Die Fragen stellte te.ma-Redakteur Thomas Wagner-Nagy.
Herr Roth, welche Rolle spielt das Thema gendergerechte Sprache in Ihrem Schulalltag?
Es ist eine der großen Diskussionen hier. Ich glaube, dass wir da als Schule ein Spiegel der Gesellschaft sind: Es spaltet die Gemüter. Die einen bestehen sehr auf korrekter, respektvoller Sprache, andere sind genauso vehement dagegen.
Geht dieser Riss gleichermaßen durch die Schülerschaft wie durch das Kollegium?
Mein Eindruck ist, dass wir hier eine sehr bewusste SchülerInnenschaft haben, die darauf achtet, dass solche Dinge eine Rolle spielen. Die korrigieren auch mal Lehrkräfte.
Im Kollegium haben wir da eine Spannbreite. Manche ignorieren bewusst formale Vorgaben, weil sie sagen: „Ich möchte gerne gendergerechte Sprache verwenden und ich möchte auch, dass meine Schülerinnen und Schüler das tun. Deshalb werde ich das nicht als Fehler anstreichen.“
2021 beschloss der Rat für deutsche Rechtschreibung, den Genderstern vorerst nicht ins offizielle Regelwerk der deutschen Sprache aufzunehmen. Wird es folglich als Fehler angestrichen, wenn ihn Schüler trotzdem in ihren Texten verwenden?
In der Abiturprüfung wäre das in jedem Fall als Fehler anzustreichen.
Führt das bei Korrekturen zu Konflikten? Da müsste man sich ja irgendwie einigen, was als Fehler angestrichen wird und was nicht.
Die Frage, was ein Fehler ist, ist relativ klar geregelt. Da ist der Rat für Rechtschreibung ja ultimativ und das ist die Grundlage für Korrekturen in der Abiturprüfung.
Auf der anderen Seite ist das Gendern ja ein wunderbares Thema dafür, wie man Sprachbewusstheit reflektieren kann. Das passiert auch durchgängig im Unterricht. Da geht es darum, genau über die Hintergründe aufzuklären, warum bestimmte Formen uns vielleicht erst einmal irritieren, welche historischen Wurzeln das hat. Insofern steckt dahinter eine echte Lernchance, um eine aufgeklärte Entscheidung zu treffen.
Also formal gibt es Vorgaben, die auch einzuhalten sind. Gleichzeitig gibt es aber auch für Lehrerinnen und Lehrer natürlich immer Spielräume.
Lässt sich an Alter und Geschlecht festmachen, ob und ab wann Schüler ein Bewusstsein für das Thema gendergerechte Sprache entwickeln?
Ich habe das Gefühl, dass da gerade eine Generation heranwächst, die sehr früh anfängt, über bestimmte Dinge nachzudenken. Was uns beispielsweise auffällt, ist, dass binäre Geschlechteridentitäten immer früher bei immer mehr Jugendlichen infrage stehen – und zwar auch manifest infrage stehen. Wir reden nicht mehr über 20-Jährige, sondern zum Teil auch über 13- bis 14-Jährige. Und damit taucht eben gleich eine ganze Reihe neuer Fragen auf: Welche Toilette? Welche Umkleide? Wie ist die Ansprache?
Ist die Auseinandersetzung mit geschlechtersensibler Sprache ein Elitenphänomen und entsteht ein verzerrter Eindruck, wenn man sich nur innerhalb des eigenen Milieus, also in einer Art Blase, darüber austauscht?
Das Bedürfnis, respektvoll angesprochen zu werden, haben alle Menschen, denke ich. Das ist nicht spezifisch für die Bildungsbürgerschicht. Denn die Frage trifft ja alle. Mädchen an einer Hauptschule merken ganz genauso, ob sie mitgemeint sind oder nicht.
Wenn es darum geht, die Diskussion an der Sprache festzumachen, sehe ich durchaus eine höhere Sensibilität beim Bildungsbürgertum als in anderen Schichten.
Empfehlen Sie Ihren Schülern konkrete Schreib- und Sprechweisen?
Ich würde immer zu einem offenen, freiheitlichen Umgang mit Sprache raten und glaube, wir können dabei eher über Hintergründe aufklären. Dazu gibt es ein kleines Büchlein von Anatol Stefanowitsch, das ich den Schülerinnen und Schülern sehr ans Herz legen würde. Er unterrichtet an der FU Berlin und hat auch schon mal einen Vortrag an unserer Schule gehalten. Dabei ging es darum, warum wir das eigentlich tun, etwa mit dem
Fühlen Sie sich als Bildungseinrichtung mit dem Thema alleine gelassen, weil es weder von staatlichen Institutionen noch von Rechtschreib-Instanzen einheitliche Leitlinien gibt?
Wir sind gerade mitten in einer gesellschaftlichen Diskussion darüber, wie wir den Menschen gerecht werden können, die respektvoll behandelt werden wollen. Wie das ausgeht, kann ich noch gar nicht sagen. Vielleicht haben wir in fünf bis zehn Jahren diese Debatte durchgefochten.
Natürlich wäre es einfacher, wenn wie in den 60er Jahren ein Zuchtmeister hinter einem steht und klar sagt, was man zu tun und zu lassen hat, aber ich bin froh, dass wir in einer freiheitlichen Gesellschaft leben, in der wir mehr Diskussionen aushalten können. Und ich sage, unsere Schülerinnen und Schüler schaffen das auch.