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Das rationale Kalkül des Globalen Südens

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Yevgeny Ivanov, Ashish Sing2022
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Das rationale Kalkül des Globalen Südens

»The Russia - Ukraine Crisis: The Global South Perspective«

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Geschrieben von Sebastian Hoppe

Bei te.ma veröffentlicht 22.11.2022

Geschrieben von Sebastian Hoppe
Bei te.ma veröffentlicht 22.11.2022

Glaubt man Yevgeny Ivanov und Ashish Singh von der Higher School of Economics in Moskau, so haben die Länder des Globalen Südens gute Gründe, einen anderen Blick auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu werfen als der Globale Norden.

Gemessen am Abstimmungsverhalten in der UN-Vollversammlung vom 2. März 2022 divergieren die Positionen des Globalen Südens und des „kollektiven Westens” deutlich. Etwa ein Viertel aller Länder stimmte der Resolution, Russland solle sofort seine Truppen aus der Ukraine abziehen, nicht zu. 

Ivanov und Singh führen hierfür eine Reihe von Faktoren an. So seien die Rohstoffexporte und kulturellen Verbindungen Russlands in Entwicklungsländer wichtiger als zunächst von westlichen Entscheidungsträgern angenommen. Auch die multipolare Weltordnung, für die Russland eintrete, komme diesen Staaten entgegen. Statt sich auf einen einzigen Hauptpartner festzulegen, erlaube es Multipolarität, flexible Bündnisse und Partnerschaften einzugehen. Die westliche Kolonialgeschichte, vor allem in den Gesellschaften Afrikas und Asiens, sowie ein zuteils tief sitzender Antiamerikanismus würden zudem verhindern, dass sich diese Länder ohne Weiteres auf die Seite des Westens schlagen, auch dann, wenn Russlands Krieg abgelehnt wird. Auch sei die Gewalterfahrung eine andere. Während es in der westlichen Hemisphäre seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem Rückgang gesellschaftlicher Gewalt gekommen sei, bildeten militärische Konflikte und Gewaltausbrüche in vielen Ländern des Globalen Südens keine Ausnahmen, sondern die Regel. 

Gleichwohl arbeitet Russland seit Kriegsbeginn selbst daran, die Länder des Globalen Südens zu verprellen. So waren es russische Kriegsschiffe, die de facto die Ausfuhr von Getreide aus ukrainischen Häfen blockierten – und nicht westliche Sanktionen. Auch haben Länder wie China und Indien kein Interesse an einer dauerhaften und tiefen Destabilisierung des europäischen Marktes, der für sie immer noch zentral ist. Schließlich muten Russlands nukleare Drohgebärden befremdlich an. Weder haben die Nuklearmächte Indien und China Interesse an einer Abkehr vom nuklearen Tabu noch wollen viele kleinere Länder des Globalen Südens selbst Opfer der nuklear bewaffneten regionalen Großmächte werden.

Somit überschätzen Ivanov und Singh möglicherweise das Verständnis nicht-westlicher Länder für Russlands Krieg. Zwar mag die russische Regierung bei ihrem Vorgehen in der Ukraine auf die stille Zustimmung des Globalen Südens gesetzt haben. Allerdings besteht auch dieser aus Ländern mit verschiedenen Interessen, die sich nicht kollektiv und bedingungslos für die Kriegsziele Putins instrumentalisieren lassen. Nicht zuletzt, so Kenias Botschafter bei den Vereinten Nationen, Martin Kimani, sei es für den Globalen Süden „eine Sackgasse, die Glut toter Imperien zu schüren“.

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Der „kollektive Westen” ist ein Begriff , der seit etwa Mitte der 2000er Jahre vermehrt im russischen politischen Diskurs Verwendung findet. Er orientiert sich am Begriff des „Westens”, der insbesondere nach dem Ende des Kalten Krieges als Selbstbeschreibung für eine lose kulturelle, ökonomische und politische Gruppe von Staaten verwendet wurde, die vor allem Nordamerika, West- und Zentraleuropa sowie einzelne pazifische Staaten wie Japan, Südkorea und Australien umfasst. "Kollektiver Westen" hat sich in Russland selbst mittlerweile zu einem pejorativen Begriff entwickelt, der die vermeintliche Feindschaft westlicher Staaten gegenüber Russland ausdrücken soll.

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