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Deutschlands Sprachen in Zahlen: Warum die Statistik versagt

Re-Paper
Astrid Adler2019
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Deutschlands Sprachen in Zahlen: Warum die Statistik versagt

»Sprachstatistik in Deutschland«

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Geschrieben von Deborah Arbes

Bei te.ma veröffentlicht 07.08.2023

te.ma DOI 10.57964/nq9q-s184

Geschrieben von Deborah Arbes
Bei te.ma veröffentlicht 07.08.2023
te.ma DOI 10.57964/nq9q-s184

Im Mikrozensus geben jährlich ein Prozent der Bevölkerung Deutschlands Auskunft zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen. Eine der gestellten Fragen widmet sich der Sprachenvielfalt im Land. Warum diese falsch gestellt sei und wie eine bessere Erhebung deutscher Mehrsprachigkeit aussehen könnte, erklärt die Linguistin Astrid Adler.

Wie viele Menschen in Deutschland mehrsprachig sind und welche Sprachen im Land überhaupt gesprochen werden, ist nicht leicht zu beantworten. Auch die Ergebnisse des Mikrozensus zu diesem Thema helfen nur bedingt weiter, erklärt Astrid Adler in „Sprachstatistik in Deutschland“. Gegenstand von Adlers Kritik ist die Art der Fragestellung, welche einige relevante Antworten gar nicht erst zulässt.

Die Sprachfrage im deutschen Mikrozensus 2017 (links) und 2019 (rechts)

Beim Lesen der Frage „Welche Sprache wird in Ihrem Haushalt vorwiegend gesprochen?“ und der Antwortmöglichkeiten entsteht der Eindruck, dass das Hauptziel der Sprachenfrage darin liegt, deutschsprachige von nicht-deutschsprachigen Haushalten zu unterscheiden. Schließlich haben die Befragten nur die Antwortmöglichkeiten „Deutsch“ oder „Nicht Deutsch, und zwar…“. Diese Aufteilung verkenne die Mehrsprachigkeit vieler Haushalte und reduziere sie auf eine „virtuelle Einsprachigkeit“, so Adler. Für monolinguale Familien sei diese Frage leicht zu beantworten. Was aber kreuzen Personen aus Haushalten an, in denen zwei oder mehr Sprachen zu gleichen Teilen gesprochen werden?

Die Art der Fragestellung sei deshalb „keine besonders glückliche Wahl“ und zeige, dass der Mikrozensus nicht frei von Ideologien ist: „Laienlinguistische Wahrnehmungen der Sprachsituation in Deutschland (i. e. als eine vor allem einsprachige) und Einstellungen gegenüber anderen in Deutschland gesprochenen Sprachen haben wohl die Sprachfrage des Mikrozensus und deren Handhabung beeinflusst.“

Ihre Einschätzung führt die Linguistin auf folgende fünf Probleme der Fragestellung zurück: 

1) die Formulierung mit der Einschränkung auf lediglich eine mögliche Antwort,

2) die Beantwortung durch nur eine Person stellvertretend pro Haushalt,

3) die Auswahl der Antwortmöglichkeiten,

4) das Fehlen einer offenen Antwortmöglichkeit und

5) die Position im Migrationsblock (d.h. im Themenblock mit Fragen zu „Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsdauer“).

Die Relevanz der Ergebnisse werde durch die Fragestellung und die begrenzten Antwortmöglichkeiten mehrfach eingeschränkt, so Adler. Laut Mikrozensus für das Jahr 2017 wurde in 87 Prozent der Haushalte vorwiegend Deutsch gesprochen. Es sei aber realistisch, dass Mitglieder eines Haushaltes die jeweiligen Sprachen unterschiedlich oft sprechen oder unterschiedliche Wahrnehmungen haben, welche Sprache „vorwiegend“ gesprochen wird, und deshalb die Frage unterschiedlich beantworten würden.

Die begrenzte Anzahl an Auswahlmöglichkeiten sowie das Fehlen eines Freifeldes können dazu führen, dass viele mögliche Antworten für die Auswertung verloren gehen – die angekreuzten Sammelkategorien blieben so unaufgeschlüsselt. Aus den geografischen Benennungen der Sammelkategorien ergibt sich eine weitere Schwierigkeit: Regional- und Minderheitensprachen werden nicht erfasst. Dänisch müsste in die Kategorie „sonstige europäische Sprache“ eingeordnet werden, während es für Sprachen wie Niederdeutsch oder deutsche Gebärdensprache keine klare Zuordnung gibt. Durch die eingeschränkten Auswahlmöglichkeiten werde außerdem eine Hierarchie unter den Sprachen deutlich. Adler weist auf die daraus resultierende grundsätzliche Frage hin, „welche Sprachen als Teil der deutschen Gesellschaft angesehen werden und welche nicht“.  

Die Position der Frage im sogenannten „Migrationsblock“ lasse außerdem darauf schließen, dass es sich um eine Stellvertreterfrage für Integration handelt. Dies wird auch im Kommentar zum Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Mikrozensus erwähnt: „Insbesondere die kulturelle Integration steht in enger Verbindung mit der im Haushalt gesprochenen Sprache“. Hier sieht Adler eine Problematik und äußert Zweifel am Wahrheitsgehalt der Antworten: „Diese Position produziert bei den Befragten möglicherweise einen bestimmten Erwartungsdruck, sodass sehr wahrscheinlich die soziale Erwünschtheit zum Tragen kommt.“ Darüber hinaus betont sie, dass die im Haushalt vorwiegend gesprochene Sprache kein geeignetes Mittel sei, um Integration in die Mehrheitsgesellschaft zu messen. Menschen, die im Haushalt vorwiegend eine andere Sprache sprechen, können das Deutsche trotzdem gut beherrschen. Die tatsächlichen Sprachkenntnisse werden im Mikrozensus nicht erfragt. 

Beim Konzipieren einer besseren Spracherhebung im Rahmen der Umfrage könne Deutschland z.B. von Kanada – einem Land mit zwei Amtssprachen – lernen. Im kanadischen Zensus werden neben Kenntnissen der beiden Amtssprachen Englisch und Französisch auch die am häufigsten im Haushalt gesprochene Sprache, weitere Sprachen und die erste erlernte Sprache (jeweils mit den Optionen Englisch, Französisch und einem Freifeld) abgefragt. Adler befürwortet eine solche detaillierte Abfrage, die zudem von allen Personen eines Haushalts beantwortet wird, statt stellvertretend von nur einer Person.

Um die Datenlage zur Sprachkompetenz und Mehrsprachigkeit in Deutschland besser zu erfassen, führte das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Deutschland-Erhebung 2018 durch. Die Erhebung – eine repräsentative Studie mit 4.339 Teilnehmenden – umfasste sowohl persönliche Interviews als auch einen Online-Fragebogen und ermöglichte es den Befragten, eine oder mehrere Muttersprachen sowie später im Leben erlernte Fremdsprachen anzugeben. Im Gegensatz zum Mikrozensus wurden alle Personen eines jeweiligen Haushalts individuell zu ihren Sprachkenntnissen befragt. Die Stichprobe ist im Vergleich zum Mikrozensus recht klein. Vor allem im Bereich der Minderheitensprachen und der kleineren migrantischen Gemeinschaften könnten deshalb keine Generalisierungen aus ihr hervorgehen. Hierfür wäre eine Studie von der Größe des Mikrozensus notwendig. 

Laut Adlers Analyse bietet die Deutschland-Erhebung ein klareres Bild der sprachlichen Lebensrealität der Menschen. 87,9 Prozent gaben in der Deutschland-Erhebung 2018 an, dass Deutsch ihre Muttersprache sei. 20,3 Prozent der Befragten berichteten, zuhause mehr als eine Sprache zu sprechen – eine davon ist in den meisten Fällen Deutsch. Welche weiteren Sprachen prozentual am häufigsten gesprochen werden, ist detailliert aufgeschlüsselt. Die häufigsten Muttersprachen, abgesehen von Deutsch, waren: Russisch, Türkisch, Polnisch, Italienisch, Englisch, Spanisch und Griechisch. Rund 67% der Befragten gaben an, eine oder zwei weitere Sprachen neben ihren Muttersprachen zu sprechen, dazu gehören auch in der Schule oder in Sprachkursen gelernte Sprachen. Nur rund 16 Prozent sprechen keine weitere Sprache. 

Adlers Empfehlung für den Mikrozensus ist, die Sprachfrage umzuformulieren und die Antwortmöglichkeiten durch ein Freifeld zu ergänzen, um aussagekräftigere Ergebnisse über den Sprachgebrauch in den Haushalten zu erhalten. Welche Vorteile würde eine verbesserte Datengrundlage bieten? Dadurch, dass Daten darüber vorliegen, in welchen Regionen die jeweiligen Sprachen besonders häufig vertreten sind, könnten Verantwortliche darauf hinarbeiten, Minderheitensprachen gezielter zu fördern. Vor allem für medizinische Einrichtungen, Behörden, Unternehmen und Bildungsinstitutionen sind diese Daten von Vorteil, um sich auf die sprachliche Vielfalt der Menschen einstellen zu können und ggf. zu entscheiden, in welchen Sprachen Übersetzungen oder Dolmetschende eingesetzt werden. Eine Überarbeitung der Sprachfrage wäre ein politisches Zeichen, das auf ein echtes Interesse an der Mehrsprachigkeit der Bevölkerung hindeuten würde. Zusätzlich wäre dies auch ein erster Schritt, Hierarchien zwischen den Sprachen sowie die vorherrschende Einsprachigkeitsideologie zu hinterfragen.  

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Der Begriff Mikrozensus bedeutet „kleine Bevölkerungszählung“. Der Mikrozensus ist die größte jährliche Haushaltsbefragung der amtlichen Statistik in Deutschland.

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