Eigentlich war hier auf te.ma kein Osteuropa-Kanal geplant
Journalismus ist an die Aktualität gekoppelt, sein Grundmodus ist der des Berichtens. Was ist wo wann geschehen? Wer hat was gesagt, und warum? Sicher, es kommen auch andere Textgattungen hinzu, die Analyse, der Kommentar, das Experteninterview. Aber auch die werden von den Wellen der Ereignisse getragen, hin- und hergeworfen. So taumelnd die Aktualität im Krieg ist, so taumelnd ist die an sie gebundene journalistische Medialität.
Die Kriegsereignisse sind aber nicht der Krieg selbst. Sie sind seine Symptome. Der eigentliche Krieg ist eine Realität viel komplexerer Ordnung, deren Begreifen dem Verstand immense Hindernisse entgegensetzt. Welche Faktoren – wirtschaftliche, politische, historische, kulturelle, kommunikatorische, psychologische – spielen in ihm eine Rolle? Welche Rolle genau? Welche Zufälligkeiten haben möglicherweise über sein Entstehen entschieden? Was waren die nicht-realisierten Alternativen? Ohne Spekulation auf Kontrafaktisches lässt sich über das, was reale Geschichte geworden ist, nicht urteilen. Noch weniger über die Zukunft. Wie kann die Gewalt wieder zum Ende kommen? Durch ihre Selbsterschöpfung? Durch eine Niederlage? Was wären deren Folgen? Durch einen Sieg? Wessen? Und was hätte „Sieg“ zu bedeuten?
Die Faktoren, die man ins Urteilen einbeziehen müsste, sind unüberschaubar, kaum gleichzeitig handhabbar. Währenddessen wälzt sich die Wirklichkeit des Krieges täglich weiter in eine Zukunft, auf die wir uns nur bemühen können, die bestmöglichen Wetten abzuschließen.
Auch ein nicht-journalistisches Medium wie te.ma, das in erster Linie digitale Denkräume etablieren will und Reflexion und Wissenschaft in den Vordergrund rückt gegenüber Ereignissen, Berichterstattung und Kommentar, kann hinsichtlich der monströsen Realität des Krieges keine Klarheiten und Gewissheiten schaffen. Aber es kann helfen, Illusionen von Klarheit und Gewissheit zu zerschlagen, um unseren Umgang mit dieser herzzerreißenden, überflüssig vom Zaun gebrochenen Katastrophe ehrlicher und angemessener zu machen.
Als wir uns bei te.ma dazu entschlossen, diesen Kanal einzurichten, standen wir vor der Frage, wie er fachlich kuratiert werden kann. Sinnvoll erschien uns die Besetzung in Form eines Dreiecks: Ein erster Pol, bei dem die betroffene Region im Mittelpunkt steht, vor allem die bisher von der Forschung stark vernachlässigte Ukraine; und zwei weitere, die das International-Systemische, mit Schwerpunkt auf dem Akteur Russland, aus je unterschiedlichen Paradigmen heraus betrachten, die man grob als liberal world order versus peace and conflict studies charakterisieren könnte.
Diese drei Pole vertreten in diesem Kanal drei Forscherinnen und Forscher, die zur jungen Generation zählen und sich zugleich in ihren jeweiligen Fächern längst erfolgreich profiliert haben: Hera Shokohi, Sebastian Hoppe und Alexandra Sitenko. Mehr über sie ist auf ihren jeweiligen Profilseiten zu erfahren.
Dass wir diese drei für unsere Kuration gewinnen konnten, ist eine echte, vorbehaltlose Freude, die gegen das dunkle Thema dieses Kanals anstrahlt.