Warum die Demokratie der EU keinen Erfolg in Nordafrika hat

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Pamela Abbott, Andrea Teti2021

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Geschrieben von Laura Worsch

Bei te.ma veröffentlicht 09.08.2023

te.ma DOI 10.57964/h4bp-kv06

Geschrieben von Laura Worsch
Bei te.ma veröffentlicht 09.08.2023
te.ma DOI 10.57964/h4bp-kv06

Pamela Abbott und Andrea Teti zufolge unterscheidet sich das Demokratiebild der Europäischen Union deutlich von dem der Gesellschaften nordafrikanischer Staaten. Das trage maßgeblich zur oftmals erfolglosen Demokratieförderung der EU in der Region bei.

Die Analyse der beiden Politikwissenschaftler beruht auf öffentlichen Meinungsumfragen, die im Zeitraum von 2011 bis 2018 in Algerien, Ägypten, Libyen, Marokko und Tunesien durchgeführt wurden. Ziel war es, das Demokratieverständnis in diesen Ländern nach den Massendemonstrationen des Arabischen Frühlings zu identifizieren und mit dem offiziell von der EU verbreiteten Demokratiebild zu vergleichen. 

Abbott und Teti kritisieren den einseitigen Fokus der EU auf institutionelle Reformen in den Ländern Nordafrikas. Denn an den Antworten der Befragten lasse sich ein tieferes, sozialeres Demokratieverständnis ablesen, als es die EU mit ihrem neoliberalen Verständnis von Demokratie vertrete.1 Die Proteste im Zuge des Arabischen Frühlings, so die Autor:innen, seien „mehr als ein Ruf nach liberaler Demokratie“ gewesen: Sie hätten sich hauptsächlich gegen die korrupten Regierungen gerichtet und sich für soziale Gerechtigkeit und ökonomische Stabilität für alle Schichten eingesetzt.2 

Die Umfrageergebnisse zeigen zudem weitere interessante Erkenntnisse: Beispielsweise gehe es den befragten Menschen weniger um die Art des aktuellen politischen Systems, solange dieses Sicherheit, Stabilität und soziale Gerechtigkeit gewährleistet. Dass die Regierungen Nordafrikas dabei gescheitert sind, diese Güter bereitzustellen, hätten die Massendemonstrationen des Arabischen Frühlings gezeigt.3

Abbotts und Tetis Kritik am Umgang der EU mit ihren Nachbarn ist nachvollziehbar und berechtigt. Gleichzeitig wird nicht klar, ob sich das Demokratieverständnis der EU tatsächlich substanziell oder lediglich graduell von dem unterscheidet, was sich die Gesellschaften der untersuchten Länder wünschen. Diese Ambivalenz zeigen die Autor:innen selbst an der Rolle auf, die Religion in den jeweiligen Definitionen von Demokratie spielt: Während dem Demokratiebild der EU Säkularismus inhärent sei, werde oft davon ausgegangen, dass die Verflechtung von Religion und Politik in arabischen Staaten akzeptiert und erwünscht sei. Dass auch in vielen EU-Staaten bei weitem kein reiner Säkularismus herrscht und religiöse Institutionen nach wie vor eine große Rolle in der Politik spielen, lassen die Autor:innen in ihrer Argumentationsführung jedoch außen vor.  

Interessant ist dennoch das Ergebnis, dass in allen untersuchten Ländern die befragten Menschen der Meinung waren, religiöse Führer sollten beispielsweise Wahlen nicht beeinflussen. Religion und Demokratie schlössen sich somit nicht zwingend gegenseitig aus, wie oftmals in wissenschaftlichen Beiträgen dargestellt, die fehlende Säkularität mit mangelnder Rationalität gleichstellen und somit als Barriere zu mehr Demokratie sehen.4 Den Beweis für ihre These in Form eines Positivbeispiels bleiben die Autor:innen jedoch schuldig.

Abbott und Teti zufolge zeigen die erhobenen Daten, weshalb die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) in der Region in den Jahren vor und nach dem Arabischen Frühling maßgeblich zu einem schlechten Bild der EU in nordafrikanischen Gesellschaften beigetragen habe. Die ENP basiere auf einem Selbstbild der EU, das eine Hierarchie und normative Überlegenheit gegenüber den Partnerländern impliziere. Zudem hätten es sich die autoritären und oft korrupten Regierungen Nordafrikas zu eigen gemacht, die Anforderungen der EU scheinbar zu erfüllen, um finanzielle Mittel zu erhalten. Der Umstand, dass die EU ebendiese Regierungen – in der Hoffnung auf demokratische Reformen – über Jahre finanziell unterstützt habe, verstärke die Animositäten nordafrikanischer Gesellschaften gegenüber der EU weiter.5

Abbotts und Tetis Analyse liefert eine interessante, wenn auch nicht wirklich überraschende Erkenntnis: Die EU habe auch nach den Demonstrationen des Arabischen Frühlings weder ihre Ziele noch ihre Prozesse der Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Staaten angepasst. Zwar habe man erkannt, dass frühere Strategien die Wünsche der Bevölkerungen nicht ausreichend berücksichtigten und die EU stattdessen autoritäre Regierungen unterstützte. Ein Umdenken im eigenen Verhalten sei dennoch nicht zu beobachten gewesen. Diese Schlussfolgerung gliedert sich in die langjährige Kritik an der Demokratieförderung der EU ein. Die schlussendliche Erfolglosigkeit des Arabischen Frühlings, ließe sich Abbotts und Tetis Kritik erweitern, ist auch ein Zeugnis für das Scheitern der EU, eigene Politiken und Strategien an neue Realitäten anzupassen.

Fußnoten
5

Don Kalb und Gabor Halmai (Hrsg.): Headlines of Nation, Subtexts of Class. Working Class Populism and the Return of the Repressed in Neoliberal Europe. Berghahn Books, New York 2011, ISBN9781283326445.

Charles Kurzman: The Arab Spring Uncoiled. In: Mobilization: An International Quarterly. Band 17, Nr. 4 2012, S. 377–390. 10.17813/maiq.17.4.10326742n0556v15; Shantayanan Devarajan und Elena Ianchovichina: A Broken Social Contract, Not High Inequality, Led to the Arab Spring. In: Review of Income and Wealth. Band 64 2018, Nr. S5-S25. 10.1111/roiw.12288

Steven A. Cook, Lorenzo Moretti und David Rudin: Corruption and the Arab Spring. In: The Brown Journal of World Affairs. Band 18, Nr. 2, 2012, S. 21–28.

Pippa Norris: Mecca or Oil? Where Arab States Lay in Gender Equality. In: Russell Dalton und Christian Welzel (Hrsg.). The Civic Culture Transformed. From Allegiant to Assertive Citizens. Cambridge University Press, New York 2015, ISBN9781107039261, S. 240–260; Ronald F. Inglehart: The Worldviews of Islamic Publics in Global Perspective. In: Mansoor Moaddel (Hrsg.). Values and Perceptions of the Islamic and Middle Eastern Publics. Palgrave Macmillan, Basingstoke 2010, ISBN0230621988, S. 25–46; Ronald F. Inglehart: Changing Values in the Islamic World and the West. Social Tolerance and the Arab Spring. In: Mansoor Moaddel (Hrsg.). Values, Political Action, and Change in the Middle East and the Arab Spring. Oxford University Press, Oxford 2017, ISBN9780190269104, S. 3–24.

Assem Dandashly und Gergana Noutcheva: Unintended Consequences of EU Democracy Support in the European Neighbourhood. In: Olga Burlyuk und Gergana Noutcheva (Hrsg.). Unintended Consequences of EU External Action. Routledge, Milton Park, Abingdon-on-Thames, Oxfordshire, England, UK 2019, ISBN9781032090191, S. 105–120; Mihály Fazekas und Lawrence Peter King: Perils of development funding? The tale of EU Funds and grand corruption in Central and Eastern Europe. In: Regulation & Governance .Band 13, Nr. 3, 2019, S. 405–430. https://doi.org/10.1111/rego.12184

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Als Arabischer Frühling wird eine Reihe von Aufständen, Demonstrationen und Revolutionen in verschiedenen Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens bezeichnet. Startpunkt war die Revolution in Tunesien im Dezember 2010, von wo aus sich Proteste auf den Rest der Region ausbreiteten. Einen nachhaltigen positiven Wandel hatte der Arabische Frühling in den jeweiligen Ländern insgesamt nicht gebracht.

Unter Säkularismus oder Säkularität versteht man die Trennung von Staat und Religion. Demnach sollen staatliche Institutionen nicht durch religiöse Akteure beeinflusst werden. Innerhalb der EU unterscheidet sich der Grad des Säkularismus stark. Ein Beispiel für extremen Säkularismus ist Frankreich, wo die Trennung von Staat und Religion in der Verfassung festgeschrieben ist und auch Laizismus genannt wird.

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