Russlands Krieg gegen die Ukraine hat der These eines entstehenden russischen Faschismus unter Wladimir Putin neue Prominenz beschert. Für Vertreter*innen dieser Position ist der Aufstieg des Faschismus eng verbunden mit der Intensivierung autokratischer Herrschaftsstrukturen. Der Faschismus erscheint als Metamorphose eines radikalisierten russischen Autoritarismus.
Die Politikwissenschaftler Kailitz und Umland widersprechen dieser Perspektive und präsentieren ein zunächst kontraintuitiv anmutendes Argument: Gerade weil es in Russland keinerlei demokratische Verfahren gebe, seien faschistischen Kräften die Wege in den Kreml versperrt. Weder gebe es ein funktionierendes russisches Parteiensystem, das faschistischen Akteuren ermöglichen würde, eine politische Gefolgschaft aufzubauen. Noch bestünde eine zivilgesellschaftliche Basis, die einen Nährboden für faschistische Ideen bieten würde. Hier liegt der Unterschied zwischen Russland und der Weimarer Republik in den 1920er und 1930er Jahren, wo sich der Faschismus sowohl in der Parteienlandschaft als auch in der Zivilgesellschaft politisch etablieren konnte. Parlamentarische Agitation und gesellschaftliche Mobilisierung waren Instrumente, die sich Faschist*innen in der jungen Weimarer Demokratie zunutze machten.
Im Gegensatz zur medialen Fixierung auf Putin startet Kailitz’ und Umlands 2017 publizierte Analyse nicht „von oben“, also mit der herrschenden russischen Elite. Stattdessen schauen sich die Autoren den Einfluss faschistischer Akteure „von unten“ an. Letztere gebe es im post-sowjetischen Russland zwar tatsächlich – man denke nur an
Kailitz und Umland verstehen Faschismus vor allem als Ideologie und nicht, wie etwa Alexander Motyl, als eigenständigen Regimetyp.
Eine solche, das politische System leitende Ideologie sehen Kailitz und Umland in Russland nicht gegeben.
Russlands Krieg und die seitdem eingesetzten innenpolitischen Dynamiken – Z-Symbolik, Massenmobilisierung, genozidale Propaganda gegenüber der Ukraine – werfen die Frage auf, ob die Autoren ihre These im Hinblick auf die russische Politik modifizieren würden.