te.ma ist seit dem 01. August 2024 bis auf Weiteres inaktiv und befindet sich im Archiv-Modus. Alle Publikationen sind weiter zugänglich. Der Kommentarbereich ist jedoch abgeschaltet. Bestehende Nutzerkonten bleiben bis 31. Juli 2025 weiter zugänglich, neue Nutzerkonten können nicht mehr angelegt werden. Unser Newsletter wird nicht mehr weiter bespielt.

SPECIAL INPUT: Katja Makhotina

Archäologie der Empathie. Das Trauma als Entstehungsmythos und Projektion

Katja Makhotina von der Universität Bonn forscht seit Jahren zu Erinnerungskulturen im östlichen Europa. Ob in Litauen, Russland, Polen oder der Ukraine – die Sprache und Ästhetik der Museen und Gedenkstätten sind emotionalisierend und opferzentriert, um Empathie für historisches Leid und den Opferstatus der Nation zu erwecken. Doch wenn alle Opfer sind, kann es keine Täter geben. In ihrem Beitrag reflektiert Katja Makhotina über Gründe und Zusammenhänge dieser Emotionalisierung der Erinnerung.

Ukraine: Krieg

„Man unterscheidet die Gemeinschaften nicht nach ihrer Falschheit oder Richtigkeit, sondern nach der Art und Weise, wie diese imaginiert werden“, schreibt Benedict Anderson.1 Die Gesellschaften von heute werden als Gemeinschaften des gemeinsamen Traumas imaginiert. Was Gesellschaften trennt und eint, ist der Schmerz, erlitten in der Vergangenheit. Verglichen mit dem Gefallenenkult, der dem Soldatensterben für die eigene Nation im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine Sinnstiftung verlieh, hat der Schmerz als neuer kollektiver Bezugspunkt und Gründungsmythos eine viel stärkere emotionale Energie. 

Das erlittene Trauma verbindet stärker als eine Utopie

Das gestern erlittene Trauma konsolidiert stärker als eine Utopie von Morgen. Die Zeit der auf die Zukunft gerichteten Erinnerungskultur ist passé; nicht mehr der Sozialismus als Utopie oder der Kosmopolitismus des Weltbürgertums kann Gesellschaften zusammenhalten. In dem von François Hartog geprägten Begriff des Präsentismus (présentisme) kommen gestern und heute zusammen und verschmelzen zu einem Zeitgefühl, in dem das Gestrige viel wichtiger ist als die Zukunft.2 Nostalgie ist zu einem globalen Zeitgeist geworden. 

Ähnlich wie bei dem Begriff der Nostalgie in seinem primären und umgangssprachlichen Sinn geht es um Sehnsucht nach Vertrautem, nach der Geborgenheit des Kindseins. Der Wissenschaftler Carl von Linné notierte einmal in seinem Notizbuch kurz und bündig die Definition der Nostalgie: Nostalgie = Stenbrohult. So heißt das schwedische Dorf, in dem er seine Kindheit verbracht hatte. Das Morgige wird nicht mehr idealisiert, bewundert, affirmativ antizipiert. Es geht um die Rückkehr zu dem, das man schon kennt und dem man vertraut.

Das nationale Projekt kehrt zurück

Nichts ist vertrauter und bekannter in der Ideengeschichte der Menschheit als das nationale Projekt. Es ist paradox: In unserer globalisierten Welt, in der Migrationen und Transfers eigentlich das Nationale (und alles was mit Grenzen zu tun hat) als überkommene Idee erscheinen lassen, erlebt gerade die Nation eine Renaissance als Bezugspunkt der kollektiven Identität. Mit ihr zusammen – der Gedanke, dass Nation durch Geschichte gemacht ist – also ein antiquiertes, essentialistisches Denken der nationalen Erwecker des 19. Jahrhunderts.

Warum ist das so? Der erste Grund dafür ist der globale Shift in den Erinnerungskulturen, den wir in den letzten zwei Jahrzehnten beobachten. Im Zuge der globalen Krise der Identität, verstärkt durch neue Medien und Technologien, verspüren die gegenwärtigen Staatseliten eine ontologische Unsicherheit3, die zu einer sozialen Desintegration führen kann. Um der Identitätskrise in seinen jeweiligen Gesellschaften zu entkommen, aktiviert das kulturelle Establishment des Staates eine glatte nationale Meistererzählung. Sie soll als eine Grundlage für die Konsolidierung der Gesellschaft dienen. Ein Mittel hierzu ist etwa die Erstellung und Herausgabe einer mehrbändigen Ontologie der nationalen Geschichte von der Steinzeit bis heute. Ein anderer Weg stützt sich auf Symbolpolitik im öffentlichen Raum (Feiertage, Toponymie).

Der zweite Grund ist der veränderte Umgang mit Emotionen, vor allem mit dem Schrecken der Vergangenheit. Die „Kultur der Wunde“4 ist seit etwa 30 Jahren auf unserer globalen Agenda. Man wendet sich den Opfern zu, man zeigt Pietät, man erinnert sich an die Genozide, man stellt Mahnmale für die Opfer auf, man wendet sich einer postheroischen Erinnerungskultur zu. Man kann sich nicht des Eindruckes erwehren, dass es darum geht, zu entscheiden, wer in der Geschichte am meisten gelitten hat. Von „gefühlten Opfern“ (Ulrike Jureit / Christian Schneider) über „chosen trauma“ (Vamik Volkov) bis „Olympiade des Opfer-Seins“ (Ivan Krastev) sind Konzepte entstanden, die diese unheimliche Konjunktur zur Sprache bringen.5 Trauma scheint zu einer Kulturkonstanten unserer Zeit geworden zu sein. 

Die Referenz auf den Holocaust als Trauma des 20. Jahrhunderts

Denkt man an die Zeit nach dem Trauma des 20. Jahrhunderts – dem Holocaust – kann der Unterschied nicht größer sein. Weder in der Sowjetunion noch im Westen war man bereit, in die Vergangenheit zurückzublicken. „Man ist versucht, sich mit Schaudern abzuwenden und nicht hinzusehen“, schrieb einmal Primo Levi dazu und plädierte: „Das ist eine Versuchung, der man widerstehen muss.“ Dazu kam, dass die festen Rahmungen der sinnstiftenden Kultur keine Sprache für leidvolle Erfahrungen hatten, was die Kommunikation des Traumas zu einer ungemein schwierigen Angelegenheit machte. 

Die Literatur der Moderne von Ernest Hemingway bis Boris Polewoi feierte den starken Menschen, und auch auf der alltäglichen Ebene bestand die Strategie im Verdrängen des Verlustes oder seiner Überlagerung mit Heroik und Sinnstiftung. Das Nicht-Erzählen-Wollen half zu überleben, entsprach dem Wunsch, sich und seine Biografie zu „normalisieren“. So war das Nicht-Beachten des Traumas symmetrisch: Auf der Seite der Betroffenen half es zu überleben, auf der Seite ihrer Umgebung half es zu verdrängen, um nicht helfen zu müssen oder den Schrecken der anderen von sich fernzuhalten. Die Selbst-Heroisierung bot den Schutz vor einer „wirklichen“ Auseinandersetzung mit der Erinnerung, die weh tat und die ganze Grausamkeit des Erlebten offenbarte. Diese Erinnerungslogik, die am stärksten durch die Sprache des Kommunismus („Nicht trauern – kämpfen!“) unterstützt wurde, blieb im Übrigen von der klassischen Erinnerungstheorie unbeachtet.6 Womöglich, weil es das gängige Narrativ von einem Sowjetsystem, das die Opfererinnerung unterdrückt und den Diskurs der Stärke aufoktroyiert, verkomplizieren würde. 

Schließlich wurde in der westlichen Erinnerungstheorie auch die Rolle der jüdischen Kämpfer gegen die Nazis – und ihr auf den eigenen Beitrag zum Sieg und zur Befreiung ausgerichteter Gedächtnisdiskurs – ausgeblendet. Ihr Wunsch, sich an sich selbst und die Angehörigen heroisch zu erinnern und auch die Denkmalform so zu gestalten (siehe u.a. Nathan Rappaports Mahnmal für die Aufständischen des Warschauer Ghettos), wurde mit den sowjetischen Zensurschranken erklärt.7

Das Trauma und seine Repräsentationen wurden zu den zentralen Themen der Erforschung der Holocausterinnerung. James Young zeigte die Ästhetisierung des Traumas in Holocaustmahnmalen8; Dan Diner führte den Begriff „Deckerinnerung“ ein, um auf die Funktionalisierung des Traumas für die Verdeckung der dunklen Seiten der Geschichte hinzuweisen9; Henry Rousso diagnostizierte für Frankreich ein „Vichy-Syndrom“10, d.h. das Bestreben, die ausgebliebene Hilfe für die Juden in der Situation der Besatzung und die französische Kollaboration mit den Deutschen zu verschweigen.

Diskursabstraktionen und Psychologisierung

Mit diesem absoluten Ansatz wird jede Geschichte als Trauma erzählt, der Opferbegriff überladen.11 Es gibt eine große Versuchung, jegliche Differenzierung zugunsten der überspitzten Verallgemeinerungen zu verwischen. Das funktioniert u.a. durch Diskursabstraktionen, in denen die gesamte Moderne als Geschichte des Traumas erscheint, in der die Figuren des Opfers und des Überlebenden an Konkretheit verlieren. So wiesen Kritiker des Psychologisierungsansatzes wie Dominick LaCapra und Wulf Kansteiner darauf hin, dass der Begriff des Traumas als Erklärung für die verspätete Repräsentation des sozialen Gedächtnisses von Gruppen, die eine negative Vergangenheit erlebt haben, Fragen nach dem politischen, sozialen und ökonomischen Kontext des Verdrängens verdeckt. War die Blockierung der Erinnerung etwa mit der Normalisierung des eigenen Lebensweges verbunden? Lernten Menschen mit dem Trauma zu leben, ohne es zu „bewältigen“?

Der Satz Joan Didions, „wir erzählen uns Geschichten, um zu leben“, bringt es gut auf den Punkt. Die Arbeit mit dem Begriff des Traumas offenbart also nicht den spezifischen historischen Kontext, der zur Produktion oder Dekonstruktion des kollektiven Gedächtnisses beigetragen hat. Dass sich traumatische Ereignisse im kulturellen Gedächtnis widerspiegeln, hängt vielmehr mit dem zeitgenössischen Interesse an einem bestimmten Umgang mit der Erinnerung zusammen.12

So wie heute. Die inflationäre Nutzung der Begriffe wie Genozid und Trauma ordnet sich in den Zeitgeist mit seiner Vorliebe für Empathie und Authentizität ein, der auch das öffentliche Teilen von Gefühlen mitbringt. Bezeichnenderweise waren es Frauen, die sich als Philosophinnen, Künstlerinnen und Schriftstellerinnen dieser Gefühligkeit kritisch entgegenstellten. Simone Weil, Joan Didion und Susan Sontag hielten es für ihre Pflicht, sich der schmerzhaften Realität zu stellen, doch sie hielten es genauso für notwendig, ihre Gefühle dabei im Zaum zu halten. Denn: Aus Mitgefühl könne eine Befriedigung erwachsen, sei es narzisstischer (Zurschaustellung der eigenen Empathie steigert das Selbstwertgefühl) oder moralischer Art (ich gehöre allein dadurch zu den Guten, dass ich mich schlecht fühle).13

Die kritischen Fragen ethischer und politischer Art, die das Feiern der neuen Gefühligkeit auslöst, tangieren jedoch nicht die neue Tendenz der globalen Erinnerungskultur – nämlich den genocide turn. Zunächst wurde er von Museumsforschern registriert und festgehalten: Memorial Museums: The global rush to commemorate atrocities von Paul Williams14 ist eine einleuchtende Studie zur Spezifik der Gattung Museum/Gedenkstätte. Diese hybride Form des Mediums der Erinnerung soll Lernen und Gedenken zugleich vereinen. In ihrer musealen Praxis macht sie das Lernen nahezu unmöglich: Die Visualisierung der Genozidalverbrechen ist dermaßen emotionalisierend, dass der Besucher zu einer kognitiven Auseinandersetzung mit dem historischen Kontext nicht fähig ist. Der globale Trend der Musealisierung in einem Holocaust-Template, also einer ästhetischen Formatierungsvorlage, die auf Beweisführung (es ist tatsächlich passiert!) und Emotionen (Empathie für die Opfer, Wut auf die Täter) aus ist, überschreitet nun auch Systemgrenzen: Das Museum für Opfer des Napalms im vietnamesischen Ho-Chi-Minh-Stadt funktioniert genauso wie das Museum für Okkupationen und Freiheitskämpfer (ehem. Museum für Genozidopfer) im litauischen Vilnius und dieses wiederum wie das Museum für Opfer der japanischen Aggression im chinesischen Nanking.

Opferzentrierte Erinnerungspolitik auf der globalen Agenda

War die Logik der globalen Erinnerungskultur vormals auf den Holocaust ausgerichtet und auf das geteilte Wissen über „uns selbst als Mörder und als Opfer“ (Péter Esterházy), verschwindet nun der Wunsch der Gesellschaft, sich selbst als Täter oder Mittäter zu sehen. Statt des eindeutigen und singulären „Nie wieder Auschwitz!“ stellen nun multiple Genozide den Erinnerungsanker. Aus dem „doppelten Genozid“, den „zwei Totalitarismen“ usw. kann man nach Belieben Lehren ziehen. Die gesellschaftliche Erinnerung ist auf die Entwicklung der Empathie ausgerichtet und vor allem auf die Förderung der Artikulierung der traumatischen Erfahrung. Das Trauma bekommt somit eine politische Konjunktur: Man wird aufgefordert, das Trauma öffentlich zu teilen. Paradoxerweise verspricht man sich die Überwindung des Traumas gerade durch dessen öffentliche Manifestation. Die „Heilung“ soll durch die Monumentalisierung und Sakralisierung des Traumas erreicht werden. Kaum jemand stellt sich die Frage, was dies mit unserer Gesellschaft macht. Der Satz Churchills über den Balkan, „sie produzieren mehr Geschichte, als sie jemals verdauen können“, kann nun auf Trauma angewendet werden: Man produziert mehr Trauma, als man jemals überwinden kann.

Doch das Trauma wurde nicht nur als Bezugspunkt der nationalen Erinnerung zentral. Auch als analytischer Ansatz wird es benutzt, um die Defizite der Erinnerungskultur zu beschreiben. Als Alexander Etkind in seinem Buch Warped Mourning. Stories of the Undead in the Land of the Unburied15 die russische Erinnerungskultur an die Gewalt des Stalinismus als Trauma, das die heutige Gesellschaft in Russland „jagt“, beschrieb, nutzte er das Trauma als Erklärung für diesen russischen erinnerungskulturellen „Sonderweg“. Immer häufiger wird die Kultur der Gegenwart mit psychologisierenden Konstrukten analysiert. Irreführend werden diese Analysen dann, wenn sie angewendet werden, um das Bild des „Anderen“ zu konstruieren und sich vom Bösen abzusetzen. So vor allem die Analysen, die das Trauma der Vergangenheit und den (nicht hinreichenden) Umgang damit als Schlüssel zum Verständnis der heutigen russischen Gesellschaft darbieten.

Exemplarisch dafür kann die Analyse des Slawisten und Kulturpsychologen Gasan Gusejnov gelten. Die Erfahrung des Stalinismus und Probleme der sowjetischen Gesellschaft mit „Vergangenheitsbewältigung“ nutzt er als Erklärung für die gegenwärtigen Probleme der Russen mit ihrer Politik. Den Zerfall der Sowjetunion 1991 stellt er neben die Stunde Null in Deutschland (!) und allein dieser Ansatz, 1991 und 1945 zu vergleichen, macht die Schrägheit der Trauma-Analyse überdeutlich. 1945 war der Nationalsozialismus in seiner höchsten, radikalsten und mörderischsten Phase am Ende des Krieges angelangt. Dies mit der spätsowjetischen Zeit zu vergleichen und zu fragen, warum 1991 nicht als Befreiung wahrgenommen wurde, ist eine Verabschiedung von der Empirie. 

Etwas mit psychologischen Begriffen zu pathologisieren kann helfen, sich von Akteuren bzw. Diskursen abzugrenzen, sie als etwas Fremdartiges darzustellen. Die Strategie ist universell und sehr bequem. Gegenüber Russland helfen dabei solche Begriffe wie „post-imperiales Syndrom“ oder „homo sovieticus“. Psychologisierung meint dann auch immer affektive, auf (negative) Emotionen gerichtete Deutungsangebote. Dass es einmal anders war, zeigt u.a. das weit bekannte universalistische Konzept Hannah Arendts „Banalität des Bösen“: Das Böse ist dem Menschen immanent, jeder von uns kann durch bestimmte Frakturen zu einem Täter werden, die Gewalt kann eine Dynamik entwickeln, die wir in unseren gesellschaftlichen Strukturen nicht mehr kontrollieren können. Dieses Konzept ist passé. 

Schließlich hat auch Russland, womöglich die letzte Bastion der heroischen Erinnerungskultur in Europa, für sich die Opferrolle entdeckt. Seit 2020 ist in Russland eine erinnerungspolitische Offensive von ungesehenem Ausmaß zu erkennen. Staatliche und gesellschaftliche Akteure bringen den Schrecken des Krieges an die Öffentlichkeit. Sie sprechen von Opfern unter Zivilisten in den besetzten Gebieten der Sowjetunion und vom „Genozid“. Dieser aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs aktualisierte Diskurs ist enorm emotionalisierend, enorm moralisierend – und deswegen enorm handlungsleitend. Die Geschichtspolitik in Bezug auf den Krieg ist nun nicht mehr nur Siegestriumph, sondern ein Genozid-Diskurs, der erlaubt, alte normativ und emotional aufgeladene Begriffe wie „Faschisten“, „Nazis“, „Kollaborateure“, „Okkupation“ ins Gedächtnis zu rufen und neu zu besetzen.

Spätestens hier sollte uns diese Konjunktur des Genozid-Begriffes zu denken geben. Hat etwa die inflationäre Nutzung der Begriffe des Genozids, des Traumas, des Opfers zu ihrer Aushöhlung geführt? Wann ist es zu viel an Emotionen und Sentimentalität, wann versperren sie uns den Blick auf die Vergangenheit? Bereits Reinhart Koselleck stellte fest: „Wo alle Opfer sind, gibt es keine Täter“16. Das Opfersein ist heute, erinnerungskulturell gesehen, eine ungemein bequeme soziale Rolle. Es verwischt die Grenzen zu Holocaust als einem einzigartigen Geschehen der Geschichte, wird doch mittlerweile vom „sowjetischen Holocaust“ (litauische Opfer des Stalinismus) oder dem „ukrainischen Holocaust“ (ukrainische Opfer des Holodomors) gesprochen. 

Ob unsere inflationäre Nutzung der Begriffe, die Verwischung der Gewissheiten über die Singularität, die Rhetorik von „memory wars“, Erinnerungskriegen, „erinnerungskulturellem Schlachtfeld“ zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wurde? „Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“, hieß es bei Nietzsche. Beschwört man die „memory wars“ weiter, führen sie womöglich zu echten Kriegen.

Fußnoten
16

Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London 2016.

Francois Hartog: Regimes of HIstoricity. Presentisme and the Experiences of Time. CU Press 2016.

Begriff „ontological insecurity“: Jelena Subotic: Yellow Star, Red Star. Holocaust Remembrance after Communism. Cornell University 2019, S. 27.

Kultur der Wunde = Wound Culture, siehe: Mark Seltzer: Serial Killers. Death and Life in America’s Wound Culture. New York 1998.

Ulrike Jureit, Christian Schneider: Gefühlte Opfer: Illusionen der Vergangenheitsbewältigung. Klett Verlag 2010; Vamik Volkan: Transgenerational Transmissions and Chosen Traumas: An Aspect of Large Group Identity. In: Group Analysis, Nr. 34, 1, 2001, S. 79-97; Victimhood Olympics. In: Russia in global Affairs. 24.12.2020.

Enzo Traverso: Linke Melancholie. Über die Stärke einer verborgenen Tradition. Unrast Verlag 2019.

Arkady Zeltser: Unwelcome memory: Holocaust Monuments in the Soviet Union. Jurusalem 2018. 

James E. Young : Nach-Bilder des Holocaust in zeitgenössischer Kunst und Architektur. Hamburg, 2002.

Dan Diner: Negative Symbiose. Deutsche und Juden nach Auschwitz. In: Ders. (Hrsg.): Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und Historikerstreit. Frankfurt a.M. 1986.

Henry Rousso: Le Syndrome de Vichy 1944 a nos jous. Paris 1987.

Wolf Kansteiner: Finding Meaning in Memory. A methodological critique of collective memory studies. In: History and Theory. Vol. 41, Nr. 2, 2002, S. 179-197.

D. LaCapra:History and Memory after Auschwitz. Ithaca 1998.

Deborah Nelson: Denken ohne Trost. Berlin 2022, S. 15.

Alexander Etkind: Warped Mourning. Stories of the Undead in the Land of the Unburied. Stanford 2013. Siehe die Rezension der Autorin hier: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-20198

Reinhart Koselleck: Die Diskontinuität der Erinnerung. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Jg. 47, 1999, S. 213-222, hier S. 216.

Tags

Verwandte Artikel

Die Idee der „ontologischen Unsicherheit“ ist das Gegenstück zur „ontologischen Sicherheit“/„Seinsgewissheit“. Ontologische Sicherheit ist das Vertrauen eines Menschen in seine Umwelt, seine Identität und die Gesellschaft, in der er lebt. Ontologische Unsicherheit ist ein Negativzustand: Es gibt kein Vertrauen in den Staat oder die Gesellschaft.

Die Konstellation von geographischen Namen (Toponymen) wie etwa Landschaftsbezeichnungen oder Ortsnamen, mit denen Erinnerungsereignisse verbunden werden.

Diskussionen
0 Kommentare
Es gibt neue Kommentare!
Te.ma befindet sich im Archiv-Modus und daher ist die Kommentarfunktion deaktiviert.

Noch keine Kommentare

te.ma sammelt keine Cookies. Um mit der Allgemeinen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) übereinzustimmen, müssen wir dich aber informieren, dass von uns eingebundene externe Medien (z.B. von YouTube) möglicherweise Cookies sammeln. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.