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Kopiert, nicht geliehen: Warum Sprachen nicht an „Strukturitis“ sterben

Re-Paper
Lars Johanson2002
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Kopiert, nicht geliehen: Warum Sprachen nicht an „Strukturitis“ sterben

»Do languages die of ‘structuritis’?«

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Intro

Geschrieben von Deborah Arbes

Bei te.ma veröffentlicht 22.12.2023

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/bd5x-xs15

Geschrieben von Deborah Arbes
Bei te.ma veröffentlicht 22.12.2023
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/bd5x-xs15

Lehnwörter aus anderen Sprachen werden oftmals zum Anlass genommen, einen vermeintlichen Sprachverfall zu kritisieren. Ist intensives Entlehnen jedoch wirklich ein Anzeichen für den bevorstehenden Sprachtod und den graduellen Wechsel zu einer anderen Sprache? Für Sprachtod gibt es andere Gründe, sagt Lars Johanson und räumt mit dem Mythos auf, dass Sprachen von einer sogenannten „Strukturitis“ befallen und daran sterben würden.

Die Hypothese erscheint zunächst einleuchtend: Sprache A nimmt Wörter und grammatische Strukturen aus Sprache B auf und infiziert sich so metaphorisch mit „Strukturitis“. Im nächsten Schritt sind die Sprachen vermischt und im übernächsten ist Sprache A vergessen und nur noch Sprache B wird gesprochen. Das Problem dabei: Es gibt keine empirischen Belege dafür, dass diese Sprachmischung, bei der nur eine Sprache übrig bleibt, tatsächlich passiert. In der Geschichte der Sprachwissenschaft sind schon viele Sprachen ausgestorben, aber ein Prozess des Sprachtodes durch graduellen Strukturwandel ist laut Johanson noch nicht beobachtet worden. 

Wenn eine Sprache ausstirbt, sind die Gründe dafür meistens sozialer und politischer Natur, erklärt der Autor. In einer Umgebung, in der eine dominante Sprache B vorherrschend ist, kann sozialer Druck entstehen und zu einer negativen Einstellung gegenüber Sprache A führen. Wenn diese als „primitiv“ oder „Bauernsprache“ bezeichnet wird, vermeiden Eltern möglicherweise, Sprache A an ihre Kinder weiterzugeben, oder tun dies nur unvollständig in der Annahme, Sprache B sei nützlicher, wirtschaftlich sinnvoller oder allgemein besser. Dies beobachten wir zurzeit in Norddeutschland am Beispiel der niederdeutschen Sprache. 

Der Prozess des graduellen Rückgangs der Sprachnutzung und die Unterbrechung der Sprachweitergabe an die nächste Generation wird oftmals begleitet von Sprachkontakt mit einer dominanten Sprache, der sich in Entlehnungen und Codeswitching zeigt. Dies ist aber nicht der Grund für einen Sprachtod, versichert Johanson, denn diese Phänomene seien in lebendigen Sprachen ebenso zu finden. 

Tatsächlich verwendet Johanson die Worte „Loan“ oder „Borrowing“ nur, um die dahinterstehende Metapher des Leihens zu kritisieren. In seiner Theorie werden Wörter nicht geliehen oder übernommen, sondern kopiert. Beim sogenannten Code-Copying wird eine Kopie des Wortes erstellt, die niemals komplett identisch mit dem Original ist. Die Kopien werden sowohl phonologisch als auch morphologisch angepasst, wie z.B. an dem englischen Lehnwort joggen (von „to jog“) zu sehen ist: Während die englische Aussprache mit [dZÅg] beschrieben wird, klingt es im Deutschen eher wie ['tʃOg@n]. Die Kopie deckt sich auch semantisch oft nicht zu 100 Prozent mit dem Original: to jog kann im Englischen zusätzlich in der Bedeutung „stoßen, rütteln, schubsen“ verwendet werden; diese Facetten des Verbs sind in der deutschen Kopie nicht vorhanden. 

Viele Sprachen haben vom Code-Copying intensiv Gebrauch gemacht. Laut Johanson ist jede Sprache der Welt im Laufe ihrer Geschichte von anderen Sprachen beeinflusst worden. Es wurde bisher jedoch nicht beobachtet, dass eine Sprache durch massives Code-Copying in ihrer Grundstruktur angegriffen und dadurch bedroht wird. Hinzu kommt, dass einige Elemente einer Sprache fast nie durch Kopien aus anderen Sprachen ersetzt werden. Dazu gehören grammatische Elemente wie Kasus- und Tempusmarker, Präpositionen und Pronomen. Um dies zu unterstreichen, zitiert Johanson die Linguistin Susan Gal1, die feststellte, dass ein Satz in einer in Österreich gesprochenen ungarischen Varietät unabhängig von der Anzahl der darin enthaltenen Fremdwörter weiterhin als ungarischer Satz funktioniert, solange die angehängten grammatikalischen Elemente – die Numerus-, Kasus-, Personen- und Zeitformmarker sowie Artikel – ungarisch bleiben.

Mit seinem Artikel liefert Johanson stichhaltige Argumente dafür, dass die Phänomene Sprachkontakt und Sprachtod getrennt voneinander analysiert werden müssen. Das Modell des Code-Copying unterstützt dies, indem es eine Alternative zu den in der Kontaktlinguistik gängigen Metaphern des Leihens („loanword“, „borrowing“) bzw. Spendens und Empfangens („donor-“ oder „recipient language“) bietet.  

Fußnoten
1

Susan Gal: Language shift. Social determinants of linguistic change in bilingual Austria. Academic Press, New York 1979.

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