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Der Blick der Geschichtswissenschaft auf den Holodomor

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Der Blick der Geschichtswissenschaft auf den Holodomor

»The Causes of Ukrainian Famine Mortality, 1932-33«

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Geschrieben von Hera Shokohi

Bei te.ma veröffentlicht 05.04.2023

Geschrieben von Hera Shokohi
Bei te.ma veröffentlicht 05.04.2023

Die Geschichtswissenschaft debattiert darüber, ob der Holodomor als Genozid zu bewerten ist oder nicht. Dabei sind die Historiker:innen in ihrer konkreten Urteilsfällung eher zurückhaltend. Eine aktuelle Studie von Wirtschaftswissenschaftler:innen über die Sterblichkeitsrate im Holodomor wirft ein neues Licht auf die genozidale Intention der Hungersnot.

Andrei Markevich, Natalya Naumenko und Nacy Qian drängen mit ihrer Arbeit auf eine Neubewertung der Genozidfrage des Holodomors: In ihrer 2022 erschienenen Studie The Causes of Ukrainian Famine Mortality werten sie historische Daten und Dokumente aus der Sowjetunion aus, um Erklärungen für die drastische Sterblichkeitsrate der Ukrainer:innen im Holodomor zu finden.

In ihrer Arbeit setzen sie sich mit zwei gängigen Positionen auseinander: Ukrainian bias und no bias. Die Position des Ukrainian bias geht davon aus, dass es eine anti-ukrainische Gesinnung in der sowjetischen Führung gab, die zu einer Verschärfung der Hungersnot geführt hat. No-bias-Positionen hingegen nehmen an, dass es keine gezielt anti-ukrainische Politik gab und die Sterblichkeit das Resultat von Zufällen und Unglück war. 

Markevich, Naumenko und Qian kommen zum Schluss, dass sich die hohe Zahl von Toten in der Ukraine während der Hungersnot tatsächlich nur durch eine anti-ukrainische Gesinnung erklären lässt. Die Wissenschaftler:innen zeigen, dass Gebiete, in denen ethnische Ukrainer:innen lebten, eine höhere Sterblichkeitsrate aufweisen – auch in Orten, die außerhalb der Ukraine lagen. Gebiete an der russisch-ukrainischen Grenze, die eine große russische Bevölkerung aufwiesen, hatten wiederum eine geringere Sterblichkeitsrate. Zudem sei die Getreideabgabequote während der Zwangskollektivierung in ukrainisch besiedelten Gebieten viel höher als in anderen Regionen der Sowjetunion gewesen. 

Während in der Geschichtswissenschaft aufgrund der uneindeutigen Quellenlage Zurückhaltung bei der Beurteilung der Genozidfrage herrscht, regt die Arbeit von Markevich, Naumenko und Qian dazu an, den Genozidbegriff zu überdenken. Für die Einstufung eines Verbrechens als Genozid ist unter anderem ein deutlich geäußerter Vernichtungswille notwendig. Diesen beim Holodomor nachzuweisen, ist aufgrund der Quellenlage nicht möglich. Dokumente, in denen Stalin die Vernichtung der Ukraine anordnete, gibt es nicht. Gleichzeitig wurde das Massensterben durch Hunger in Kauf genommen. Dies gilt es nun neu zu bewerten, da die Ergebnisse der Studie deutlich aufzeigen, dass es eine genozidale Gewalt gab, die direkt gegen Ukrainer:innen gerichtet war, ohne dass diese explizit geäußert wurde.

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Die Zwangskollektivierung in der Sowjetunion war Teil des Fünfjahresplans. Der erste Fünfjahresplan trat 1928 in Kraft und sollte die Industrialisierung der UdSSR vorantreiben und die Bauern in die sowjetischen Wirtschaftsstrukturen eingliedern. Ziel der Zwangskollektivierung war es, die Bauern in Kolchosen, landwirtschaftliche Großbetriebe des Staates, zu drängen.

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