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Waffenexporte oder Menschenrechte – Was ist der EU wichtiger?

Re-Paper
Jennifer Erickson2011
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Waffenexporte oder Menschenrechte – Was ist der EU wichtiger?

»Market Imperative Meets Normative Power: Human Rights and European Arms Transfer Policy«

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Geschrieben von Lucas Hellemeier

Bei te.ma veröffentlicht 01.09.2023

te.ma DOI 10.57964/b2fs-q209

Geschrieben von Lucas Hellemeier
Bei te.ma veröffentlicht 01.09.2023
te.ma DOI 10.57964/b2fs-q209

Wird die Rüstungsexportpolitik der EU-Staaten dem normativen politischen Anspruch der EU gerecht? Jennifer Erickson untersucht, wie Rüstungsexporte auf der einen und Menschenrechte, Konfliktlevel und Demokratie in den Empfängerstaaten auf der anderen Seite zusammenhängen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die EU ihre eigenen Ideale konterkariert.

Mit dem Ende des Kalten Kriegs veränderte sich der globale Rüstungsmarkt erheblich. Ein Rückgang der Nachfrage nach Rüstungsgütern stand Produktionskapazitäten aus den Zeiten großer Nachfrage gegenüber und ließ einen sogenannten „Buyer’s Market“ (Käufermarkt) entstehen. In solch einem Markt haben die Abnehmer vergleichsweise große Marktmacht, da die Anbieter stärker auf sie angewiesen sind als andersherum. Mit dieser Charakterisierung beschreibt Erickson den europäischen Rüstungsmarkt in den zwei Jahrzehnten nach dem Untergang der Sowjetunion.

Der Politikwissenschaftlerin zufolge hätten bisherige Untersuchungen einen negativen Einfluss von Rüstungstransfers auf Frieden, Sicherheit, Menschenrechte und Stabilität in Entwicklungsländern aufgezeigt. Die EU versuche hingegen, sich als demokratische Wertegemeinschaft zu positionieren und eine Führungsrolle bei globalen Fragen wie der Rüstungskontrolle einzunehmen. Gleichzeitig könnten europäische Rüstungsexporte diese außenpolitischen Ziele unterminieren. EU-Mitgliedstaaten müssten daher das Ziel, ihre Rüstungsindustrie durch Exporte zu erhalten und zu stärken, gegenüber dem normativen Anspruch der EU abwägen.

Erickson greift damit die akademische Debatte um die Definition und Identität der EU als supranationale Institution auf und diskutiert das Konzept der „normativen Macht“.1 Demzufolge könnten Staaten oder staatliche Institutionen unter zwei Bedingungen als normative Macht bezeichnet werden. Erstens, wenn die Verbreitung von Normen als wichtigstes außenpolitisches Ziel wahrgenommen werde, und zweitens, wenn die Verbreitung der Normen in erster Linie durch zivile, das heißt nicht-militärische Mittel betrieben werde. Erickson argumentiert, dass die EU nicht gänzlich als normative Macht verstanden werden könne, da ihre außenpolitische Praxis auf einem Mix aus normativen und materiellen Interessen aufbaue. 

Für ihre quantitative Untersuchung verwendet Erickson eine Regressionsanalyse, bei der der Zusammenhang zwischen den Waffenverkäufen der neun größten EU-Rüstungsexporteure als abhängige Variable und den verschiedenen Charakteristika der Empfängerländer in Bezug auf Menschenrechte, Demokratie und Konfliktlevel als unabhängige Variablen getestet wird. Die Resultate zeigen, dass schlechte Menschenrechtslagen in den Empfängerstaaten mit zunehmenden Rüstungsexporten einhergehen. Des Weiteren spielten materielle Faktoren wie das BIP pro Kopf und das Ausmaß der Ölproduktion eine signifikante Rolle. Das deute darauf hin, dass der Entwicklungsstand der Empfängerstaaten sowie die dort vorhandenen wirtschaftlichen Ressourcen eine wichtigere Rolle bei der Genehmigung von Rüstungsexporten spielten als normative Aspekte. Einfacher ausgedrückt: Wirtschaftliche Interessen scheinen bei der Genehmigung von Rüstungsexporten wichtiger zu sein als ethische Aspekte, die allerdings rhetorisch hervorgehoben werden. 

Die Resultate der quantitativen Analyse ergänzt Erickson mit einer qualitativen Studie der Diskussionen der EU-Mitgliedstaaten über eine mögliche Aufhebung des Rüstungsembargos gegenüber der Volksrepublik China. Das Embargo wurde als Reaktion auf die gewaltsame Niederschlagung der Tiananmen-Proteste im Juni 1989 verhängt. Die Debatte zeige, wie die materiellen Interessen der EU-Mitgliedstaaten im Konflikt zum Interesse der EU stehen, als normative Macht wahrgenommen zu werden. Dass das Embargo weiterhin gilt, sei eher ein Resultat der Einstimmigkeitspflicht bei außenpolitischen Fragen denn eine Illustration der EU als normativer Macht. Jedoch zeige sich, dass normative Aspekte in manchen EU-Mitgliedstaaten stärker verankert seien als in anderen. Des Weiteren spielten innenpolitische Faktoren wie die Mitbestimmungsrechte der Parlamente in außenpolitischen Fragen sowie die Beziehungen zu den USA eine große Rolle bei der Positionierung der EU-Mitgliedstaaten bezüglich des Embargos.

Schließlich identifiziert Ericksons Beitrag einen Konflikt zwischen dem außenpolitischen Anspruch und Engagement der EU für Menschenrechte und Demokratie einerseits und der Rüstungsexportpolitik ihrer Mitgliedstaaten andererseits. Das Interesse der EU, als normative Macht wahrgenommen zu werden, konkurriere mit den materiellen Interessen der Mitgliedstaaten, die durch Exporte ihre Rüstungsindustrien bewahren und stärken wollten sowie individuelle strategische Ziele verfolgten. Entgegen der in der Literatur postulierten Sozialisierungsthese2, nach der EU-Mitgliedstaaten durch Lernprozesse ihre Außenpolitik an die politischen Ziele der Gemeinschaft anpassten, divergierten die individuellen Rüstungsexportpraktiken und die außenpolitischen Zielsetzungen der EU. Um die EU als normative Macht zu stärken, bedürfe es daher einheitlicher Regelungen zum Rüstungsexport.

Fußnoten
2

Ian Manners: Normative Power Europe. A Contradiction in Terms? In: JCMS: Journal of Common Market Studies. Band 40, Nr. 2, 2002, S. 235–258. https://doi.org/10.1111/1468-5965.00353

Michael E. Smith: Institutionalization, Policy Adaptation and European Foreign Policy Cooperation. In: European Journal of International Relations. Band 10, Nr. 1, 2004, S. 95–136. https://doi.org/10.1177/1354066104040570

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