Zahlreiche Studien haben untersucht, wie sich die kognitiven Fähigkeiten von einsprachigen und mehrsprachigen Menschen unterscheiden. Je nach Methode und Anzahl der Teilnehmenden kommen diese Studien zu mehr oder weniger belastbaren Ergebnissen. Oftmals werden Studien auch repliziert, um herauszufinden, ob sich Ergebnisse von einer auf andere Gruppen übertragen lassen. So gibt es einige Tests, die aufgrund auffälliger Effekte in den Kognitionswissenschaften bekannt geworden sind und die auf ganz bestimmte Fähigkeiten hinweisen. Eine davon ist die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen – also Empathie zu entwickeln.
Untersucht wurde genau dies auch in der hier vorgestellten Studie von Rubio-Fernández und Glucksberg. Der Versuchsaufbau des Experiments basiert auf dem sogenannten Sally-Anne-Test. Wie andere Tests der sogenannten „false-belief“-Kategorie geht es auch hier darum, für eine Sichtweise zu argumentieren, von der die Teilnehmenden wissen, dass sie falsch ist. Auf diese Weise können Forschende feststellen, ob Kinder die Perspektive einer anderen Person einnehmen können. Das Experiment läuft folgendermaßen ab:
Dem teilnehmenden Kind werden zwei Charaktere vorgestellt: Sally und Anne. Beide haben eine Puppe und einen Behälter, in dem sie aufbewahrt wird. Sallys Puppe gehört in eine Kiste und Annes Puppe in einen Korb. Anne legt ihre Puppe in den Korb und geht nach Hause. Während Anne weg ist, holt Sally Annes Puppe wieder heraus und legt sie in ihre Kiste. Einige Zeit später kommt Anne wieder und dem Kind wird die Frage gestellt: „Wo wird Anne ihre Puppe suchen?“
Für Erwachsene und ältere Kinder ist dieser „false belief“-Test leicht: Sie antworten in der Regel alle korrekterweise, dass Anne als Erstes im Korb nachschauen wird. Sie können sich also in Anne hineinversetzen und verstehen, dass Anne nicht das Gleiche gesehen hat wie sie selbst. Vorherige Studien
Paula Rubio-Fernández und Sam Glucksberg stellten sich nun die Frage, ob sich der Vorsprung der bilingualen Kinder noch bis ins Erwachsenenalter auswirkt. Um dies zu beantworten, rekrutierten die Forschenden 46 Studierende der Princeton University: 23 monolinguale und 23 bilinguale. Die bilingualen Studierenden hatten ihre zusätzliche Sprache im Alter von unter neun Jahren erlernt und sie mindestens zehn Jahre lang regelmäßig verwendet. Die dominante Sprache aller Teilnehmenden war Englisch und auch ihr IQ wies keine signifikanten Unterschiede auf.
Während des Sally-Anne-Tests wurden die Augenbewegungen der 46 Studierenden gemessen. Obwohl alle die richtige Antwort auswählten, stellten Rubio-Fernández und Glucksberg einen Unterschied zwischen der bilingualen und der monolingualen Gruppe fest: Von den Bilingualen wählte die Mehrheit die richtige Antwort direkt aus, ohne vorher den anderen Behälter anzusehen. Der überwiegende Anteil der monolingualen Teilnehmenden jedoch sah zuerst den Behälter an, von dem sie selbst wussten, dass er das Spielzeug enthält. Erst dann wählten sie die richtige Antwort aus.
Die Forschenden führen diesen Effekt auf ein Phänomen namens „egocentric bias“ (egozentrische Voreingenommenheit) zurück: Unterbewusst bewerten wir die eigenen Überzeugungen besser als die von anderen Personen. Die eigenen Überzeugungen sind für das Gehirn schneller griffbereit, während es kognitiv aufwendiger ist, sich in eine andere Person hineinzuversetzen und für ihre Sichtweise zu argumentieren.
Warum sind Bilinguale anscheinend weniger vom „egocentric bias“ betroffen als Monolinguale? Rubio-Fernández und Glucksberg bieten zwei Erklärungsansätze: Einerseits könnte es mit der
Nach dem Lesen der Studie stellen sich eine Reihe von Fragen, deren Beantwortung weitere Forschung in diesem Bereich erfordert. Liegt das bessere Abschneiden der Bilingualen an den tatsächlichen Sprachkenntnissen, oder hat es auch etwas mit deren Bikulturalität zu tun? Wird die Fähigkeit, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen, auch verbessert, wenn später im Leben eine neue Sprache erlernt wird? Für mehrsprachige Eltern könnte die Studie ein weiterer Mutmacher sein, mehr als eine Sprache an ihre Kinder weiterzugeben. Diese können dann nicht nur mit ihren Sprachkenntnissen, sondern auch mit ihren kognitiven Fähigkeiten flexen.