SPECIAL INPUT: Martin Krohs

Ebbi und Elke-die-Melke

Martin Krohs präsentiert eine neue Lösung fürs genderneutrale Sprechen, die er bei seinem Nachbarn Ebbi entdeckt hat, einem Rinderzüchter in der Gusnitz: Wir erwecken ein schlummerndes Wortbildungs-Muster zu neuem Leben, und die Übermacht des Patriarchischen verpufft.

Gendergerechte Sprache?

Im September 2023 erscheint im Kulturverlag Kadmos der Sammelband Gendern – auf Teufel*in komm raus?, in dem Linguisten, Journalisten und Aktivisten das kontroverse Thema aus verschiedensten Richtungen beleuchten. Aus dem te.ma-Team sind Julian A. Rott und Martin Krohs mit Beiträgen vertreten, die wir freundlicherweise vorab online veröffentlichen dürfen. Der vorliegende Text ist von Martin Krohs.



Unsere deutsche Sprache hat ein Geschlechterproblem. Ein ziemlich handfestes. Und jetzt, wo es einmal aufgefallen ist, stört es außerordentlich. Wir müssen es lösen! Nur wie? 

Die verschiedenen Verfahren des Genderns wollen nicht recht funktionieren: Entweder die Bedeutung trifft nicht das Gemeinte oder die Grammatik klemmt fest oder die Zunge. Andererseits wird das generische Maskulinum seinen männlichen Stallgeruch wohl niemals los.

Was es brauchte, wäre etwas Drittes: Eine simple, handliche Wortform, um Personenrollen (Berufe, Personenstände, nomina agentis etc.) geschlechterneutral zu bezeichnen. Mein Nachbar Ebbi, eigentlich Eberhardt, beruflich Rinderzüchter in einem Dorfe in der Gusnitz, könnte sie gefunden haben.

Neulich stehen wir so mit unserem Nachmittagsbier an der Weide, da klingelt bei Ebbi das Telefon.

„Echt, nee, ne, Elke? Schon wieder? Na gut, ich komm hoch.“

Ebbi legt auf und geht zum Traktor.

„Da kommt se wieder nicht in den Kühlraum, ich muss mal aufschliessen fahren.“

„Elke? Ist das die vom Hofladen?“, frage ich.

„Nee, Elke-die-Melke. Kennste nich? Halb sechs, Zeit fürs Abendmelken, mein Lieber, höchste Zeit. Also. Hau rein!“

Oh, Ebbi, rolle ich mit den Augen. Elke-die-Melke. Junge junge. Und Tine die Tippse oder was? Und Paula die Putze. Geht's noch?

Andererseits haben wir „Hilfe“ und „Wache“, die ebenfalls durch Anhängen von -e von einem Verb abgeleitet sind, und es ist nichts dabei, zu sagen: „Ist das der Gärtner?“ – „Nein, das ist seine Hilfe. Der Gärtner kommt gleich.“ Und die Hilfe kann, ebenso wie die Wache, eine Frau sein oder ein Mann.

Die linguistische Fachliteratur – ich habe das nachgeschaut – kommt zu dem Befund, dass solche vom Verb abgeleiteten Personenbezeichnungen auf -e erstens heute nicht mehr produktiv sind, also keine neuen Formen mehr bilden, und dass sie zweitens, wenn sie ausnahmsweise doch einmal neu auftauchen, negativ, nämlich abwertend konnotiert sind1. Man denke an die Saftschubse.

Aber ließe sich das nicht ändern?

Was nicht mehr produktiv ist, lässt sich es wieder machen. Wir hätten dann nicht nur die Melke, sondern auch die Traktoriste, die Mechatronike, die Rinderzüchte, und – wenn auch etwas ferner vom jeweiligen Wurzel-Verb – ebenso die Praktikante, die Studente, die Lese, die Autore, die Linguiste. Und alle diese Menschen wären beliebigen Geschlechts.

Auch andere Erzeugnisse der E-Derivation nutzen wir ja heute jeden Tag. Die Reise, gebildet vom Verb reisen, die Frage von fragen, die Bremse von bremsen und so weiter. Und nichts davon ist ausgesprochen lustig oder gemein. 

Sowieso sind wir den Konnotationen nicht hilflos ausgeliefert. Wenn ich, beispielsweise, das Wort geil nicht mehr so verstehen will, dass es frivol klingt, dann hört es tatsächlich irgendwann auch auf, frivol zu sein. Ebenso schwul: Früher war es diskriminierend, heute neutral. Warum sollte man nicht auch die Melke-Formen so umverstehen können, dass sie uns nicht mehr despektierlich oder kurios erscheinen?

Man hätte dann endlich die Formen, die uns heute so fehlen. Man wäre vom generischen Maskulinum befreit, das ja doch immer nur ein pseudo-generisches war, und man müsste sich auch nicht mit den Zumutungen des Genderns herumschlagen. Man hätte, dank Ebbi, endlich eine tatsächlich generische Form zur Hand, noch dazu eine, die einfach zu bilden ist 2.

Und die Sache hätte noch einen weiteren Vorteil. Unser sprachliches Geschlechterproblem betrifft ja nicht nur die Substantive, sondern mindestens ebenso auch die Pronomen. Und die enden, wo es um Menschen geht, im Deutschen meist auf etwas wie -er oder auf -ie, wobei das -er leicht als männlicher Zipfel erkennbar ist. Der baumelt mit Vorliebe ausgerechnet dort hervor, wo man eigentlich geschlechtsneutral reden möchte, nämlich bei jeder, keiner, der und wer, was unserem gesamten Pronominalsystem ein deutlich maskulinistisches Gepräge gibt.

Das wird es wohl auch niemals wieder los. Aber man kann ihm etwas entgegensetzen: Bedient man sich bei Ebbis Melke, dann hat man quasi unbegrenzt grammatisch feminine Power auf der Nomen-Seite. Die Gärnte, die Artze, die Pilote; die Förste, die Jäge und die Imke; die Kundenberate, die Lebensgefährte, die Skeptike, die Querulante, die Pianiste, Musike, Male Bildhaue, Schüle, Forsche und so weiter.

Die Übermacht des Patriarchischen verpufft, der schiefhängende Waagbalken kommt in Bewegung sich: Endlich sind m. und f. im Deutschen in Balance. Was will man mehr? Ausgleichende Gerechtigkeit!

Sicher – auch Ebbis Melke hat ihre kleinen Schwächen. Sie führt gelegentlich zu Doubletten. Die treue Kunde im Geschäft könnte in anderem Zusammenhang auch eine überbrachte Nachricht sein, die Radfahren im Pulk dort an der Ampel erinnern an ein Verb3. Dennoch. Schaut man aufs sprachliche Gesamt, dann ist die Ebbi-Ableitung wohl nicht so leicht zu schlagen.

(gekürzte online-Fassung des Buchbeitrags)



Der Sammelband Gendern – auf Teufel*in komm raus? erscheint im September 2023 im Kulturverlag Kadmos. Herausgeber sind Ewa Trutkowski und André Meinunger (Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) in Berlin). 2017 erschien im gleichen Verlag der Vorläuferband Die Teufelin steckt im Detail . Wir danken dem Verlag und den Herausgebern für die Möglichkeit der vorgezogenen online-Veröffentlichung der beiden Texte.

Der Beitrag von Julian A. Rott behandelt die Thematik der Neopronomina, mit einem besonderen Blick auf den Sprachvergleich. Er ist ebenfalls auf te.ma bereits zu lesen.

Fußnoten
3

Für diese abwertende Konnotation könnten verschiedene Faktoren eine Rolle spielen: eine generelle Minderstellung des femininen Genus gegenüber dem maskulinen (wie bei du Flasche oder du Trantüte), ein verächtliches weibliches Rollenklischee (wie in Schlampe) oder das Fortwirken einer bereits im Verb selbst angelegten negativen Konnotation (tippen ist eben nicht ganz Maschineschreiben). Das Verb melken ist allerdings keine Spott-Variante von Milch extrahieren, sodass zumindest das Letzte in diesem Fall wegfallen sollte. Eine vierte Möglichkeit wäre, dass die negative Konnotation mit der ruhenden Produktivität der E-Derivation selbst zu tun hat: Weil sie so ungewöhnlich sind, eignen sich diese Ableitungen zur Persiflage – und weil sie zum Persiflieren benutzt werden, hat die Ableitung Produktivitätshemmnisse: eine zirkuläre Beeinflussung.

Technisch gesehen gehört Ebbis Vorschlag zu den Strategien des „Entgenderns“ oder Degendering, also des Unsichtbarmachens von Geschlecht in der Sprache. Darin ähnelt es der Methode des Wiener Unterhaltungskünstler Hermes Phettberg (inzwischen unterstützt vom Linguisten Thomas Kronschläger), alle Personensubstantive durch das Suffix -y ins Neutrum zu überführen: Phettberg redet von Freundys, Lesys, Hörys usw. Diese Neutralisierung erkauft man sich aber mit einer oft inadäquat wirkenden Zwangsverniedlichung (Terroristys, Diktatorys), und sie hat dem masculine bias des deutschen Pronominalapparats nichts entgegenzusetzen. Zudem kann sie kaum an bestehende Personen-Neutra anknüpfen (mit Ausnahme von vielleicht das Mädchen, evtl. das Mitglied und ggf. das Kind) und wirkt damit künstlicher als Ebbis sprachhistorisch nahtlos vorbereitete E-Ableitung.

Wobei das Zusammenfallen der Formen von Verb und Substantiv in anderen Fällen auch kein besonderes Problem darstellt, siehe: Wenn hinter Robben Robben robben, robben Robben Robben hinterher.

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