Welchen Schutz erhalten Minderheitensprachen in Deutschland?

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Stefan Oeter2020
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Welchen Schutz erhalten Minderheitensprachen in Deutschland?

»Sprachpolitik und Sprachenrechte«

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Geschrieben von Dennis Yücel

Bei te.ma veröffentlicht 17.07.2023

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/eebn-6k78

Geschrieben von Dennis Yücel
Bei te.ma veröffentlicht 17.07.2023
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/eebn-6k78

Minderheiten- und Regionalsprachen erhalten in Deutschland und Europa besonderen Schutz und Förderung. Anerkannt in Deutschland sind die Sprachen der dänischen, sorbischen und friesischen Minderheit, der Sinti und Roma sowie das Niederdeutsche. Migrantische Mehrsprachigkeit wird von der deutschen Sprachpolitik allerdings nicht gefördert – der Jurist Stefan Oeter fragt, ob dies noch zeitgemäß ist.

Mehrsprachigkeit ist Realität in den meisten Ländern dieser Welt. Staaten reagieren auf diese Situation mit ganz unterschiedlichen Sprachpolitiken – also der politischen Steuerung von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit. 

Sprachpolitik, schreibt Oeter, könne durch die forcierte sprachliche Assimilierung anderssprachiger Gruppen die Homogenisierung des Sprachraums ins Auge fassen. Hier ginge es darum, eine standardisierte Nationalsprache zulasten anderer Sprachen und Dialekte durchzusetzen und Mehrsprachigkeit einzugrenzen. Es könne aber auch umgekehrt die Stabilisierung von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit in den Blick genommen werden, indem die Weitergabe von Zweit- und Drittsprachen gezielt gefördert wird. 

Deutschland sei lange durch eine homogenisierende, assimilatorische Sprachpolitik geprägt gewesen. Vor allem die preußische Verwaltung habe Minderheitensprachen in den Reichsgrenzen – etwa Polnisch, Französisch und Dänisch – ebenso zu marginalisieren gesucht wie das Niederdeutsche und regionale Dialekte. Diese assimilatorische Grundtendenz sei auch nach 1945 in weiten Teilen Deutschlands erhalten geblieben. Zu einer Wende sei es erst mit der Ratifizierung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen im Jahr 1998 gekommen. Das Abkommen verpflichtet die Vertragsstaaten, den Gebrauch von Minderheitensprachen im öffentlichen Leben aktiv zu fördern, beispielsweise indem ein grundständiges Angebot an Radio- und Fernsehprogrammen in den Sprachen bereitgestellt wird und kulturelle Aktivitäten unterstützt werden. Außerdem müssen Möglichkeiten geschaffen werden, Schulunterricht in den Sprachen zu erhalten und sie in der Verwaltung verwenden zu können. 

In Schleswig-Holstein, Sachsen und Brandenburg – drei Bundesländern, in denen in Deutschland anerkannte Minderheitensprachen gesprochen werden – enthalten die Landesverfassungen heute einen expliziten Handlungsauftrag für eine minderheitenfreundliche Sprachpolitik sowie eine Vielzahl von gesetzlichen Regelungen zum Schutz und zur Förderung der Minderheiten- und Regionalsprachen. Das sogenannte Friesischgesetz aus dem Jahr 2004 erlaubt etwa den Gebrauch von Friesisch in örtlichen Behörden oder auf Straßenbeschilderungen in Schleswig-Holstein. Sorbisch ist in den sorbischsprachigen Gebieten im Bundesrecht als Gerichtssprache anerkannt.1 Außerdem existiert in den drei Ländern seit Jahrzehnten ein Minderheitenschulwesen.

Während die sogenannten „autochthonen Minderheitensprachen“ der dänischen, sorbischen und friesischen Minderheit, der Sinti und Roma sowie Regionalsprachen wie Niederdeutsch in Deutschland durch eine Reihe von staatlichen Maßnahmen geschützt und gefördert werden, genießen die Sprachen von Migrant*innen und deren Nachkommen allerdings keinen besonderen Schutz und kaum Förderung. 

Die „Grundfärbung deutscher Migrationspolitik“, fasst Oeter zusammen, sei geprägt von der normativen Vorstellung, dass sich Migrant*innen und deren Nachkommen in Deutschland sprachlich und kulturell assimilieren sollten. Daher liege die Betonung stark auf dem frühkindlichen Erwerb und Ausbau der Deutschkenntnisse – statt auf einer Förderung der im Elternhaus erworbenen Sprache

Argumentativ werde dieser Ansatz durch zahlreiche Bildungsstudien untermauert, die schulische Defizite bei Kindern aus migrantisch geprägten Haushalten zeigen. Eine derartig „einseitige Orientierung“ auf Ausbildung in der Landessprache vertrage sich allerdings schlecht sowohl mit den aktuellen Befunden der Bildungsforschung als auch den Leitbildern der UNESCO, die im Gegenteil auf die „Alphabetisierung in der Herkunftssprache und komplementären Ausbau der Standardsprache der Umgebungsgesellschaften“ setzen.

Der gegenwärtige Umgang mit mehrsprachigen Kindern in deutschen Schulen, kritisiert Oeter, lasse nicht nur „angelegte sprachliche Ressourcen brachliegen, sondern ist auch kognitiv und entwicklungspsychologisch fragwürdig“. 

Es stelle sich die Frage, ob es pädagogisch nicht sinnvoller sei, Erstsprache und Umgebungssprache gleichzeitig zu fördern, statt „zweisprachig aufgewachsene Kinder unbedingt einsprachig machen zu wollen“. Zumindest in Großstädten sei es möglich, für Sprachen mit größeren Sprecher*innenzahlen zweisprachige Kapazitäten in den Schulen aufzubauen.

Ferner sei rechtspolitisch zu prüfen, ob nicht Elemente der Politik zum Erhalt und Ausbau von autochthonen Minderheitensprachen auf Migrantensprachen übertragen werden sollten. Politisch sei dies hochumstritten – die Diskussion stehe allerdings noch ganz am Anfang.

Fußnoten
1

Vgl. Astrid Adler, Rahel Beyer: Languages and language policies in Germany / Sprachen und Sprachpolitik in Deutschland. In: National language institutions and national languages. Contributions to the EFNIL Conference 2017 in Mannheim, Hungarian Academy of Sciences, Budapest, 2018, 221-242. https://www.diw.de/de/diw_01.c.762332.de/s_11669.html

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Assimilierung bezeichnet den Prozess, in dem eine Gruppe ihre eigene Kultur schrittweise aufgibt und sich einer anderen Gruppe angleicht. Meist geht es dabei um die Angleichung einer Minderheit an die Mehrheitsgesellschaft, zum Beispiel im Zuge von Einwanderung.

Der Begriff „autochthon“ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet soviel wie „einheimisch“. Er meint alteingesessene Menschen (und Tiere), die vermeintlich zu einem Ort gehören. Im Gegensatz dazu werden Einwander*innen als  „allochthon“ bezeichnet.

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