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Die neue Eigenständigkeit des Globalen Südens

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Tim Sahay2022
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Die neue Eigenständigkeit des Globalen Südens

»A New Non-Alignment«

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Geschrieben von Sebastian Hoppe

Bei te.ma veröffentlicht 07.06.2023

Geschrieben von Sebastian Hoppe
Bei te.ma veröffentlicht 07.06.2023

Das Werben westlicher Staaten um die Unterstützung für Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland eröffnet für den Globalen Süden neue Möglichkeiten, erklärt Tim Sahay. Statt der offenen Parteinahme für eine der geopolitischen Großmächte USA, China, Russland oder die EU zeichne sich die Strategie einer „neuen Blockfreiheit“ ab.

Sahay sieht fünf Ziele der neuen Blockfreien des Globalen Südens, die diese versuchten, durch Manövrieren der geopolitischen Großkonflikte zu erreichen:

  1. den Import von wichtigen Zukunftstechnologien,

  2. hochentwickelte Militärausrüstung zur Erhöhung der eigenen Sicherheit,

  3. eine bessere Position in Handelsvertragsabkommen mit den geopolitischen Großblöcken,

  4. grundlegenden Zugang zu Nahrungsmitteln, Dünger und Rohstoffen für die Energieerzeugung, die oft nur aus Russland und China importiert werden können, sowie

  5. eine Umstrukturierung der eigenen Schulden gegenüber westlichen und chinesischen Gläubigern zugunsten der eigenen wirtschaftlichen Souveränität.

Das Beispiel Indiens zeige eindrücklich, in welch hohem Maße der Globale Süden nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine in der Lage war, Konzessionen – Investitionen, Rüstungsgüter, Rohstoffe, strategische Partnerschaften – sowohl vom Westen, als auch von Russland und China zu erreichen. Sahay zufolge sind das nicht nur situative Gewinne: Große Länder des Globalen Südens seien nun in der Lage, die Konturen der „neuen geopolitischen Ordnung“ mitzuverhandeln. Es zeichne sich ab, dass sich mit Indonesien, Brasilien, Südafrika, Mexiko, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten immer mehr Länder dem indischen Beispiel anschließen würden.

Diese Länder haben gemein, die eigenen Interessen der endgültigen Entscheidung für eine exklusive geopolitische Zugehörigkeit vorzuziehen und den globalen Führungsanspruch des Westens zurückzuweisen. Es bestehen jedoch auch große Unterschiede innerhalb der neuen Blockfreien, insbesondere was ihre angestrebte Entwicklungsstrategie angeht. Während etwa Indonesien und Indien versuchen würden, durch die neuen Handlungsspielräume große Infrastrukturprojekte in ihren Ländern umzusetzen, setze Brasilien unter Lula erneut auf sozialpolitische Maßnahmen und Umverteilung. Die neuen Blockfreien mögen demnach nach außen mit einer Stimme auftreten, im Inneren hat man es mit einer äußerst heterogenen Gruppe zu tun.

Die neue Blockfreiheit, resümiert Sahay, sei kein Wiedergänger aus dem Kalten Krieg, sondern operiere in einem geopolitischen Umfeld, das mehr Möglichkeiten biete als noch im 20. Jahrhundert. Zum einen sei das heutige China mächtiger, als die Sowjetunion es war, und biete daher ausreichend Ressourcen, um die Bedürfnisse vieler Entwicklungsländer zu erfüllen. Zum anderen sei der Westen gespalten, selektive Kooperation mit einzelnen westlichen Staaten daher möglich, ohne mit einem geschlossenen Block verhandeln zu müssen. 

Sahays Analyse legt somit eine paradoxe Schlussfolgerung nahe: Trotz der globalen Konsequenzen des Kriegs, insbesondere steigender Lebensmittel- und Energiepreise, bietet die neue geopolitische Ordnung mehr Handlungsspielraum und Flexibilität für die neuen Blockfreien des Globalen Südens.  

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Der Begriff „Globaler Süden“ bezieht sich im weitesten Sinne auf die Regionen Lateinamerikas, Asiens, Afrikas und Ozeaniens. Er fungiert heutzutage als Ersatz für die Bezeichnungen „Dritte Welt“ und „Peripherie“, die traditionell auf Regionen außerhalb Europas und Nordamerika angewandt wurden, die ein niedriges Einkommen hatten und meist (wenn auch nicht alle) politisch marginalisiert waren. Mit dem Ende des Kalten Krieges fanden die Begriffe „Globaler Norden“ und „Globaler Süden“ Eingang in akademische Bereiche wie Internationale Beziehungen, Politikwissenschaft und Entwicklungsstudien. Anfangs noch hauptsächlich von staatlichen Entwicklungsorganisationen als politische Ordnungskategorie verwendet, markiert der Begriff heute eine Verschiebung des Fokus von Entwicklung auf Betonung geopolitischer Machtverhältnisse.

Die Nord-Süd-Sprache bietet eine Alternative zum Konzept der „Globalisierung“ und stellt den Glauben an eine zunehmende Homogenisierung der Kulturen und Gesellschaften in Frage.

Die Blockfreiheit war ein Ansatz, den die neuen unabhängigen Entwicklungsländer seit den 1950er Jahren verfolgten, um in den Stellvertreterkriegen des Kalten Krieges ein Gleichgewicht zwischen Ost und West zu finden. Die Bandung-Konferenz von 1955 forderte die Entwicklungsländer auf, auf kollektive Verteidigungsvereinbarungen mit Großmächten zu verzichten, während die inzwischen 120 Mitglieder zählende Bewegung der Blockfreien Staaten ihre Mitglieder aufforderte, Militärbündnisse wie die Nato zu meiden.

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