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“Interessante Argumentationslinien” – das hören wir gern! Ich versuche, Ihren Punkt weiter zu ergründen. Ich verstehe Sie so, dass Sie den Verdacht formulieren: Konservative Interessengruppen, die eine Agenda der gesellschaftlichen Transformation (in Richtung besserer Anerkenntnis von Nicht-Binarität zum Beispiel) behindern wollen, lassen statt dessen auf sprachlicher Ebene die Puppen tanzen, als Ersatz oder Ablenkung?

Wenn es so wäre, dann müsste man sich natürlich fragen: Ist dann die konservative Aufregung über “Geder-Gaga-Sprache” auch nur fingiert (damit die Scheindebatte schön am Laufen bleibt)? Und wie würde das zusammengehen damit, dass non-binary-Aktivisten ja selbst die Debatte um die Sprache befeuern, weil sie dem Sprachwandel eine Pionierfunktion für den sozialen Wandel zuschreiben?

Ich finde Ihren Punkt intellektuell interessant, ich glaube aber (wenn ich ihn richtig verstehe), dass die Realität viel einfacher ist. Die Aktivisten wollen in der Tat das Sprachlich-Politische akzentuieren und setzen auf die sozialen Effekte der Sprachinnovation.

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Sie haben meinen Punkt nur teilweise korrekt aufgenommen.
Ich argumentiere, konservative Interessengruppen, die eine gesellschaftliche Transformation in Richtung besserer Teilhabe aller Gruppen und gerechterer ökonomischer Verhältnisse behindern wollen haben das Gender Sprachthema in den Vordergrund geschoben - und zwar sowohl auf der Seite der Aktivisten als auch ihrer Gegner. Ich vermute, diese Entwicklung wurde (primär und zuerst in den USA) von Dritten initiiert oder befördert und dabei geht es nicht um Sprache und Identität an sich sondern um Ablenkung von den Grundlagen der Macht und der Ökonomie.

Diese Diskussion bindet Kräfte, lenkt von wichtigeren Fragen ab und zerstört, wie Sie oben selbst schreiben, die politischen Fähigkeiten der Sprache also die Chance auf substantiellen Dialog. Dies passiert auch, weil jeder mit einer entsprechenen (Gender- oder nicht Gender-)Sprache gleich eine massive konfrontative Botschaft an seinen Gegenüber sendet.
Letztendlich ist die gesamte Debatte um Identitäten Zeugnis einer übersteigerten Individualisierung und Ich-Kultur. Wenn die Menschheit als Gesellschaft überleben soll, müsste jeder seine Individualität etwas in den Hintergrund schieben und das Gemeinsame und gemeinsame Interessen in den Vordergrund der Diskussion und des Handelns stellen.

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In Grossen und Ganzen scheint mir dann aber doch, dass wir beide Ihren Punkt so formulieren, wie Sie ihn auch meinten. Ich hatte “sprachlich die Puppen tanzen lassen” geschrieben, Sie schreiben “haben das Gender Sprachthema in den Vordergrund geschoben” – das meinte ich mit meinen “Puppen”.

Ich sehe es ja ebenso wie Sie, dass die Sprachdebatte die Transformation eher hindert als befördert, diesen Satz von Ihnen würde ich auch unterschreiben: “Dies passiert auch, weil jeder mit einer entsprechenen (Gender- oder nicht Gender-)Sprache gleich eine massive konfrontative Botschaft an seinen Gegenüber sendet.”

Ich frage mich aber weiter, wer diese Dritten sein könnten. Soweit ich die Anliegen der Sprachreformer (der “Genderer”) kenne, geht es ihnen wirklich um das, was sie als Botschaft formulieren, also den politischen Effekt des Sprechens. Dann gäbe es keine Dritten, jedenfalls sehe nicht nicht, wer sie sein könnten. Vielleicht kann ja @julian_andrej_rott hier noch einen Blick von innen beisteuern.

Mit der Frage, ob eine Ich-Kultur die Konsensfähigkeit untergräbt, sind wir dann ja in der soziologischen Dimension der Problematik. Einerseits ist der “normative Individualismus” die Grundlage unserer liberalen Gesellschaften. Andererseits kann er, wenn er an ein rigides Gerechtigkeitsprinzip gekoppelt wird wie derzeit, diese Gesellschaften selbst auch leicht zersplittern.

Mich erinnert das ein wenig an die Tragedy of the commons aus den Wirtschaftswissenschaften: Das “unkonfrontativ-miteinander-sprechen-Können” ist ein Gemeingut, auf das wir alle angewiesen sind, aber Player mit starken Partikularinteressen wollen es nicht erstellen bzw. untergraben seine Erstellung. Das Kollektiv könnte damit die Genderer beschuldigen, sich antisozial zu verhalten, genauso wie die Genderer das Kollektiv der Ungerechtigkeit ihnen gegenüber beschuldigen können.

Wir beackern mit dem Sprechen sozusagen alle einen gemeinsamen Garten, von dem wir uns auch ernähren, in dem aber andererseits auch jeder sein eigenes Pflänzchen züchten kann. Die Frage ist, wie sich das ganze Biotop dann verändert – was wird tatsächlich wuchern, und was bleibt einfach in seinem Eckchen?

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Für mich handelt es sich hier eben nicht um eine Scheindebatte, um eine Ablenkung von wichtigeren Fragen oder ein übersteigertes Geltungsbedürfnis. Hier geht es ganz konkret um das Wohl mehrerer Gruppierungen in den Gesellschaften der Welt. Es geht um das Wohl von Frauen und trans/nicht-binären Personen, also Menschen, die derzeit in vielen Teilen der Welt politisch und sozial benachteiligt werden. In der Bundesrepublik schleppt sich die Gesetzesänderung zum vom Transsexuellengesetz zum Selbstbestimmungsgesetz dahin, in den USA wird die körperliche Selbstbestimmung von Personen mit Uterus aktiv untergraben, in Polen gibt es noch immer “LGBT-ideologiefreie” Zonen. Dies sind nur drei Beispiele von unzähligen. Sicherlich sind all diese und die vielen weiteren Probleme nicht über eine sprachliche Sichtbarmachung allein zu lösen, aber diese kann als Symbol fungieren, sie erhöht die Sichtbarkeit und sie normalisiert - mindestens über die Zeit hinweg - die Gegenwart dieser Menschen in allen Lebensbereichen. Das erschwert es meines Erachtens, sie als Unbekannte, und damit als Projektionsfläche zu sehen. Deswegen setzt die Sprache ein wichtiges Zeichen, ob in Form eines Gendersternchens oder anderweitig.

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