Ausgangspunkt der Studie von Duursma und Masuhr ist die Tatsache, dass die Sowjetunion im 20. Jahrhundert einer der einflussreichsten Akteure auf dem afrikanischen Kontinent war. Wenngleich Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion neun Botschaften und drei Konsulate in Afrika schließen musste, haben sich die russisch-afrikanischen Beziehungen vor allem seit den 2010er Jahren wieder erholt. Wie geheime Dokumente zeigen, die der britische Guardian einsehen konnte, hat Russland mittlerweile etwa 20 Abkommen auf dem Gebiet der militärischen Kooperation mit afrikanischen Staaten unterzeichnet. Und auch Russlands Invasion der Ukraine scheint nicht zu einer Abkühlung des Verhältnisses zu den afrikanischen Partnern geführt zu haben: Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 besuchte Außenminister Sergei Lawrow bereits Ägypten, Äthiopien, Uganda, die Republik Kongo sowie jüngst Südafrika, Swasiland, Eritrea und Angola.
Die Offenheit afrikanischer Regierungen und Gesellschaften gegenüber Russland trotz dessen Angriffskriegs gegen die Ukraine verwundert viele westliche Beobachter*innen. Duursma und Masuhr zufolge dominieren zwei Perspektiven auf Russlands Afrikapolitik. Die eine warnt vor der sicherheitspolitischen Gefahr, die vom russischen Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent ausgehe. Die andere ist der Meinung, dass Russland die Machtmittel fehlen würden, um als wirklich einflussreicher Akteur in Afrika auftreten zu können. Die Autoren hingegen versuchen in ihrem Artikel, diese vereinfachten Perspektiven aufzubrechen.
Zunächst müsse anerkannt werden, dass Russlands anti-koloniale und anti-imperiale Rhetorik, gepaart mit der Ablehnung der Nato und einem tief sitzenden Anti-Amerikanismus, in vielen afrikanischen Gesellschaften auf fruchtbaren Boden fällt. Gründe hierfür seien die negativen historischen Erfahrungen mit dem europäischen Kolonialismus sowie der hegemonialen Politik der USA. Unter Wladimir Putin habe Russland es geschafft, die afrikanische Erinnerung an die sowjetische Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen in ein neues Narrativ zu überführen. Heute, so die Botschaft des Kreml, stehe Russland erneut an der Seite Afrikas im Kampf gegen eine von den USA angestrebte unipolare Weltordnung. Russlands Widerstand gegen diese Ordnung werde auch in der Ukraine geführt, wo man, so das zynische Argument, einen Verteidigungs- und keinen Angriffskrieg führe.
Neben diesen gegenseitigen Affinitäten in der Rhetorik und auf dem diplomatischen Parkett beleuchtet der Artikel zudem die Art und Weise, wie Russland ganz konkret versucht, in Afrika Einfluss zu gewinnen. Hier helfe dem Kreml die Beschaffenheit der eigenen Politik. Diese sei in hohem Maße von Personalisierung, Netzwerkstrukturen und individuellen Akteuren dominiert, die direkten Zugang zum obersten Patron Putin haben. Es handele sich um einen patronalen bzw. patrimonialen Modus von Politik. Dieser ähnele dem Patrimonialismus afrikanischer Gesellschaften, was es Russland erlaube, gezielt Kontakte mit wichtigen staatlichen, sub-staatlichen und gesellschaften Akteuren zu knüpfen. Ein praktisches Beispiel hierfür ist das Vorgehen der russischen Söldnergruppe Wagner in der Zentralafrikanischen Republik. Wagner-Führer Jewgeni Prigoschin gehört zum engen Zirkel Putins und weiß somit ein hochgradig personalistisches Umfeld zu manövrieren – eine Fähigkeit, die ihm bei seinen wirtschaftlichen und Militär-Geschäften in Afrika hilfreiche Dienste erweist.
Ideologische Gemeinsamkeiten und geteilte Praktiken personalistischer Herrschaft sind allerdings nicht die einzigen Ursachen für Russlands erfolgreiche „Rückkehr“ nach Afrika seit den 2010er Jahren. Duursma und Masuhr verweisen hier auf den opportunistischen Charakter des russischen Engagements. Im Unterschied zur Sowjetunion sei die Afrikapolitik des Kreml im 21. Jahrhundert weit weniger strategisch und dadurch zuweilen flexibler. Sie schaffe es oft, gezielt bestehende Möglichkeiten zu nutzen, etwa vereinzelte Rohstoff- und Waffengeschäfte zu schließen, um den einmal erreichten Einfluss zu konsolidieren.
Zusammengenommen erlauben die drei von den Autoren identifizierten Faktoren ein differenziertes Bild auf Russlands Beziehungen nach Afrika. Zwar seien das Ausmaß und die Konsequenzen der russischen Afrikapolitik geringer als die anderer großer Akteure wie der USA, der EU oder Chinas. Gleichzeitig erlaube die historische Erfahrung mit der Politik der Sowjetunion auf dem afrikanischen Kontinent, dass Russland „über seiner Gewichtsklasse boxen könne“, wie Duursma und Masuhr es formulieren. Trotz fehlender Machtmittel und den Problemen mit der eigenen personalistischen Herrschaft entsteht somit der Eindruck, Russland kehre als globaler Akteur auf die Weltbühne zurück.
Die Staaten Afrikas wiederum wissen ihrerseits das russische Streben nach dem globalen Großmachtstatus zu nutzen: Die Andeutung von Kooperationsbereitschaft mit Russland erlaubt es beispielsweise, Konzessionen westlicher Staaten zu erreichen, die aus sicherheitspolitischen Gründen eine Etablierung Russlands in Afrika unterbinden wollen.