Der Ukraine-Krieg verändert das Verständnis von Soft Power

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Der Ukraine-Krieg verändert das Verständnis von Soft Power

»Soft Power After Ukraine«

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Geschrieben von Alexandra Sitenko

Bei te.ma veröffentlicht 04.11.2022

Geschrieben von Alexandra Sitenko
Bei te.ma veröffentlicht 04.11.2022

Während die harte militärische Macht über den Ausgang des russischen Krieges in der Ukraine entscheiden werde, sei die sogenannte Soft Power („weiche Macht“) trotzdem nicht irrelevant. Mit dieser These beginnt der renommierte US-Politikwissenschaftler Joseph Nye seinen Artikel für „Project Syndicate“, in dem er sich mit der Bedeutung der Soft Power im Ukraine-Krieg auseinandersetzt.

Nach 2014 haben mehrere Wissenschaftler/innen das überwiegend durch den Harvard-Professor Joseph Nye geprägte Konzept der Soft Power benutzt, um die russische Politik und ihre Fehler gegenüber der Ukraine zu analysieren.1 Nun meldet sich Nye selbst zu Wort mit einer Analyse der Bedeutung der „weichen Macht“ im Kontext des militärischen Konfliktes. 

Er weist zu Beginn darauf hin, dass in der internationalen Politik die Auswirkungen von Soft Power eher langsam und subtil sind, während das (traurige) Ergebnis nach Einsatz militärischer Machtmittel sofort sichtbar ist. Nye hat ebenso keinen Zweifel, dass der Krieg in der Ukraine auf kurze Sicht von militärischer Hard Power bestimmt und entschieden wird – einschließlich der von den USA und anderen Nato-Staaten gelieferten Waffen. Trotzdem wäre es seiner Meinung nach ein Fehler, zu ignorieren oder zu vernachlässigen, dass auch Soft Power in diesem Krieg bis jetzt eine Rolle gespielt hat. 

Beispielsweise haben die USA vor dem Ausbruch des Krieges Deutschland jahrelang dazu gedrängt, das Nord-Stream-2-Projekt aufzugeben, und davor gewarnt, dass es Europa noch abhängiger von russischem Erdgas machen und die Ukraine schwächen würde. Deutschland weigerte sich zunächst beharrlich, das Projekt zu stoppen. Erst der Schock der russischen Invasion hat Russland dann für die deutsche Öffentlichkeit dermaßen unattraktiv gemacht, dass die Bundesregierung das Pipeline-Projekt sofort nach Kriegsausbruch eingestellt hat. In ähnlicher Weise hatten die USA Deutschland lange erfolglos dazu aufgefordert, einer Nato-Verpflichtung zur Erhöhung seiner jährlichen Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP nachzukommen. Auch hier änderte Deutschland erst nach der russischen Invasion seine Position.

Während des Krieges hat sich die „weiche Macht“ als ein Schlüsselinstrument der Ukraine und ihrer Verteidigungsstrategie erwiesen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj geht laut Nye besonders geschickt damit um. Als die USA ihm anboten, ihn aus dem Land zu bringen, antwortete er bekanntermaßen, er brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit. Nye geht davon aus, dass Selenskyjs frühere Erfahrungen als Fernsehschauspieler ihm dabei zugutekamen. Dank der ständigen Kommunikation mit westlichen Medien und Parlamenten sei es ihm gelungen, die Ukraine als attraktives und heldenhaftes Land darzustellen. Das Ergebnis war nicht nur die Sympathie des Westens, sondern auch eine beträchtliche Zunahme der Lieferungen von militärischer Ausrüstung, die die Ukraine für die Ausübung der militärischen Hard Power benötigt.

Welche längerfristigen Auswirkungen das auf die Attraktivität Russlands und den Stellenwert der Soft Power nach dem Krieg haben werde, sei noch unklar. Laut Nye hängt das vor allem vom Ausgang des Krieges ab. Der Autor erinnert daran, dass die UN-Mitgliedsstaaten zwar mehrheitlich dafür gestimmt haben, Russlands Vorgehen zu verurteilen und das Land aus dem UN-Menschenrechtsrat auszuschließen. Fast ein Drittel der Länder, darunter viele afrikanische Staaten, haben sich jedoch enthalten

Der Text von Nye lässt den Schluss zu, dass die Ukraine Russland im Bereich der Soft Power klar überlegen ist. Russland erleidet für den Moment einen Verlust an Soft Power (an dem es ihm allerdings auch davor schon gemangelt hat). Wegen Putins Entscheidung, die Ukraine zu überfallen, hat sein Land stark an internationaler Attraktivität eingebüßt, während der Widerstand ihrer Menschen der Ukraine viel Sympathie eingebracht hat. 

Fußnoten
1

 Siehe dazu unter anderem Valentina Feklyunina: Soft Power and Identity. Russia, Ukraine and the Russian World(s). In: European Journal of International Relations. Band 22, Nr. 4, 2016, S. 773-96; Victoria Hudson: ‘Forced to Friendship’? Russian (Mis-)Understandings of Soft Power and the Implications for Audience Attraction in Ukraine. In: Politics. Band 35, Nr. 3-4, S. 330-346.  

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Der Begriff beschreibt eine besondere Form der Machtausübung von Staaten und politischen Akteuren über andere Staaten und Gesellschaften; diese Macht beruht nicht auf militärischen oder ökonomischen Ressourcen („hard power“), sondern auf Attraktivität durch Vorbildfunktion, z.B. durch Vermittlung eigener Normen und Werte. Die Soft Power ist somit eine subtile Macht, die aber über einen längeren Zeitraum hinweg wirkt. Ihr Spektrum reicht von der Anziehungskraft des „American Way of Life“ (Coca Cola und Hollywoodfilme) bis zu westlichen Werten wie Demokratie und Menschenrechte. Geprägt wurde der Begriff vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Joseph S. Nye.

Am 7. April 2022 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution, die die Suspendierung Russlands aus dem UN-Menschenrechtsrat forderte. Die Resolution erhielt eine Zweidrittelmehrheit der Stimmen. 93 Länder stimmten dafür, 24 dagegen. 58 enthielten sich.

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