Wenn es in deutschen Medien um die russischsprachige Bevölkerung geht, stehen häufig Putin-Anhänger:innen im Fokus. Die Gruppe der russischen Migrant:innen in Europa ist Joanna Fomina zufolge jedoch äußerst divers, auch hinsichtlich ihrer politischen Einstellungen. Bereits die
Nach der Verhaftung von
Das politische Engagement russischer Emigrant:innen findet in etablierten Organisationen (z.B. durch die Boris-Nemzow-Stiftung in Bonn) und spontan gegründeten Initiativen, aber auch auf individueller Ebene durch die Teilnahme an Demonstrationen oder das Führen von Blogs statt. Thematisch konzentrierten sich die politischen Aktivitäten bis zur
Fomina unterscheidet drei Formen zivilgesellschaftlicher Aktivitäten gegen den Krieg. An erster Stelle nennt sie „symbolische Aktivitäten“. Dabei handelt es sich vor allem um Protestmärsche und andere öffentliche Veranstaltungen in europäischen Städten, bei denen gegen das Vorgehen Russlands demonstriert wird. Ein zentrales Symbol bei den Demonstrationen sei die weiß-blau-weiße Fahne, welche die weiß-blau-rote Nationalflagge der Russischen Föderation ersetzte, die „als Symbol für Blutvergießen, Unterdrückung und Totalitarismus“ stehe, so Fomina. Mit Hilfe der sozialen Medien findet die Mobilisierung und Zusammenarbeit „von pro-demokratischen und gegen den Krieg eingestellten Russ:innen“ in Europa transnational statt.
Eine weitere Form des politischen Engagements bilde die finanzielle Hilfe und materielle Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge an den Grenzübergängen und in Flüchtlingsunterkünften. Angesichts der dramatischen Kriegsfolgen stellten russische Emigrant:innen kostenlose psychologische, medizinische und rechtliche Hilfe zur Verfügung oder engagierten sich als Dolmetscher:innen und Übersetzer:innen. Daneben unterstütze die russische Community aber auch Personen aus Russland, die aufgrund ihres zivilgesellschaftlichen Engagements das Land verlassen mussten.
Auch Informationsverbreitung und öffentliche Kommunikation seien wichtige Tätigkeitsfelder von emigrierten Journalist:innen und Wissenschaftler:innen. Diese versuchten der russischen Staatspropaganda und Desinformation entgegenzuwirken, indem sie die russische Bevölkerung über die tatsächlichen Ursachen und Entwicklungen des Krieges sowie über die Rolle Russlands und seiner Kriegsverbrechen aufklären.
Der Annahme, dass die Abwanderung aktiver, demokratisch orientierter Bürger:innen aus Russland zu einer weiteren „Zementierung des autoritären Regimes“ führe, widerspricht Fomina. Sie bezieht sich damit indirekt auf die bahnbrechende Studie von Albert O. Hirschman (1915-2012) aus dem Jahr 1970, die zwischen drei grundlegenden Optionen unterschied, die Menschen in Unternehmen, Organisationen und Staaten haben: exit (Ausstieg), voice (Einspruch), loyalty (Loyalität).
Auch die Analyse der russischen Auslandsopposition zeige, dass diese in der Lage ist, ihre politischen Aktivitäten grenzüberschreitend fortzusetzen.
So wichtig wie dafür das Engagement der demokratischen russischen Exilgemeinde ist: Eine Annäherung zwischen der ukrainischen und der russischen Gesellschaft wird angesichts der russischen Kriegsverbrechen und der ukrainischen Traumata Generationen dauern und vor allem eine grundlegende gesellschaftspolitische Transformation innerhalb Russlands erfordern.