Dass wir nicht alle das Gleiche hören, wenn von Lehrern, Künstlern oder Verkäufern gesprochen wird, wissen wir mittlerweile nur zu gut . Der Streit darüber, welche Geschlechter das generische Maskulinum repräsentieren kann, wird zumeist zwischen deutschen erwachsenen Sprecher*innen ausgefochten. Doch Erwachsene haben nicht nur ihre Muttersprache bereits vollständig erworben, sie haben auch gefestigte Vorstellungen von ihrer eigenen Identität, von sozialen Kategorien wie Geschlecht und eine politische Haltung dazu. Außerdem haben sie zumeist bereits einen Beruf, über den sie entweder im generischen Maskulinum, mit
Vergessen werden oftmals diejenigen Menschen, deren Kindheit in diese Zeit des sprachlichen Umbruchs fällt und deren professionelle Laufbahn noch in der Zukunft liegt. Dries Vervecken, Bettina Hannover und Ilka Wolter von der Freien Universität Berlin haben sich 2013 erstmals mit dieser Kohorte beschäftigt. Sie untersuchten die Auswirkungen gendergerechter Formen bei Grundschulkindern der Jahrgänge zwischen 2000 und 2007. Dabei wollten sie herausfinden, ob inklusive Sprache frühzeitig Berufsperspektiven und Selbstwahrnehmung beeinflussen kann. Ihre Annahme dabei war, dass vor allem Mädchen von einer gerechteren Sprache profitieren. Die drei Forscher*innen bauen auf Studienergebnissen auf, die zeigen, dass erwachsene Frauen sich von Berufsannoncen eher angesprochen fühlen, wenn diese gendergerecht verfasst sind. Gleichermaßen von Bedeutung war aber auch die Frage, was die veränderte Sprache mit jungen männlichen Erwachsenen macht.
Zum Ende der 2010er Jahre war eine der geläufigsten Formen für gendergerechtes Sprechen die Beidnennung, man hörte hierzulande z.B. von Schriftstellern und Schriftstellerinnen oder Geschäftsmännern und Geschäftsfrauen. Um die Sprach- und Kulturgebundenheit der Maßnahmen als Faktor mit aufzunehmen, befragten die Psycholog*innen neben deutschsprachigen Kindern auch flämische, für die entsprechend von beispielsweise schrijvers en schrijfstersbzw. zakenmannen en zakenvrouwen die Rede war. Das flämische Niederländisch unterscheidet wie das Deutsche drei
In drei Experimenten untersuchten sie nun an insgesamt 809 Menschen im mittleren Kindesalter den Effekt, den die Verwendung des generischen Maskulinums gegenüber der Beidnennung auf die Assoziationen und Gefühle zu männlich dominierten Berufen hervorruft. Da experimentelle Arbeit mit Kindern unter Laborbedingungen logistisch äußerst kompliziert ist, griffen Vervecken und seine Kolleginnen auf das Schulsystem zurück und realisierten die Datenerhebung im Unterricht. Innerhalb der Klassenverbände verlasen die Lehrkräfte die Berufsbezeichnungen entweder als generische Maskulina oder in Beidnennung, gefolgt von einer kurzen Definition, um das korrekte Verständnis sicherzustellen. Für jeden Berufsbegriff beantworteten die Kinder danach die einfache, aber aufschlussreiche Frage: „Welchen Namen würdest du dieser Filmfigur geben?“ – beleuchtet wurde hierbei der Frauenanteil in der Vorstellung der Kinder. An anderer Stelle trugen sie auf Skalen ihre Einschätzung der Erfolgschancen für Frauen in dem Beruf ein oder ihr Interesse, diesen Beruf selbst einmal auszuüben.
Die Ergebnisse sind eindeutig: In allen Experimenten waren die Antworten signifikant geschlechtsausgewogener, wenn die Beidnennungsvariante verwendet wurde, unabhängig vom Geschlecht der Kinder selbst und auch von ihrer Muttersprache. Die Gruppe der flämischen Kinder zeigte gegenüber den deutschsprachigen noch ausgeprägtere Stereotype, die sich aber durch die Beidnennung auflösen ließen.
Vervecken, Hannover und Wolter leiten aus ihren Ergebnissen ab, dass Kinder die in Berufsbezeichnungen enthaltenen Genusinformationen in ihr entstehendes soziales Bild integrieren. Bei Beidnennung dachten die Kinder öfter auch an Frauen für die Berufe und konnten sich eher vorstellen, dass Frauen darin erfolgreich sind. Wenn Mädchen von Berufen nur im Maskulinum hörten, sank ihr Interesse an ihnen. Umgekehrt blieb das Interesse von Jungen an Berufen von gegenderten Formen unangetastet. Dies ist wenig überraschend, denn sie blieben ja durch die Beidnennungsform weiter explizit benannt. Letzteres Ergebnis ist auch dahingehend interessant, dass die Repräsentation männlicher Personen durch Bezeichnungen in Studien dieser Art zumeist nur als Vergleichsmaß gilt. Dies ist angesichts der Benachteiligung von Frauen und nicht-binärer Personen im beruflichen Umfeld sicherlich wohlmotiviert – aber gerade für Kinder, die sich erst noch im Findungsprozess befinden, ist eine Gleichberechtigung in alle Richtungen untersuchenswert.
Die Studie von Vervecken, Hannover und Wolter ist mittlerweile ein Jahrzehnt alt, und Diskurs und Sprachpolitik haben sich weiterentwickelt. Formen wie das Gendersternchen sind mittlerweile geläufiger geworden und gehen dem Phänomen auf andere Weise auf die Spur. Statt einer binären Bezeichnung finden Kinder nun Formen wie Schriftsteller*innen und Geschäftsperson vor, die Männer wie Frauen gleich stark – oder gleich wenig – direkt benennen. Gleichzeitig bleibt Platz für andere Geschlechtsidentitäten. Eine kürzlich erschienene Replikationsstudie (mit Erwachsenen) zeigt, dass die Sternchenform im heutigen Sprachumfeld einen deutlich stärkeren Einfluss als die Beidnennung hat. Neue Studien zur Wirkung der aktuellen Formen auf Kinder sind auch im Hinblick auf die Repräsentation von Jungen und Kindern mit nicht-binärer Geschlechtsidentität gefragt.
Die Sprache der Erwachsenen spiegelt etwas Gesellschaftliches wider, eine Haltung zum Status quo. Man entscheidet sich, zu gendern, egal wie man es tut, oder es eben zu lassen. Dies ist eine Besonderheit der gerade berufstätigen Generationen: Sie durchleben die sozialen und linguistischen Effekte der Geschlechtergleichberechtigung zu einem Zeitpunkt, an dem viele prägende Entscheidungen für ihr eigenes Leben bereits lange getroffen sind. Vielleicht fällt es auch gerade deshalb so schwer, sich auf Veränderungen einzulassen: Man selbst ist schließlich auch seinen Weg gegangen, ohne Beidnennungen, Binnen-I oder Sternchen, die wegweisend leuchteten. Ob man in einer sprachlich geschlechtergerechteren Welt einen anderen Pfad eingeschlagen hätte, das ist heute schwer zu sagen. Die Kinder der ursprünglichen Studie sind jedenfalls längst auf dem Weg ins Berufsleben und haben bald selbst Kinder.