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Geschrieben von Sebastian Hoppe

Bei te.ma veröffentlicht 27.03.2023

te.ma DOI 10.57964/me93-x383

Geschrieben von Sebastian Hoppe
Bei te.ma veröffentlicht 27.03.2023
te.ma DOI 10.57964/me93-x383

Ostermärsche sind eine Institution der bundesrepublikanischen Friedensbewegung. Nach der russischen Invasion der Ukraine im Februar 2022 hätten sie jedoch nicht von der Empörung der deutschen Öffentlichkeit über den Angriffskrieg profitieren können, erklären die Konfliktforscherinnen Larissa Meier und Priska Daphi. Zwar habe der Krieg die pazifistischen Ansichten langjähriger Teilnehmer*innen der Ostermärsche gefestigt. Die Mobilisierung von neuen Protestierenden sei aufgrund der fehlenden Anschlussfähigkeit an gesellschaftliche Stimmungen jedoch nicht gelungen.

Die Untersuchung basiert auf einer Befragung von Teilnehmenden des Bielefelder Ostermarsches im Jahr 2022 sowie auf allgemeinen Umfragen zum Krieg in der Ukraine. Im Mittelpunkt stehen drei Fragen: Wie setzen sich die Ostermärsche sozial zusammen? Wie werden die Protestierenden mobilisiert? Und wie unterscheiden sich das Framing der Protestierenden und die öffentliche Meinung in Deutschland zum Ukraine-Krieg?

Die Autorinnen gehen zunächst davon aus, dass der von den Soziolog*innen James Jasper und Jane Poulsen in den 1990er Jahren beschriebene Effekt eines „moralischen Schocks“ in Form der russischen Invasion einen mobilisierenden Effekt auf die Bevölkerung hat.1 Folgt man der Theorie, so wäre zu erwarten, dass infolge des Kriegsbeginns auch die Ostermärsche einen starken Zulauf erleben müssten. Wie Meier und Daphi zeigen, ist dem jedoch nicht so. Die Teilnehmerzahlen stiegen zwar im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren leicht an. Eine breite gesellschaftliche Friedensbewegung blieb jedoch aus.

Die erhobenen Daten zeigen, dass an den Ostermärschen vor allem Menschen teilgenommen haben, die dies bereits seit langer Zeit tun. Im Jahr 2022 konnten nur wenige neue Protestierende mobilisiert werden. Maier und Daphi erklären diesen Umstand mit der fehlenden gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit der Narrative, die in der Ostermarschbewegung vorherrschen. Ihre Analyse der Protestankündigungen zeigt, dass nicht nur Russland, sondern auch dem Westen und insbesondere der Nato eine Mitschuld am Krieg gegeben wurde. Zudem sei das von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr scharf kritisiert worden. Und letztendlich seien statt Waffenlieferungen verstärkte diplomatische Bemühungen gefordert worden.

Das anhand von Meinungsumfragen erhobene Stimmungsbild in Deutschland zum selben Zeitpunkt unterschied sich hingegen deutlich von diesem Framing. Vor allem die Schuldfrage wurde anders bewertet. Die überwältigende Mehrheit der deutschen Gesellschaft, so Meier und Daphi, hätte Russland klar als Verursacher des Krieges gesehen und der Nato-Osterweiterung nur eine untergeordnete Rolle zugeschrieben. 

Während die Angst vor einem Atomkrieg in den 1960er Jahren dafür sorgte, dass die Ostermärsche zu einem fest etablierten Bestandteil der Friedensbewegung werden konnten, ist heute kein vergleichbares Mobilisierungspotential zu beobachten. Wie Meier und Daphi resümieren, konnte also auch Russlands Invasion der Ukraine den Wandel der Ostermärsche über die vergangenen drei Jahrzehnte nicht umkehren: Einst als Massenbewegung gestartet, sind sie mittlerweile lediglich „Erinnerungsorte“,2 die nur noch auf begrenzte Resonanz in der breiten Bevölkerung stoßen.

Fußnoten
2

James M. Jasper und Jane D. Poulsen: Recruiting Strangers and Friends. Moral Shocks and Social Networks in Animal Rights and Anti-Nuclear Protests. In: Social Problems. Band 42, Nr. 4 1995, S. 493–512. 10.1525/sp.1995.42.4.03x0129y.

Christine Pflüger: Erinnerungsorte. In: Ulrich Mayer 'et al. (Hrsg.). Wörterbuch Geschichtsdidaktik. Wochenschau Verlag, Frankfurt/M. 2022, S. 69–70. ISBN 9783734411045

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Als Ostermärsche bezeichnet man pazifistische und anti-militaristische Kundgebungen und Demonstrationen, die jährlich zur Osterzeit durchgeführt werden. Sie haben ihren Ursprung in Grobritannien in den 1950er Jahren, erfuhren aber besondere Prominenz im Zuge der deutschen Friedensbewegung seit den 1960er Jahren.

Als Framing (dt.: Rahmung oder Einrahmen) bezeichnet man in den Sozialwissenschaften den Umstand, dass Sachverhalte immer in eine bestimmte Deutung eingebettet sind. Dieser Rahmen entscheidet oft darüber, wie ein bestimmtes Problem wahrgenommen und interpretiert wird. Er ermöglicht in der Folge bestimmte und verhindert andere politische Strategien.

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