Sprachen mit wenigen Sprecher*innen haben es heutzutage nicht leicht. Selbst wenn auf dem eigenen geographischen Gebiet keine andere, größere Sprache vorhanden ist, sorgen Internet und Globalisierung für Selektionsdruck auf der Zunge. Und das gleich in zwei Richtungen: Einerseits müssen Hersteller von Alltagstechnik eine
Dieses Sprachselbstbewusstsein gab es nicht immer: Bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts zählte Island zu den wirtschaftlich schwächsten Ländern Europas.
Um dennoch einen Brückenschlag zu den entsprechenden
ratsjá für „Radar“ (< Engl. radar ∩ Isl. rata „den Weg finden“ + sjá „Seher“)
tækni für „Technik“ (< Dän. teknik ∩ Isl. tæki „Werkzeug“ + Substantivendung -ni)
páfagaukur für „Papagei“ (< Dän. papegøje ∩ Isl. páfi „Papst“ + gaukur „Kuckuck“)
kórréttur für „korrekt“ (< Intl. correct ∩ Isl. réttur „richtig, recht“)
beygla für „Bagel“ (< Intl. bagel ∩ Isl. beygja „beugen“, beygla „Beule“)
eyðni für „AIDS“ (< Engl. AIDS ∩ Isl. eyða „zerstören“ + Substantivendung -ni)
Man könnte sagen, diese Art der Wortbildung ist eine Art instrumentalisierte Volksetymologie: ein Prozess, der sich unter anderem auch für die bei näherer Betrachtung etwas seltsam anmutenden deutschen Begriffe Hängematte
Das Isländische hat es dabei sogar noch vergleichsweise einfach: Es ist eine indoeuropäische Sprache, genau wie Griechisch, Latein und Englisch – die Sprachen, die den Großteil der modernen Fremdwörter in der westlichen Welt stellen. Die Struktur seiner Worte und seines Lautsystems eignet sich also ziemlich gut für die Nachahmung des Phonosemantic Matching. AIDS /eɪdz/ und eyðni /eiðnɪ/ klingen und sehen sich ähnlich. Im Chinesischen, das diese Importstrategie ebenfalls großflächig einsetzt, beschreiben Sapir und Zuckermann das Pendant 爱滋病 àizībìng, zusammengesetzt aus 爱 ài „Liebe“, 滋 zī „erregen“, deren zusammengenommene Aussprache àizī das Englische Quellwort nachempfindet, aber auch „durch Liebe verursacht“ bedeutet und einordnend um 病 bìng „Krankheit“ erweitert ist. Die lautlichen Überschneidungen sind klar, aber allein schon durch das Schriftsystem ist der phonosemantische Match ein Stück weit subtiler.
Am Beispiel AIDS fällt ein weiteres Problem des Ansatzes auf: Man hat eine durch Liebe verursachte Krankheit auf Chinesisch, auf Isländisch sogar eine nominalisierte Zerstörung. Die verbauten Bestandteile sind nicht neutral, sondern bringen bestimmte Konnotationen mit. Gerade bei Bezeichnungen für menschliche Realitäten und medizinischen Begriffen können sich dadurch gesellschaftliche Vorurteile im Wort selbst manifestieren und im Lexikon auch dann noch halten, wenn sich die zugrundeliegenden Stigmata vielleicht bereits gebessert haben. Unter anderem aus diesem Grund hat man in beiden Sprachen mittlerweile alternative Begriffe eingeführt: Im Chinesischen ist es heute angebrachter, von 艾滋病 àizībìng zu sprechen, dessen erstes Zeichen zwar gleich klingt, aber keine semantische Bedeutung hat. Das Wort ist nun einfach die „AIDS-Krankheit“. Isländer*innen sagen neben eyðni auch alnæmi, aus al- „All-, Gesamt-“ und næmi „Empfindlichkeit“.
Das Vokabular einer Sprache ist so dynamisch wie die Welt, die es erfassen muss. Multilinguale und global vernetzte Kontexte bringen ein nie dagewesenes Spannungsmoment ein, dem Sprachen sehr unterschiedlich gegenübertreten. Strategien wie das Phonosemantic Matching zeigen aber, dass die hegemonialen Namensgeber der Welt nicht notwendigerweise bis ins Innerste des Wortschatzes vordringen müssen. Sprachkontakt kann auch kreative Triebkraft sein.