Roman Dubasevych forscht zur Erinnerungskultur in der Ukraine und zu psychoanalytischen Zugängen zur Kultur- und Geschichtswissenschaft. Im SWR2-Podcast Zeitgenossen mit Dietrich Brants spricht Dubasevych über Erinnerung und Trauma in der Ukraine und Russland.
Die traumatischen Erfahrungen der Ukraine, die der Krieg aufgeworfen hat, seien vor allem die Erfahrungen der russischen und sowjetischen Fremdherrschaft. Diese interpretiere man überwiegend als eine gewaltvolle Fremdherrschaft. So sei das ganze Land Opfer russischer Großmachtansprüche gewesen. Der Krieg im Osten der Ukraine seit 2014 und die vollständige Invasion 2022 werden dementsprechend auch als Teil des imperialen russischen Projekts gesehen.
Für Dubasevych sind diese erinnerungskulturellen Konzepte und Narrative zu kurz gedacht: Es handele sich – sowohl auf russischer als auch ukrainischer Seite – um ein „
Dubasevych bezeichnet dieses Aufreißen und Präsentieren alter Wunden als inszeniertes Trauma. Dabei verfüge das Trauma über zwei Ebenen: Die erste Ebene sei das eigentliche traumatische Ereignis, die traumatische Realität. Die zweite Ebene sind die Erzählungen über die traumatische Realität, die mitunter seit mehreren Generationen im Umlauf sind. Im Falle der Ukraine seien diese Trauma-Erzählungen in vielen Kreisen der ukrainischen Gesellschaft zu beobachten, so Dubasevych. Sie bezögen sich stets auf die „tausendjährige Unterdrückung“ durch Russland.
Daraus resultiere auch ein Drang, alles Russische aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Davon seien nicht nur literarische und künstlerische Werke betroffen, sondern auch die russische Sprache. Dies sei besorgniserregend, denn der ukrainische Kampf gegen die kulturelle Hegemonie Russlands könnte dazu führen, dass die Ukraine ihre Pluralität und Bilingualität verliert. Eine Gefahr in diesem emotionalisierten Blick in die Vergangenheit und die Fixierung auf die Geschichte sieht auch Georgiy Kasianov: Wenn die ukrainische Gesellschaft weiterhin so stark auf die Vergangenheit fixiert bleibt, werden Fortschritte und positive Entwicklungen verhindert.
Letztlich sei es die Interaktion beider Trauma-Narrative miteinander, die den Krieg so tragisch mache: Die Ukraine sieht sich als Opfer jahrhundertelanger Aggression, und je länger der Krieg andauert, umso mehr würde Russland sich tatsächlich in das putinistische Narrativ, dass die Ukraine faschistisch sei und einen Genozid an den Russ:innen ausübe, hineinsteigern. Mit jedem Tag des Krieges würden alte Trauma-Narrative gestärkt und neue traumatische Erfahrungen kreiert, wie Dubasevych auch bei der te.ma-Podiumsdiskussion Schmerz | Macht | Krieg erneut bestärkte.