Richard Connolly, der lange an der University of Birmingham forschte und mittlerweile ein Londoner Beratungsunternehmen leitet, stellt in seinem Buch drei Fragen: Welchen Effekt hatten die 2014 als Reaktion auf Russlands Annexion der Krim und die militärische Intervention im Donbass verhängten Sanktionen? Wie reagierte der russische Staat darauf? Und welche Konsequenzen löste beides auf die russische Wirtschaft und ihre Integration in die Weltwirtschaft aus? Die Arbeit will drei Schwächen der Sanktionsforschung umgehen: Erstens konzentriere sich die Analyse des sanktionierten Staates oft auf dessen Regimetyp und vernachlässige andere Institutionen. Zweitens würden die Besonderheiten der politischen Ökonomie des Ziellandes vernachlässigt, die es jedoch mitunter erlauben, die Wirkung von Sanktionen abzumildern. Und drittens sei es wichtig, eine globale Perspektive einzunehmen und zu fragen, wie das sanktionierte Land in die Weltwirtschaft eingebunden sei.
Für die Befürworter*innen von Sanktionen gegen Russland sind Connollys Antworten ernüchternd. Zwar hätten Sanktionen in den ersten Monaten nach ihrer Verhängung durchaus einen disruptiven Effekt auf die russische Ökonomie gehabt. Insbesondere die ukrainischen Sanktionen hätten etwa Russlands Pläne für die Aufrüstung der eigenen Marine untergraben, indem wichtige Lieferketten für Schiffsantriebe weggebrochen sind. Auch der Finanzsektor sei zunächst stark betroffen gewesen. Die Doppelkrise aus Sanktionen und dem Einbrechen der Rohstoffpreise in den Jahren 2014 und 2015 habe für Kapitalarmut in Russland gesorgt.
Bereits ab 2015 jedoch habe sich die russische Wirtschaft stabilisiert. Die Öl- und Gasindustrie expandierte trotz westlicher Technologiesanktionen. Und bereits nach wenigen Monaten konnten Unternehmen wie Rosneft neue in- und ausländische Finanzierungsquellen erschließen und ihre Investitionen sogar steigern. Russland führte darüber hinaus sein militärisches Modernisierungsprogramm weiter und hielt bestehende Exportverpflichtungen gegenüber internationalen Partnern ein. Auch finanzpolitisch habe die russische Regierung wirtschaftliche Aktivitäten am Laufen halten können, vor allem durch einen freigegebenen Wechselkurs und die Einführung informeller Kapitalverkehrskontrollen, die Bereitstellung von Liquidität seitens des Staates und eine vergleichsweise rigorose Sanierung des Bankensystems.
Connolly schlussfolgert, dass sich die drei maßgeblich sanktionierten Sektoren – Energie, Militär, Finanzen – erstaunlich gut an die neue Realität anpassen konnten und keine irreparablen Schäden davongetragen hätten.
Dabei habe die russische Regierung auf eine Reihe von Instrumenten sowie administrative und finanzielle Ressourcen zurückgegriffen, die aus der massiven Präsenz des Staates in der Wirtschaft resultieren.
Zwar bleibe Russland in großen Teilen von westlicher Technologie abhängig und die Reaktion des russischen Staates sollte auch nicht mit Autarkiebestrebungen gleichgesetzt werden. Die Ergebnisse von Connollys Studie (die sich auf die Jahre 2014 bis 2017 beschränkt) zeigen dennoch in eine eindeutige Richtung: Russland gehe es darum, in strategisch wichtigen Sektoren, insbesondere dem Energiesektor, dem militärisch-industriellen Komplex und der Finanzwirtschaft, neue Zulieferer, Kooperationspartner und Finanzierungsmöglichkeiten zu beschaffen, um sie vor zukünftigen Sanktionen zu schützen.
Im Unterschied zu anderen Studien, welche die Verbreitung von Sanktionen als ein gängiges Mittel der internationalen Politik kritisch sehen, geht es Connolly nicht um ein Urteil darüber, wie Sanktionen die globale Ordnung verändern.
Gleichwohl bietet sein Buch Lehren für die Zukunft der internationalen Politik. Große Länder mit entsprechenden Ressourcen, staatlichen Strukturen und internationalen Handelspartnern scheinen sich an westliche Sanktionen anzupassen, statt den Forderungen der sanktionierenden Staaten nachzugeben. Die Kombination aus der kontinuierlichen Zunahme von Sanktionen als Instrument westlicher Außenwirtschaftspolitik und der Anpassungsfähigkeit sanktionierter, oft nicht-westlicher Länder bedeutet, dass Sanktionen die internationale Politik langfristig umstrukturieren.