Eines vorweg: In Finnland werden natürlich nicht ausschließlich Finnisch und Schwedisch gesprochen, auch am nördlichen Ufer der Ostsee bestanden schon immer rege Kontakte zwischen Sprecher*innen verschiedener Sprachen.
Unter den in Finnland gesprochenen Sprachen nimmt das Schwedische eine Sonderstellung ein: Es ist eine der zwei Nationalsprachen Finnlands und damit dem Finnischen dem Gesetz nach gleichgestellt.
Die Schwedischsprachigen in Finnland werden als Finnlandschwed*innen bezeichnet. Dieser Begriff scheint zu implizieren, es handele sich um in Finnland ansässige Schwed*innen (so wie etwa Afrodeutsche Deutsche sind). Der Name ist historisch bedingt, heute versteht man unter Finnlandschwed*innen schwedischsprachige Finn*innen. Zu den weltweit bekanntesten Finnlandschwed*innen gehören die vielseitige Künstlerin und Mutter der Mumin-Figuren, Tove Jansson, sowie der Entwickler des
Von der Sprache der Elite zum Sprachenstreit
Zwischen den Völkern östlich und westlich des Bottnischen Meerbusens bestanden schon lange rege Beziehungen, sei es aufgrund von Handel oder der Christianisierungsbestrebungen aus Schweden im 12. Jahrhundert. Ab 1323 wurde der südwestliche Teil des heutigen Finnlands zu einer Provinz des Schwedischen Reiches und Schwedisch zur dominierenden Sprache in Verwaltung, Bildung und Religion. Finnisch sprach zu dieser Zeit vor allem die einfache Bevölkerung auf dem Land.
Infolge des
1917 erlangte Finnland seine Unabhängigkeit. Zu dieser Zeit hatte das Finnische durch seine Präsenz in der Verwaltung und in der Gesellschaft die schwedische Sprache bereits hinter sich gelassen. Mit der Gründung der Republik 1919 wurden im ersten Grundgesetz Finnisch und Schwedisch als gleichberechtigte Nationalsprachen festgeschrieben.
In den frühen 1930er Jahren begann sich das Verhältnis zwischen den Finnisch- und Schwedischsprachigen zu verschlechtern und es kam zum sog. Sprachenstreit. Verschiedene finnischsprachige Kräfte forderten, dass die Universität in Helsinki oder sogar ganz Finnland einsprachig finnischsprachig werden sollte, was bei den Schwedischsprachigen Gegenreaktionen auslöste. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beendete den Sprachenstreit und hatte letztlich eine vereinende Wirkung. Zu solch grundlegenden Auseinandersetzungen zwischen den sprachlichen Bevölkerungsgruppen kam es seitdem nicht mehr.
Grundlagen für eine funktionierende Zweisprachigkeit
Heute kann Finnland hinsichtlich seiner schwedischsprachigen Bevölkerung als Musterbeispiel für andere mehrsprachige Länder gelten: Viele Forderungen von Sprecher*innen weniger verbreiteter Sprachen sind im Fall der Finnlandschwed*innen bereits erfüllt. Dazu gehören vor allem die rechtliche Verankerung der Sprache im Grundgesetz und die weitgehenden sprachlichen Rechte im Sprachen- und in anderen Gesetzen. Mit dem Folktinget gibt es eine Organisation, die u.a. dort die Interessen der Schwedischsprachigen vertritt, wo sie ihre sprachlichen Rechte nicht nutzen können. Weiterhin gibt es Institute und Einrichtungen, die den Erhalt und den Ausbau der schwedischen Sprache in Finnland und der finnlandschwedischen Kultur fördern. Im Parlament setzt sich die Schwedische Volkspartei (SFP) traditionell für die Belange der schwedischsprachigen Bevölkerung Finnlands ein.
Dank der Sprachenpolitik und der Konzentration der Schwedischsprachigen in den Küstenregionen besteht dort eine gut ausgebaute schwedischsprachige Infrastruktur, sodass in diesen Gebieten lange ein Leben ohne Finnischkenntnisse möglich war.
Sprachliche Rechte und Pflichten
Die sprachlichen Rechte von Privatpersonen und die Pflichten der Behörden im Allgemeinen durch das Sprachengesetz und im Spezifischen durch weitere Gesetze und Verordnungen geregelt.
Der Umfang der sprachlichen Rechte und Pflichten wird durch den sprachlichen Status einer Gemeinde bestimmt, der wiederum auf der sprachlichen Zusammensetzung der Bevölkerung basiert: Eine Gemeinde ist zweisprachig, wenn mindestens 3.000 Einwohner*innen oder mindestens acht Prozent der Einwohner*innen die weniger verbreitete der beiden Sprachen sprechen, ansonsten ist sie einsprachig finnisch- oder schwedischsprachig.
Vom Gesundheitswesen über die Polizei bis hin zu Ämtern und Behörden – in zweisprachigen Gemeinden sind die Behörden verpflichtet, mit den Menschen in der von ihnen bevorzugten Sprache, Finnisch oder Schwedisch, zu kommunizieren.
Die Grundlage dafür, dass eine staatliche und kommunale Infrastruktur überhaupt auf zwei Sprachen aufrechterhalten werden kann, wird bereits in der Schule gelegt. Denn das finnische Bildungssystem existiert in zweisprachigen Gebieten und einigen anderen Städten vom Kindergarten über die Schule bis hin zur Universität sowohl auf Finnisch als auch auf Schwedisch. So können Finnisch- und Schwedischsprachige gleichermaßen Unterricht in ihrer jeweiligen Muttersprache erhalten. Damit keine sprachlichen Parallelgesellschaften entstehen, sind Finnisch- und Schwedischsprachige verpflichtet, mehrere Jahre lang auch die jeweils andere Sprache zu lernen.
Finnland orientierte sich bis weit ins 20. Jahrhundert stark an Schweden. Auch heute arbeiten die nordischen Staaten und ihre Institutionen noch immer eng zusammen. Mit der Aufnahme Finnlands in die Europäische Union 1995 und der allgemeinen Zunahme der Globalisierung im 21. Jahrhundert wendet sich Finnland aber auch verstärkt nach Europa. Und während im 19. Jahrhundert viele Menschen von Finnland nach Schweden und Nordamerika emigrierten, ist Finnland in den letzten Jahrzehnten zu einem Einwanderungsland geworden, das Menschen aus aller Welt anzieht. Diese Veränderungen stellen die Zweisprachigkeit Finnlands ebenso vor neue Herausforderungen wie der zunehmende Neoliberalismus.
Wolken über dem Paradies16
Trotz der rechtlichen Gleichstellung der finnischen und der schwedischen Sprache in Finnland finden sich die Sprecher*innen im Alltag dennoch oft in unterschiedlichen Positionen wieder.
Finnisch ist im überwiegenden Teil des Landes die vorherrschende Sprache und hält auch in die traditionell am stärksten schwedischsprachig geprägten Gebiete an der finnischen Westküste Einzug. Wie Erfahrungen zeigen und Untersuchungen bestätigen, ist es für Finnischsprachige dort leicht, in Kundensituationen auf Finnisch bedient zu werden, während Schwedischsprachige selbst in größeren zweisprachigen Städten oft nicht von ihren sprachlichen Rechten Gebrauch machen können. Dies betrifft so zentrale Bereiche wie den Notruf, die ärztliche Versorgung, aber auch die Polizei. Selbst die Post hat Probleme bei der Zustellung von auf Schwedisch adressierten Sendungen.
Die Basis für eine funktionierende Zweisprachigkeit sind Kenntnisse der jeweils anderen Sprache. Die Voraussetzungen dafür sind deutlich geschwächt, seit die Prüfung in der anderen Sprache im Abitur nicht mehr verpflichtend ist. Während Schwedischsprachige weiterhin Finnisch lernen, da ihnen ohne gute Finnischkenntnisse viele Möglichkeiten auf dem finnischen Arbeitsmarkt verwehrt bleiben, führte die Abschaffung bei Finnischsprachigen zu einem Einbruch in den Schwedischkenntnissen.
Anders als frühere Generationen orientieren sich junge Finn*innen nicht mehr nur nach Schweden, sondern weltweit. Das Englische zieht in Form von Apps und Online-Computerspielen schon früh in die Kinderzimmer ein. Eingewanderte in den urbanen Räumen sprechen meist besser Englisch als Finnisch; die Integration auf Schwedisch hingegen steckt in den Kinderschuhen. Da verwundert es nicht, wenn weder Finnisch- noch Schwedischsprachige Schwedisch als potenzielle gemeinsame Sprache ansehen und Finnischsprachige Schwedisch als Pflichtfach in der Schule abgeschafft sehen wollen.
Spätestens seit den 2010er Jahren hat zudem der Rechtspopulismus in Finnland Fuß gefasst. Seitdem wird die Zweisprachigkeit in Finnland wieder verstärkt diskutiert. Der raue Ton gegenüber allem Schwedischen in Finnland hat zur Folge, dass sowohl Finnisch- als auch Schwedischsprachige das Verhältnis zwischen den Sprecher*innengruppen im Allgemeinen als deutlich angespannter empfinden als auf der persönlichen Ebene.
Alles in allem bilden starke Sprachengesetze die Voraussetzung für eine funktionierende Zweisprachigkeit. Gesetze an sich können jedoch kein gutes Verhältnis zwischen den Sprecher*innen verschiedener Sprachen verordnen. Gleichzeitig sind sich Finnisch- und Schwedischsprachige einig, dass Sprachkenntnisse der jeweils anderen Sprache die Grundlagen für ein gutes Miteinander bilden.
Sprachkontakte: Finnlandschwedisch zwischen Schwedisch und Finnisch
Kontakte zwischen Kulturen zeigen sich nicht nur in der Verbreitung von Wissen, Fertigkeiten und neuen Techniken, sie hinterlassen auch Spuren in den Sprachen. Lange war der Einfluss der schwedischen Sprache auf das Finnische stärker, heute ist es eher umgekehrt.
Einerseits gibt es viele ältere germanische – genauer gesagt: schwedische – Lehnwörter im Finnischen, die ohne Kenntnisse der Sprachgeschichte kaum zu erkennen sind, etwa finn. tuoli (von altschwed. stol „Stuhl“). Neue Lehnwörter dagegen wurden nur leicht an das Finnische angepasst, z.B. presidentti (schwed. president „Präsident*in“).
Umgekehrt haben es in jüngerer Zeit auch einige Wörter der finnischen Umgangssprache in die finnlandschwedische geschafft, etwa roskis ‚„Papierkorb“, Kiva! „Toll!“. So wie in der finnischen gesprochenen Sprache kann auch im Finnlandschwedischen am Ende eines Wortes ein Vokal oder ein Konsonant ausfallen: int statt inte „nicht“, huse statt huset „das Haus“.
Das in Finnland gesprochene Schwedisch ist zwar keine eigene Sprache, aber seit Finnland kein Teil Schwedens mehr ist, haben sich die beiden
So wird auf der Lautebene die Konsonantenverbindung rs wie in Helsingfors (schwedischer Name der Stadt Helsinki) im Finnlandschwedischen als rs ausgesprochen, in Schweden dagegen als sch. Während das in Schweden gesprochene Schwedisch eine Tonsprache ist (wie z.B. auch Chinesisch) und das Wort tomten mit einer Betonung (tómten) „Grundstück“ bedeutet, mit zwei Betonungen (tómtén) aber „Wichtel“, klingen beide Wörter im Finnlandschwedischen gleich. Die Satzmelodie klingt ebenfalls unterschiedlich: Während die Schwed*innen „singen“, klingt das Finnlandschwedische vergleichsweise monoton.
Im Satzbau unterscheiden sich die beiden Varietäten des Schwedischen nur wenig, jedoch kann die Verneinung int(e) „nicht“ im Finnlandschwedischen auch am Satzanfang stehen: int vet jag statt sonst jag vet int(e) „ich weiß nicht“. Mit Verben wie betala, låna und sälja wird im Finnlandschwedischen die Präposition åt statt till verwendet (wörtlich: „etwas an statt zu jemanden bezahlen / leihen / verkaufen „jemandem etwas bezahlen / leihen / verkaufen“).
Einige finnlandschwedische Dialekte weisen Züge auf, die aus den Dialekten Schwedens längst verschwunden sind. Die Mitglieder der Gruppe KAJ rappen im Song Kom ti byin (dt. „Komm aufs Dorf“) auf ihrem österbottnischen Heimatdialekt darüber, wie es ist, auf dem Land aufzuwachsen. Auf ironische Weise verbinden sie in ihrer Musik den oft als archaisch empfundenen Dialekt und ländliche Themen mit einem äußerst urbanen Musikgenre. Zum Vergleich kann man sich auf der Seite des finnischen öffentlich-rechtlichen Senders Svenska Yle die Nachrichten in der finnlandschwedischen Standardsprache anhören.