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Woher kommen die Ressentiments zwischen Ukrainern und Russen?

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Woher kommen die Ressentiments zwischen Ukrainern und Russen?

»Kränkung und ihre Verankerung im Kontext der russisch-ukrainischen Beziehungen«

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Intro

Geschrieben von Alexandra Sitenko

Bei te.ma veröffentlicht 28.03.2023

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/25AF-GF41

Geschrieben von Alexandra Sitenko
Bei te.ma veröffentlicht 28.03.2023
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/25AF-GF41

In ihrem Artikel betrachten zwei ukrainische Psychologieprofessoren die konfliktiven Beziehungen zwischen Russen und Ukrainern durch das Prisma des Phänomens der Kränkung und ihrer Ausprägung auf der Individual- und Gruppenebene. Ihr Argument ist, dass gegenseitige Ressentiments eine zentrale Rolle bei der Verschärfung des Konflikts zwischen beiden Ländern gespielt haben. Bereits 2014 warnten sie vor einer Konfrontation, die zu einer völligen Zerstörung einer der Seiten führen könnte.

War die Nato-Osterweiterung die Hauptursache für Russlands Überfall auf die Ukraine und ist diese Konfrontation in Wirklichkeit ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen? Sind es vielmehr innerrussische Faktoren wie etwa der vom Osteuropahistoriker Martin Aust betonte russische Wunsch nach Re-Integration des ehemals imperialen Raums, die die Kriegsentscheidung bedingten? Oder machte das Scheitern des Minsker Prozesses den Krieg zwischen Russland und der Ukraine unvermeidbar? Das sind die Erklärungsmuster, die im westlichen Diskurs aktuell anzutreffen sind. 

Die ukrainischen Psychologieprofessoren Serhey Harkavets und Sergey Yakovenko analysierten 2014 den sich zuspitzenden Konflikt zwischen Moskau und Kiew als ein psycho-emotionales Phänomen, das aus dem Gefühl einer tiefen Kränkung1 auf beiden Seiten erwuchs und zu starken gesamtgesellschaftlichen Ressentiments führte. Schon damals sahen sie eine gefährliche Konfrontation kommen, wenn beide Länder es nicht schaffen, sich zu versöhnen. Die Kränkung in den Beziehungen siedeln sie auf zwei Ebenen an: 

Auf der ersten Ebene empfinden die Menschen in Russland Groll darüber, dass die „undankbaren“ Ukrainer sich von ihnen ab- und dem Westen zuwenden, indem sie Teil Europas und nicht der sogenannten „Russischen Welt” sein wollen. Das sei der Grund für beleidigende und demütigende Äußerungen Wladimir Putins gegenüber der Ukraine.2 Im Jahr 2010 behauptete er zum Beispiel, dass Russland den Großen Vaterländischen Krieg auch dann gewonnen hätte, wenn die Ukraine nicht Teil der Sowjetunion gewesen wäre.3 Allein in dieser Aussage Putins steckten laut den Autoren Ärger, Irritation, vielleicht auch Schmerz und Groll darüber, dass sich die Ukraine als – in seiner Wahrnehmung – Teil Großrusslands ständig aus dessen Einflussbereich zurückziehen und die ostslawische Brüderlichkeit verraten wolle. Das Ressentiment sei auch eine Reaktion auf das unerfüllte Großmachtstreben Russlands. 

Durch psychologische Mechanismen wie Suggestion und Nachahmung samt entsprechender Kommunikationsmittel kann die Kränkung vom individuellen zum gesamtgesellschaftlichen Phänomen werden. So sei der Ärger Putins und anderer russischer Politiker gegenüber den Menschen in der Ukraine durch eine konstante anti-ukrainische Berichterstattung im russischen Fernsehen für viele Russinnen und Russen auch zu ihrer persönlichen Kränkung geworden. 

Auf der zweiten Ebene ruft es laut Harkavets und Yakovenko in den Ukrainern Unmut hervor, dass Russland sich das Recht anmaßt, schicksalhafte Entscheidungen für sie treffen zu wollen. Der Groll gegen die Russen rührt daher, dass diese ihre Souveränität nicht akzeptieren und nicht verstehen wollen, dass die Ukraine ihre eigene Geschichte hat. Diese ist zwar mit der Geschichte Russlands verflochten, geht aber weit darüber hinaus. Obwohl Kyjiw als die Mutter aller russischen Städte gilt, ist es die Hauptstadt eines anderen Landes, und obwohl man dort oft Russisch hört, ist es keine russische Stadt. Die Ukrainer haben ihre eigene Sprache und Kultur und bestehen darauf, ihre eigene Identität zu bilden. 

Die gegenseitigen Ressentiments zeigen sich, so die beiden Autoren, nicht nur im bewaffneten Konflikt im Donbass, sondern auch an den intensiven Kämpfen im Internet, wo Beleidigungen, Spott und Drohungen ausgetauscht werden – Russen gegen Ukrainer und umgekehrt. Es komme zu einer völligen Entmenschlichung der gegnerischen Seite. Das Ergebnis: Konstruktiver Dialog sei kaum möglich und die unversöhnliche Konfrontation zwischen den Bürgern beider Länder vertiefe sich.

Die Wissenschaftler kommen zum Schluss, dass eine vollständige Vergebung oder zumindest eine formale Versöhnung der Parteien notwendig sei, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Andernfalls, so ihre warnende Prognose von 2014, sei eine Konfrontation bis zur völligen Zerstörung einer der beiden Konfliktparteien unvermeidlich. Der russisch-ukrainische Konflikt sei auch Teil eines neuen Kalten Krieges, der von einem hybriden Krieg zu einem Dritten Weltkrieg oder einem Atomkrieg zu eskalieren drohe.

Mit Stand von heute ist das düstere Szenario eingetreten, vor dem Harkavets und Yakovenko in ihrem gemeinsamen Artikel eindringlich gewarnt hatten. Von einer Versöhnung, geschweige denn Vergebung, sind beide Länder heute so weit entfernt wie nie zuvor. Für die Zeit nach dem Krieg können die im Text geäußerten Gedanken dennoch einen Orientierungsansatz bei der Aufarbeitung der Kriegskatastrophe und der graduellen Wiederherstellung der gesellschaftlichen Kontakte zwischen Russland und der Ukraine bieten. Denn Sensibilität und Verständnis für kulturell-psychologische Mechanismen hinter einer Konfliktsituation sind wichtige Voraussetzungen für eine nachhaltige Konfliktlösung.

Fußnoten
3

Die Kränkung definieren die beiden Autoren als emotionale Reaktion entweder auf eine als ungerecht empfundene Behandlung, die das Selbstwertgefühl verletzt, oder auf Beleidigung und Erniedrigung. Eine Kränkung tritt am ehesten dann auf, wenn zwischen Menschen enge emotionale Bindungen bestehen. Eine Person kann viel eher von jemandem gekränkt werden, den sie liebt oder bewundert, der sie aber ignoriert, verrät, betrügt.

Zuletzt sagte Putin in seiner Fernsehansprache am 21. Februar 2022 – drei Tage vor der Invasion - dass die Ukraine nie eine echte Staatlichkeit gehabt habe: https://www.stern.de/politik/ausland/putin-ueber-ukraine--nie--echte-staatlichkeit--gehabt-31645996.html

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Der sogenannte Minsker Friedensprozess versuchte seit 2014, den Konflikt im ostukrainischen Donbass beizulegen. In seinem Rahmen wurden das „Protokoll von Minsk"  im September 2014 sowie die „Minsker Vereinbarung" im Februar 2015  in der belarussischen Hauptstadt Minsk unterzeichnet. Sie ermöglichten eine Beruhigung der aktiven Kampfhandlungen.

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