In der Öffentlichkeit ist der Zusammenhang von
Die Grundfrage ist dabei stets: Was ist die grammatische Bedeutung von Genus? Dazu hilft es, noch genereller zu fragen: Gibt es eine grundlegende Ordnungslogik, die sich auf alle Substantive einer Sprache anwenden lässt? Denn gerade die grammatische Kategorie Genus scheint eine solche Klassifikation vorzunehmen. Darauf deutet bereits die Terminologie hin: Lateinisch genus bedeutet nicht nur „Geschlecht“, sondern auch „Klasse, Art“.
Genus – eine grammatische Kategorie mit teilweiser Restfunktion
Nach Auffassung strukturalistischer Sprachbeschreibungen liegt jeder grammatischen Kategorie ein Oppositionsverhältnis zugrunde, das heißt, es stehen sich in jeder Kategorie zwei gegensätzliche sprachliche Optionen gegenüber. In Bezug auf die Kategorie
Für die Kategorie Genus aber gilt das nur eingeschränkt: Zwar lässt sich jedes Substantiv einem bestimmten Genus (Maskulinum, Femininum oder Neutrum) zuordnen, doch das Substantiv unterliegt keinem systematischen Wechsel verschiedener Genera. Mit anderen Worten: Hinsichtlich des Genus eines Lexems hat der Sprecher keine Wahlmöglichkeit.
Man stelle sich vor, Verben wären zum Beispiel gegenüber ihrer Kategorie
Dazu kommt: Die Regeln, nach welchen
Das Genus des Deutschen ist, linguistisch gesprochen, eine
Im nun folgenden Ansatz, der formale Eigenschaften zur Beschreibung priorisiert, stehen
Kongruenztheorie:
Genus markiert Zusammengehörendes
In der gegenwärtigen linguistischen Beschreibung gilt die Kategorie Genus zunächst einmal als formale Klassifikation von Substantiven ohne
Syntaktisch zusammenhängende Teile können auf diese Weise, so nimmt man an, schneller kognitiv verarbeitet werden. Das macht dann, wie z.B. im Deutschen, eine freiere Wortstellung möglich. Dass die Mehrheit der Genussprachen auch über Kongruenz verfügt, gilt als starkes Indiz für die Plausibilität der Kongruenztheorie.
Die Kongruenztheorie zu Genus ist aber nur eine rein formbasierte Beschreibungsgrundlage, die nichts über den Inhalt von Genus aussagt. Den nun beiden folgenden Ansätzen ist hingegen – ebenso wie Ansätzen der Genderlinguistik – gemeinsam, dass Genus neben der Form auch über Bedeutung definiert wird.
Belebtheitstheorie:
Genus markiert (Un)belebtheit
Die aus der Indogermanistik kommende Belebtheitstheorie geht davon aus, dass Genus eine Klassenunterscheidung zwischen belebten Substantiven (wie Maus, Hund, Kind) und nicht-belebten Substantiven (wie Bett, Tisch, Nuss) herstellt. Sie ist also nicht zu verwechseln mit der populären Theorie, dass das sogenannte natürliche Geschlecht, also der Sexus (wie sie bei Ärztin oder Täuberich in der Wortbedeutung angezeigt werden) und das grammatische Geschlecht ein und dasselbe seien.
Für die Belebtheitstheorie gibt es teilweise Evidenz aus verschiedenen Sprachen: So besitzt das Russische, wie auch andere slawische Sprachen, eine eigene
Nach gegenwärtiger Forschungsmeinung wird angenommen, dass die Entwicklung einer Belebtheitskategorie in den indogermanischen Sprachen, zu denen das Deutsche und u.a. die slawischen Sprachen zählen, wohl sekundär geschehen ist. Belebtheit anzuzeigen ist also eine mögliche Fortentwicklung der Funktionen von Genus, jedoch nicht dessen primäre Grundfunktion. Damit bleibt die Frage der Grundfunktion von Genus vorerst offen. Kann eine Genustheorie, die den Zusammenhang von Genus und Numerus in den Blick nimmt, mehr Klarheit im Hinblick auf eine Genusbedeutung schaffen?
Zählbarkeitstheorie:
Genus markiert (Nicht-)Pluralisierbarkeit
Aus der modernen sprachvergleichenden Forschung weiß man, dass Genus- und Numerusklassen oft zusammenfallen: Besonders der Plural ist in Sprachen, die über beide Kategorien verfügen, oft durch eine Genusklasse repräsentiert, so z.B. im Arabischen. Dort ist die typische Pluralform die Kategorie des Genus femininum (sogenannter
Zählbare Substantive sind pluralisierbar, z.B. Berg – Berge. Dagegen widersetzen sich nicht-zählbare Substantive, sogenannte Massennomina wie Sand oder Milch, dem Versuch der Pluralisierung grammatisch (wie bei *Milche). Wenn überhaupt, so bilden sie den Sortenplural wie Sande/Sände, „Sorten von Sand“. Der Sortenplural ist die Nebenlesart des „herkömmlichen“, sog. distributiven Plurals. Massennomina wie Sand sind aber deutlich in der Minderzahl, im Deutschen ist die Mehrzahl der Substantive pluralisierbar.
Wir haben bisher stets von nicht-markierten Substantiven, also von Simplizia (wie Haus, Bett, Sand) gesprochen. Es gibt jedoch auch Substantive, die Markierungen tragen. Diese sind durch
Einige dieser Nominalisierungen, z.B. substantivierte Infinitive wie das Jodeln, das Lesen, aber auch Wörter wie das Gehuste, das Gekämme, sind nämlich formal gesehen Massennomina, die genauso wie Sand nicht pluralisierbar sind. In ihrer mentalen Repräsentation werden sie dann als Verlaufsnomina konzeptualisiert, wie bei der Phrase das dreistundenlange Jodeln: Es geht um den Verlauf, den Prozess des Jodelns. Diese Substantive haben in der Regel das Genus Neutrum.
Andere Nominalisierungsmuster kodieren hingegen ein punktuelles Geschehen – wie bei Ächzer, Rülpser, Knall(er), Seufzer, Hopser. Sie sind mit Attributen, die einen zeitlichen Verlauf kennzeichnen, typischerweise semantisch inkompatibel, wie etwa bei ?der dreistundenlange Hopser (das Fragezeichen zeigt an, dass der Ausdruck grammatikalisch fragwürdig ist). Und sie haben üblicherweise maskulines Genus.
An diesen Beispielen ist bereits gut zu erkennen, dass im Bereich der Nominalisierungen von Verben oder Adjektiven Regeln am Werk sind, die auf dem Prinzip der Zählbarkeit basieren. Aber welche Rolle spielt die Zählbarkeit dann für das Genussystem des Deutschen?
Das Maskulinum kodiert in diesem System die „einfachen“, zählbaren Substantive, während das Neutrum die nicht-zählbaren Massennomina beherbergt. Deswegen können substantivierte Infinitive – ein Nominalisierungsmuster, das
Was das Femininum angeht, so ist die Lage diesbezüglich komplexer: Das Femininum kodiert Kollektivpluralität, also Abstrakta (die Hopserei) und Kollektiva (wie Belegschaft).
Für die Wortbildung des Deutschen bedeutet das: Neue Wörter können produktiv auf Basis existierender Regeln gebildet und genus-markiert werden. Diese markierten Substantive tragen je nach Markierung bzw. Genus die unterschiedlichen Zählbarkeitsgrade, wie in folgender Übersicht zusammengestellt.
Die jeweiligen Nominalisierungsmuster sind spezifiziert für eine einzige Genusklasse (z.B. -erei kodiert ausschließlich feminine Nominalisierungen) und transportieren die jeweilige Zählbarkeits-Bedeutung mit. Da insbesondere wortbildende Suffixe (wie -heit, -erei) an den Nominalisierungsmustern beteiligt sind und zuverlässig ein Genus kodieren, bezeichnet man sie im Fremdsprachenunterricht auch als „Genusmarker“.
Diese Zählbarkeitstheorie, die erstmals Ende des 19. Jahrhunderts vom Indogermanisten Karl Brugmann formuliert wurde, ist dadurch bemerkenswert, dass sie formales Vorgehen und semantische Funktionalisierung kombiniert. Sie wurde auch für andere indogermanische Sprachen teils in Relikten, teils bis zum heutigen Tage, musterbildend bestätigt. Auch außerhalb der indogermanischen Sprachfamilie sind motivierte Beziehungen zwischen Genus und Numerus hochkorrelativ bestätigt worden, etwa für die afroasiatischen Sprachen und Bantu-Sprachen. Vieles harrt aber vermutlich auch noch seiner Entdeckung.
Zusammenschau: Genus mit mehreren Zugängen
Genus wurde und wird in der Linguistik auf verschiedene Arten beschrieben. Neben der derzeit wohl populärsten Theorie, wonach Genus und das sogenannte „natürliche“ Geschlecht (Sexus) miteinander korrelieren, gibt es jedoch in der Linguistik noch andere Genustheorien, nämlich die Kongruenztheorie, Belebtheitstheorie und Zählbarkeitstheorie, welche im vorliegenden Beitrag skizziert wurden. Der Zählbarkeitstheorie zufolge sind Genus und Numerus (im Deutschen repräsentiert durch Singular und Plural) aufeinander bezogen – oder anders formuliert: Die Kategorie Genus basiert auf Numerus. Aus typologischen Studien wissen wir, dass Sprachen mit Genus stets die Kategorie Numerus besitzen, nicht aber umgekehrt.
Dass verschiedene grammatische Kategorien miteinander in Beziehung stehen, ist in der Grammatiktheorie nichts Ungewöhnliches: Modalität interagiert z.B. mit Tempus, nicht alle Nomina des Deutschen haben einen Artikel (vgl. *das Frankfurt, aber das schöne Frankfurt). Solche Zusammenhänge zwischen Kategorien zeigen, dass Grammatik, eben nicht, wie leider oft immer noch beigebracht wird, aus einer mehr oder weniger beliebigen Auflistung von Tabellen besteht. Stattdessen kann man an kategorialen Zusammenhängen sehen, dass Grammatik über eine interne Architektur verfügt, deren Implikationen relevant für das Verständnis grammatischer Organisation und grammatischer Architektur sind.
Die Grammatik, in diesem Fall Genus, hat somit ihre eigene sprachliche Realität, deren Struktur mit linguistischen Methoden zu beschreiben ist. Wie im vorliegenden Beitrag gezeigt, existieren neben der Bezugsetzung von Genus und Geschlechtigkeit in der Sprachwissenschaft auch weitere Theorien, die die Funktion von Genus innersprachlich zu beschreiben suchen.