Russlands harte Soft Power

Re-Paper
Victoria Hudson2015

Inhalte

Intro

Geschrieben von Sebastian Hoppe

Bei te.ma veröffentlicht 10.11.2022

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/c3py-an77

Geschrieben von Sebastian Hoppe
Bei te.ma veröffentlicht 10.11.2022
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/c3py-an77

Russland und die Ukraine verbanden nach dem Zerfall der Sowjetunion weiterhin enge kulturelle, politische und wirtschaftliche Beziehungen. Der Versuch Russlands, diese zu nutzen und die Ukraine durch friedliche Mittel zu gewinnen, schlug jedoch fehl. Victoria Hudson sieht dahinter ein Scheitern russischer Soft Power, die nicht auf Attraktivität, sondern auf Zwang setzte.

Hudsons 2015 veröffentlichter Artikel zeichnet einen wichtigen Aspekt der Vorgeschichte des russischen Angriffs auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 nach. Zwar ist die Invasion der endgültige Beweis, dass Russlands Versuche, die Ukraine mit nicht-militärischen Mitteln in den eigenen politischen Orbit zu integrieren – etwa im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU)1 –, gescheitert sind.2 Nur wenige Studien sind jedoch empirisch der Frage nachgegangen, warum Russlands politische Versuche der friedlichen Einflussnahme so unattraktiv für Ukrainer*innen waren.3

Der Arbeit liegt das Soft-Power-Konzept des US-amerikanischen Politologen Joseph Nye zugrunde: Die Macht einflussreicher Staaten beruht demnach nicht nur auf ihren militärischen und ökonomischen Fähigkeiten (Hard Power), sondern insbesondere auch auf der kulturellen Attraktivität, die international ausgeübt wird. Diese indirekte Macht führt nicht zu einer unmittelbaren außenpolitischen Verhaltensänderung des Ziellandes, erlaubt aber, Einstellungen, Diskurse und Wahrnehmungen im Zielland zum eigenen Vorteil zu beeinflussen.4 

Insbesondere in den Jahren nach der Orangenen Revolution 2004 reifte in Moskau die Erkenntnis, dass man seinen Einfluss in der Ukraine auch jenseits harter Machtprojektion geltend machen müsse. Daraufhin wurden Instrumente wie die russki mir (russische Welt) entwickelt, die attraktiv auf Russischsprechende außerhalb des russischen Territoriums wirken sollten. Das Konzept fand zwischen 2004 und 2013 Eingang in zahlreiche Policy-Dokumente Russlands. Zudem wurden Organisationen gegründet, die die Programme im Ausland umsetzen sollten.5 

Für ihre Studie befragte Hudson mehrere Gruppen von ukrainischen Studierenden in Charkiw, Donezk, Kiew und Lwiw, wie sie zu Russland und der Idee einer russischen Zivilisation stehen, die über die Grenzen des gegenwärtigen Russlands hinausreicht. Ihre Ergebnisse zeichnen ein differenziertes Bild der ukrainischen Wahrnehmung Russlands. So stimmten die Befragten zwar zu, dass es durchaus so etwas wie eine beachtenswerte russische Zivilisation gebe, deren Werte und Kultur man schätze. Dieser Effekt war in Donezk, Charkiw und auch Kiew ausgeprägter als im westukrainischen Lwiw. Gleichzeitig stand der Wahrnehmung einer attraktiven russischen Zivilisation aber auch ein kritisches Narrativ gegenüber. Für die Befragten stand fest, dass hinter der kulturellen Attraktivität des Russischen ein neo-imperialer Versuch der politischen Einflussnahme stehe. Der Verdacht der versteckten machtpolitischen Agenda verringerte demnach die Wirksamkeit russischer Soft Power erheblich.

Für Nye, den „Erfinder“ des Konzepts der Soft Power, stand bereits 2013 fest, dass Länder wie China und Russland zwar versuchen würden, attraktiver auf ihr internationales Umfeld zu wirken, dabei aber allzu instrumentell und letztendlich doch mit harten machtpolitischen Zielen vorgehen würden.6 Hudson zeigt, dass dies bereits Jahre vor dem derzeitigen Krieg auch von den Ukrainer*innen so wahrgenommen wurde.

Fußnoten
6

Die zentrale Rolle der Ukraine in Putins Plänen für eine Eurasische Wirtschaftsunion wird etwa von Hannes Adomeit beschrieben. Hannes Adomeit: Putin’s ‘Eurasian Union’. Russia’s Integration Project and Policies on Post-Soviet Space. In: Center for International and European Studies (CIES): Neighbourhood Policy Paper. Istanbul/Bucharest 2012.

Siehe für Analysen zu russischen Versuchen der Ausübung von Soft Power unter anderem Michael O. Slobodchikoff, G. Douglas Davis: Roots of Russian Soft Power. Rethinking Russian National Identity. In: Comparative Politics (Russia). Band 8, Nr. 2, 2017, S. 19-36; Valentina Feklyunina: Soft Power and Identity. Russia, Ukraine and the 'Russian World(s). In: European Journal of International Relations. Band 22, Nr. 4, 2016, S. 773-96; Andrey Makarychev: Beyond Geopolitics. Russian Soft Power, Conservatism, and Biopolitics. In: Russian Politics. Band 3, Nr. 1, 2018, S. 135-50; Marcel van Herpen: Putin’s Propaganda Machine. Soft Power and Russian Foreign Policy. Rowman & Littlefield, Lanham/Boulder/New York/London 2016, ISBN 978-1-4422-5360-5.

Eine der wenigen Ausnahmen ist Ammon Cheskin: Russian Soft Power in Ukraine. A Structural Perspective. In: Communist and Post-Communist Studies. Band 50, Nr. 4, 2017, S. 277-87.

Joseph Nye: Soft Power. The Means to Success in World Politics. PublicAffairs, New York 2004, ISBN 1586483064.

Yuri Teper: Official Russian identity discourse in light of the annexation of Crimea. National or imperial? In: Post-Soviet Affairs. Band 32, Nr. 4, 2016, S. 378-96; Moritz Pieper: Russkiy Mir. The Geopolitics of Russian Compatriots Abroad. In: Geopolitics. Band 25, Nr, 3, 2018, S. 1-24.

Joseph Nye: What China and Russia Don’t Get about Soft Power. In: Foreign Policy. 29. April 2013, abgerufen am 01. November 2022.

Re-Paper

Eingeschränkter Zugang
Eingeschränkter Zugang bedeutet, dass das Material nicht ohne weiteres öffentlich zugänglich ist.
Related Articles

Die Orange Revolution war eine Serie von Massenprotesten in der Ukraine im Jahr 2004. Initiiert wurden diese von den Anhängern Wiktor Juschtschenkos, der in den Präsidentschaftswahlen im Oktober und November 2004 zunächst seinem Kontrahenten Wiktor Janukowytsch unterlag. Vorwürfe der Wahlmanipulation führten jedoch zu Protesten und Klagen, denen das Oberste Gericht schließlich stattgab. Im Ergebnis schlug Juschtschenko Janukowytsch in der nachgeholten Stichwahl im Dezember 2004 und wurde der dritte ukrainische Präsident nach dem Zerfall der Sowjetunion.

Russki Mir (dt. „Russische Welt“) ist ursprünglich ein Kulturkonzept, das in seiner ideologisierten Form auch zur Legitimierung des russischen Einflusses im postsowjetischen Raum eingesetzt wird. Es betont die soziale Bindungskraft der russischen Sprache und Literatur, der russischen Orthodoxie und eine gemeinsame ostslawische Identität.
Eine wichtige Rolle spielt in dieser Ideologie auch der sowjetische Sieg im Zweiten Weltkrieg, der jeweils am 9. Mai in großen Paraden und darüber hinaus in zahlreichen Produkten der Populärkultur inszeniert wird. Die Russische Welt umfasst ihrem Anspruch nach alle Gebiete, in denen die russische Kultur präsent ist.

Diskussionen
0 Kommentare
There are new comments!

Neuer Kommentar

Der Ort für deinen Diskussionsbeitrag. Du kannst taggen, linken und Text formatieren. Bitte beachte unsere Community Guidelines.

Du antwortest auf den Beitrag: "Russlands harte Soft Power".

Noch keine Kommentare

te.ma sammelt keine Cookies. Um mit der Allgemeinen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) übereinzustimmen, müssen wir dich aber informieren, dass von uns eingebundene externe Medien (z.B. von YouTube) möglicherweise Cookies sammeln. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.