Ishchenko, eine der profiliertesten linken Stimmen der Ukraine, beschäftigt vor allem eine Frage: Was bedeutet heutzutage – unter den Bedingungen eines neoliberalen und globalisierten Kapitalismus – ein nationaler Kampf für die eigene politische Emanzipation und gegen einen imperialistischen Aggressor? Während in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Dekolonisierung, verstanden als nationale Befreiung gegen imperiale Fremdherrschaft, stets mit dem Anspruch sozialer Transformation und dem Aufbau von
Vor diesem Kontext, so Ishchenko, spielten im nationalen Befreiungskampf der Ukraine gegen Russland weder tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel noch der Aufbau eines aktiven und interventionistischen Staates die entscheidende Rolle. Stattdessen vereinten sich post-koloniale Symbol- und Identitätspolitik und neoliberale Wirtschaftspolitik. Anstatt umfassende staatliche (Kriegs-)Wirtschaftspolitik zu betreiben, privatisiere der ukrainische Staat weiter, verringere die Steuern, beschneide Arbeitnehmer*innenrechte und bevorzuge westliche transnationale Unternehmen statt eigener Firmen.
Diese Politik betreffe nicht nur die Verteidigung gegen den russischen Angriff, die Ishchenko zufolge durch den neoliberalen Konsens in der Elite geschwächt und nicht gestärkt werde. Das Vernachlässigen des Aufbaus eines robusten und interventionistischen Staates sei auch ein massives Versagen der
Spätestens mit dem russischen Angriffskrieg habe sich in der Ukraine ein Verständnis von Dekolonisierung durchgesetzt, das Befreiung vor allem als Abwehr alles Sowjetischen und Russischen versteht. Die Folge sei die Essentialisierung des Ukrainischen.
Solche Fragen würden beispielsweise die zivilen Massenproteste betreffen, die im 21. Jahrhundert weltweit zu beobachten und sogar oft erfolgreich sind – allerdings ohne nachhaltige transformative Wirkung zu entfalten. Auch hinsichtlich der politischen Artikulation regionaler Forderungen könne die Ukraine in Zeiten von immenser geographischer, wirtschaftlicher und politischer Ungleichheit etwa in den USA, Großbritannien oder China wichtiges Wissen zur Verfügung stellen.
Geht man diesen universellen Fragen aus dem Weg, warnt Ishchenko, verpasse man die Chance einer wirklichen Dekolonisierung und Entprovinzialisierung des Denkens über die Situation der Ukraine im Speziellen und das post-sowjetische Zeitalter im Allgemeinen.