Die Forderung nach einer Deutsch-Pflicht in Schulen ist kein neues Thema. Im Jahr 2006 verlangte der Hamburger CDU-Politiker Robert Heinemann sogar eine Strafe für das Sprechen anderer Sprachen als Deutsch in der Pause. 2010 brachte Christian Lindner im Interview mit der Bild-Zeitung erneut eine Deutsch-Pflicht auf den Tisch. Auch Anfang 2023 wurde das Thema medial diskutiert. Anlass war ein Interview der WELT mit Mario Czaja, in dem der damalige CDU-Generalsekretär erklärte, auf Schulhöfen solle ausschließlich Deutsch gesprochen werden. Wenig später erschien in Österreich ein Arbeitsübereinkommen von ÖVP und FPÖ mit derselben Agenda.
Diese politischen Forderungen haben Auswirkungen auf den Schulalltag, auch wenn sie viel Kritik und Widersprüche (teilweise aus den eigenen Parteien) ernten und sich (noch) nicht in Gesetzestexten wiederfinden. Lehrende, die ebenfalls gerne eine Deutsch-Pflicht einführen möchten, fühlen sich dadurch in ihrem Anliegen bestätigt. Ein Schulleiter aus dem Berliner Wedding behauptet, mit dem Konzept „Schulhofsprache Deutsch“ – das angeblich auch die Schüler*innen zu großen Teilen gutheißen – erfolgreich zu sein: Mit Deutsch als
Was aber sind die Konsequenzen, wenn gegen eine Deutsch-Pflicht verstoßen wird? Im Sommer 2020 gab es Medienberichte über eine Grundschülerin in Baden-Württemberg, die eine Strafarbeit schreiben musste, weil sie mit ihrer Freundin in der Pause Türkisch gesprochen hatte. Ein Rechtsstreit mit der verantwortlichen Lehrerin ergab, dass das Aufgeben der Strafarbeit rechtswidrig war.
Dem Diskurs über eine Deutschpflicht an Schulen fügen Wiese, Tracy und Sennema die Sichtweise hinzu, dass Deutschkenntnisse in einem Land, in dem Deutsch sowohl die dominante Alltagssprache als auch Amtssprache ist, nicht durch andere Sprachen vermindert werden. Sie stellen Studienergebnisse zu mehrsprachiger Erziehung vor und geben Ratschläge, wie Mehrsprachigkeit für Schulen zur Bereicherung werden kann. Ihre zentrale These dabei ist: „Die Beschränkung auf Deutsch im Schulhof und darüber hinaus ist nicht nur nicht zielführend, sie ist überflüssig, diskriminierend und der Lernmotivation abträglich.“ Dies sei sie auch deshalb, „weil sie den Sprachgebrauch vieler Familien und damit die vorhandenen Kompetenzen von Kindern als unerwünscht und unangemessen abwertet, im Unterschied zu den klassischen schulischen Fremdsprachen“.
Warum werden manche Sprachkenntnisse abgewertet und andere als nützlich und wichtig erachtet? Sprecher*innen von
Ebenfalls greifen Heike Wiese und ihre Kolleginnen die erwiesenen Vorteile des herkunftssprachlichen Unterrichts auf. Für das Leseverstehen im Deutschen sei es vorteilhaft, wenn auch das Lesen in der jeweiligen Herkunftssprache erlernt wird. Die Autorinnen schlagen deshalb vor, Heritage-Sprachen mit in das Curriculum aufzunehmen: „Eine Sprachenpolitik, die verbreitete Heritage-Sprachen als Bildungsressourcen nutzt und ausbaut, führt nicht nur zu mehr Bildungsgerechtigkeit und Wertschätzung migrationsbedingter Mehrsprachigkeit, sondern ist auch besonders geeignet, den gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter zu fördern.“
Wiese, Tracy und Sennema vertreten damit eine „kompetenzorientierte“ Perspektive und fordern diese auch für den Schulalltag: Die Sprachkompetenzen der Schüler*innen sollten ihrer Meinung nach nicht nur auf dem Pausenhof toleriert, sondern in den Unterricht mit eingebunden werden. Wenn Lernende sich in ihrer Muttersprache über Unterrichtsinhalte austauschen oder sich gegenseitig Inhalte mittels Übersetzung erklären, finde eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Erlernten statt, als wenn dies nur in einer Sprache geschehe. Diese Praxis habe außerdem einen positiven Effekt auf die Kooperationsbereitschaft der Schüler*innen.
Um diese Vorschläge umzusetzen, seien jedoch einige Maßnahmen erforderlich. Die Autorinnen plädieren für „eine bessere personelle Ausstattung von Kindergärten und Schulen, die eine stärker ‚kommunikative Schule‘ ermöglicht“. Zudem könne mit einem „Fokuskurs Sprache“ ein Grundstein gelegt werden, der durch Reflexionen und Diskussionen über Sprache den Schüler*innen „ihre vielfältigen sprachlichen Kompetenzen und ihr Sprachlernpotenzial verdeutlicht“.
Mit ihren Forderungen gehen die Autorinnen deutlich über die Schulhof-Debatte hinaus – und sind damit nicht allein: Wie Schulen die Chancen diverser Herkunftssprachen nutzen können, wird beispielsweise im Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung