Formen sind ein weiteres probates Mittel, um dem generischen Maskulinum zu entgehen, da stimme ich dir zu. Eine weitere Möglichkeit sind Neutralisierungen und Kollektivierungen durch das Anhängen von -kraft, -person oder -team usw. an Verben oder abstrakte Substantive (vgl. Arbeitskraft statt Arbeiter). Auch das Partizip Präsens bietet einen niederschwelligen Ausweg (vgl. Studierende statt Studenten). Damit erreicht man zwar das Gegenteil der Sichtbarmachung aller: Das Geschlecht bleibt unbenannt, dafür aber für alle. Wir beide zum Beispiel sind ein Kurationsteam. Wenn wir an der Universität als Lehrkräfte oder Dozierende auftreten, sind unsere Jobs akkurat beschrieben, ohne dass wir uns über das Gendern austauschen müssen. 

Christiane Ulbrich: Aber führt das nicht zu einer „Entpersönlichung“ in der Sprache, die stilistisch fragwürdig erscheint? 

Julian Andrej Rott: Inwieweit diese alternativen Formen einen großflächigen „entpersönlichenden“ Effekt haben, vermag ich nicht zu sagen. Für mich selbst ist auch das eine Frage der Gewöhnung. Ich empfinde mittlerweile das Wort Studierende als völlig neutral – auch stilistisch.

Christiane Ulbrich: Mit der Entpersönlichung wird das Argument ins Feld geführt, dass nicht jeder, der studiert, also nicht jeder Studierende auch ein Student oder eine Studentin ist, so wie nicht jeder Backende, Gärtnernde usw. den Beruf ausübt. Berufsbezeichnungen verschmelzen entsprechend mit den Bezeichnungen für Personen, die solche Tätigkeiten zeitweise ausüben. Und das wäre einmal mehr doppeldeutig. 

Julian Andrej Rott: Ich kann mir erneut kaum Gesprächssituationen vorstellen, in denen man von „den Studierenden“ spricht und nicht aus dem Kontext klar wird, ob damit zeitweise studierende Menschen gemeint sind oder Student*innen. Backende, Gärtnernde werden sich kaum durchsetzen. Dazu sind die älteren Begriffe im Sprachgebrauch zu etabliert. Für andere gibt es kein Verb, aus dem sich ein Partizip bilden ließe – Operierende statt Chirurg*innen? Man sieht daran, dass es keine Patentmittel gibt, nicht alle Zweifelsfälle aufzulösen sind. Es liegen genau deshalb auch verschiedene Möglichkeiten auf dem Tisch.

Christiane Ulbrich: Ich würde sogar noch weitergehen: Striktes Gendern oder die Festlegung auf bestimmte ausgewählte Konventionen und Verfahren zum Gendern begrenzen die Ausdrucksmöglichkeiten unserer Sprache.

Julian Andrej Rott: Auf jeden Fall. Aber, wenn ich das richtig verstehe, dann lässt du dabei auch das generische Maskulinum zu. Dessen Fähigkeit, alle zu repräsentieren, stelle ich in Frage.

Christiane Ulbrich: Das stimmt, ich verbanne das generische Maskulinum nicht aus der Sprache. Aber mit den neuen Ausdrucksmöglichkeiten “auf dem Tisch” verliert es irgendwann auch seine Dominanz. Das ist an dieser Stelle ein guter Abschluss, denke ich. 

Christiane Ulbrich/Julian Andrej Rott: Dieser kurze Querschnitt zeigt schon: Die Argumente sind vielfältig, und das Problem zerfällt in viele Teilfragen, die es differenziert zu betrachten gilt. Und es gibt weitere spannende Themen, die wir noch nicht skizziert haben. Wir werden uns Sprachen anschauen, die gar nicht Gendern (müssen) und solche, die, wie das Isländische, neue Pronomen eingeführt haben, um dem Gendern gerecht zu werden. Wir freuen uns darauf, mit euch im Laufe dieser Season zur gendergerechten Sprache über Praxisbeispiele, individuelle Erfahrungen und einschlägige Forschung zu diskutieren.

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