Imperialismus auf eigene Kosten

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Ilya Matveev2021

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Geschrieben von Sebastian Hoppe

Bei te.ma veröffentlicht 10.10.2022

te.ma DOI 10.57964/a03j-5g77

Geschrieben von Sebastian Hoppe
Bei te.ma veröffentlicht 10.10.2022
te.ma DOI 10.57964/a03j-5g77

Außen wachsen, innen schrumpfen – alles deutet darauf hin, dass Wladimir Putin mit seiner territorialen Expansionspolitik gegen die Interessen der eigenen Wirtschaft und ihrer Elite handelt. Mit dem Verweis auf zwei eigenständige Expansionslogiken nimmt Ilya Matveev eine wichtige Differenzierung des russischen Imperialismus vor.

Während der ersten beiden Amtszeiten Putins (2000-2008) vermochte es der Kreml, ob zum Guten oder Schlechten sei dahingestellt, Russland wieder als geopolitischen Akteur zu etablieren. Gleichzeitig expandierten in enger Abstimmung mit dem Staat auch zahlreiche russische Unternehmen, manche von ihnen in globalem Maßstab.1

Diese Symbiose, so Matveev, kam spätestens mit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 zu einem Ende. Seitdem intensiviere sich Russlands geopolitischer Imperialismus, während gleichzeitig die ökonomische Expansionsdynamik nachlasse. Im Jahr 2022 sind russische Unternehmen aufgrund der politischen Expansionsabsichten des Kreml sogar mit einem massiven Rückgang ihrer Möglichkeiten auf internationalen Märkten konfrontiert. Ist Putin nicht mehr auf die Unterstützung der Wirtschaftselite angewiesen? 

Matveev analysiert diesen Widerspruch im Rückgriff auf die Unterscheidung  zwischen territorialer und ökonomischer Expansion des Wirtschaftsgeographen David Harvey.2 Für Harvey, der vor allem den amerikanischen Imperialismus analysiert hat, gehen territoriale und ökonomische Expansion im globalen Kapitalismus stets Hand in Hand. Letzterer sei dabei auf regelmäßige räumliche, oft mit (staatlicher) Gewalt einhergehende Setzungen – sog. spatial fixes – angewiesen. Die Mittel reichen hierbei von staatlicher Gesetzgebung, die Privateigentum und Grundbesitz absichert, bis hin zu Referenden, Annexionen und militärischen Besetzungen. 

Die Krim-Annexion war ein spatial fix par excellence. Dennoch scheint seitdem die Eintracht zwischen Wirtschaft und Politik in Russland zu bröckeln. Verantwortlich hierfür ist laut Matveev, dass einerseits die russische Wirtschaft bereits seit 2012 Zeichen von Stagnation zeigte und an internationaler Attraktivität verlor. Andererseits führten (territoriale) Integrationsprojekte wie die geplante Eurasische Wirtschaftsunion aufgrund fehlender ökonomischer Attraktivität nicht zur angestrebten Kontrolle über die Nachbarländer, insbesondere nicht über die Ukraine. Seitdem, so Matveev, folge Putin einer sowjetischen (geo-)strategischen Kultur, die vor allem auf das Militär setzt und wahrgenommene Bedrohungen der territorialen Integrität durch energiewirtschaftlichen Druck („energy weapon“) abzuwenden versucht.

Matveevs Analyse weist auf ein oft unterschlagenes Paradox in der Diskussion um einen wiedererstarkten russischen Imperialismus hin: Die vor allem in den Medien häufig verwendete Chiffre der imperialen Expansionsabsichten des Kreml verdeckt, dass sich Russland im Hinblick auf seine wirtschaftliche Expansion selbstschädigend verhält. Sowohl klassische3 wie kritische4 Imperialismustheorien offenbaren blinde Flecken bei der Erklärung dieses Umstands, insbesondere der einschneidenden Zäsuren von 2014 und 2022.

Fußnoten
4

siehe z. B. Jonas Grätz: Russland als globaler Wirtschaftsakteur. Handlungsressourcen und Strategien der Öl- und Gaskonzerne. Oldenbourg. München 2013, ISBN 978-3-486-72126-3. Staatsbetriebe wie Gazprom, Rosneft oder Rosatom, aber auch private Firmen wie Novatek machten nicht nur im post-sowjetischen Raum, sondern auch in Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten blendende Geschäfte.

David Harvey: The New Imperialism. Oxford University Press. Oxford 2005, ISBN 9780199278084

Die nicht-marxistische Imperialismustheorie hingegen versteht imperialistische Kriegsführung als Atavismus, als feudales Relikt, in einer prinzipiell friedlichen kapitalistischen Ordnung. Siehe exemplarisch Joseph A. Schumpeter: Zur Soziologie der Imperialismen. Mohr. Tübingen 1919. Für Einführungen in die Theorienlandschaft zum Imperialismus siehe Wolfgang J. Mommsen:  Imperialismustheorien: Ein Überblick über die neueren Imperialismusinterpretationen. 3. erw. Aufl. Vandenhoeck und Ruprecht. Göttingen 1987, ISBN 3525335334; Tobias Ten Brink: Staatenkonflikte: Zur Analyse von Geopolitik und Imperialismus. Ein Überblick. UTB. Stuttgart 2008, ISBN 9783838529929.

Wolodymyr Ischtschenko: Wer kann diesen Krieg wollen. In: Jacobin Magazin. 5. September 2022. https://jacobin.de/artikel/wer-kann-diesen-krieg-wollen-ischtschenko-russland-ukraine-politischer-kapitalismus/

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