Julian Andrej Rott stellt vor:

Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men

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Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men

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Geschrieben von Julian Andrej Rott

Bei te.ma veröffentlicht 10.03.2023

te.ma DOI 0.57964/wre8-zj47

Geschrieben von Julian Andrej Rott
Bei te.ma veröffentlicht 10.03.2023
te.ma DOI 0.57964/wre8-zj47

Personenbezeichnungen und ihre grammatikalische Geschlechtsmarkierung sind ein Kernstreitpunkt der Debatte ums Gendern. Interpretieren wir solche Begriffe auf Basis gesellschaftlicher Stereotype oder auf Basis ihrer Wortstruktur? Und welchen Einfluss hat die jeweilige Muttersprache dabei? Psycholinguist Pascal Gygax und sein Team stellen die maskuline Voreingenommenheit des Deutschen, Französischen und Englischen experimentell auf die Probe.

Eine Form wie „die Richterinnen“, ein Plural mit femininer Markierung, ist immer eindeutig. Sie kann ausschließlich eine Gruppe von weiblichen Personen mit einer entsprechenden juristischen Ausbildung und einem öffentlichen Amt bezeichnen und wird immer spezifisch weiblich gelesen. Beim maskulinen Pendant, „die Richter“, ist dies – zumindest traditionell – anders: Es kann spezifisch verwendet werden und nur Männer bezeichnen, oder es soll geschlechtsabstrahierend, also allgemein für alle Menschen stehen. Diese zweite Bedeutung, die wir als generisches Maskulinum kennen, ist eigentlich nur pseudo-allgemein. Denn wenn ein Wort gleichzeitig für alle Elemente einer Menge sowie für nur einen Teil derselben steht, haben diejenigen, die beide Male vorkommen, einen gewissen Vorteil. In der Linguistik nennt man so etwas Autohyperonymie. Dies scheint häufig der Weg zu sein, wie unsere Sprache mit der seltsamen Kategorie Geschlecht von Lebewesen umgeht: Man vergleiche hierzu „der Hund“, „die Katze“ (und auch „die Maus“). Eine Geschlechtsvariante wird zur Allgemeinheit erkoren. Dies gilt so allerdings nur für das Deutsche: Andere Sprachen markieren Genus anders oder gar nicht und haben vielleicht auch andere Assoziationsmuster.

Woran dachtet ihr bei „der Hund“ und „die Katze“ zuerst? Studien haben gezeigt, dass Deutschsprecher*innen mit Hunden eher männliche Tiere assoziieren, mit Katzen eher weibliche. Und das, obwohl es bei diesen Tierarten durchschnittlich gleich viele Männchen wie Weibchen gibt. Ein Effekt des grammatischen Genus, hier sichtbar gemacht durch den definiten Artikel. Aber gut, das ist die Tierwelt – einen Kater schert es nicht, wenn er „Katze“ geheißen wird. Keine junge Hündin muss sich für eine jahrelange Ausbildung entscheiden, um sich als solche bezeichnen zu dürfen. Gefüttert werden beide auch unabhängig von ihrem Namen. Was wir hier haben, ist ein menschliches, sprachspezifisches Gender-Dilemma. Und einen Hinweis darauf, wie Sprache unser Denken prägen könnte.

Wie ist es denn mit Wörtern für Mitglieder unserer eigenen Spezies? Anders als bei Tieren gibt es bei Berufsbezeichnungen nicht nur ein grammatisches Gefälle, sondern häufig zusätzlich auch einen sozialen Unterschied. Während im Falle der Richter laut Bundesamt für Justiz aktuell fast paritätische Verhältnisse herrschen (2020 waren 47,78% der Amtsinhabenden Frauen1), gilt eine solch gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter noch lange nicht in allen Berufen. Gleichzeitig haben wir als Gesellschaft oft stereotype Bilder vor Augen, welches Geschlecht wo stärker vertreten ist.

Das Psycholinguistikteam um Pascal Gygax hat sich erstmals vor 15 Jahren der Frage gewidmet, was in einer solch komplexen Situation das Verständnis von generischen Maskulina bestimmt.

Um zu testen, ob – wie bei unserem Tierbeispiel – grammatische Information die Stereotype überschreibt, führten Gygax und seine Kolleg*innen ein sogenanntes Satzevaluationsexperiment durch: Hierbei lasen Proband*innen ein Satzpaar und sollten beurteilen, ob ein Satz wie (2) eine passende oder unpassende inhaltliche Fortsetzung von einem Satz wie (1) ist:

(1)  Die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof.

(2)  Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen keine Jacke.

Sie entwarfen 36 solcher Passagen auf Deutsch, Französisch und Englisch und zeigten sie jeweils 36 Muttersprachler*innen aus Deutschland, der französischen Schweiz und England. Deutsch und Französisch sind dabei Sprachen mit klar ausgezeichneter Geschlechtsinformation am Wort („die Sozialarbeiter“/„les assistants sociaux“; „die Sozialarbeiterinnen“/„les assistantes sociales“), im Englischen fehlen diese („social workers“ für alle Geschlechter). 

Gleichzeitig sind, so die Forscher*innen, die gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland, der Schweiz und Großbritannien ähnlich genug, um ähnliche Stereotype vorauszusetzen. Darüber, wie die Geschlechterverteilung unter den Proband*innen war, machen die Forschenden keine Angaben.

Der Test funktioniert dann so: Der erste Satz des Satzpaares enthält Personenbezeichnungen im Plural. Systematisch werden entweder stereotyp männliche (z.B. „Informatiker“, „Ingenieure“, „Physikstudenten“) stereotyp weibliche (z.B. „Geburtshelfer“, „Kosmetiker“, „Psychologiestudenten“), und geschlechtsneutrale (z.B. „Sänger“, „Spaziergänger“, „Schüler“) Begriffe eingesetzt2. Der zweite Satz spezifiziert dann eine Teilmenge dieser so eingeführten Gruppe als Männer oder Frauen. Je nachdem, an wen man bei der Bezeichnung im ersten Satz gedacht hat, müsste sich – so die Annahme der Forschenden – die Bewertung der Fortsetzung im zweiten Satz verändern. Gemessen und ausgewertet wurde dabei neben der Bewertung auch die Zeit, die die Teilnehmenden für eine positive Entscheidung brauchten. Die Grundannahme ist, wie oft in der Psycholinguistik, dass eine durchschnittlich längere Reaktionszeit auf erhöhten kognitiven Aufwand hindeutet. Wer also bei „die Sozialarbeiter“ in Satz (1) vor allem vom maskulinen Genus beeinflusst ist, sollte entweder länger für eine positive Bewertung des Satzes (2) brauchen oder ihn ganz ablehnen. Wer dagegen vom gesellschaftlichen Stereotyp der vorwiegend weiblichen Personen im Feld der Sozialarbeit beeinflusst ist, sollte deutlich schneller in der Akzeptanz der Fortsetzung in (2) sein. Hier tut sich der Sprachunterschied klar auf – während im Deutschen („die Sozialarbeiter“) und Französischen („les assistants sociaux“) die Geschlechtsinformation möglicherweise eine Rolle spielt, können beim Englischen („the social workers“) nur die Stereotype wirken, denn eine Movierung gibt es nicht. Die gegenderten Sprachen Deutsch und Französisch, in denen wirklich generische Begriffe für Personen äußerst selten sind, konnten so anhand des Vergleichs mit dem Englischen differenzierter betrachtet werden.

Die Ergebnisse sind eindeutig: Im Deutschen und Französischen wurden die zweiten Sätze signifikant häufig positiv bewertet, wenn Männer explizit benannt wurden, unabhängig davon, ob von Technikern, Coiffeuren oder Zuschauern die Rede war. Im Englischen dagegen entsprach der Anteil der positiven Bewertungen den Stereotypen: bei männlich konnotierten Begriffen wurden Fortsetzungen mit Männern besser bewertet; bei weiblich konnotierten Fortsetzungen mit Frauen; bei geschlechtsneutralen gab es keinen Unterschied. Auch die Entscheidungszeiten untermauern diese Beobachtungen, wenn auch weniger statistisch eindeutig – wenn Männer benannt wurden, ging es im Deutschen und Französischen schneller, im Englischen gab es keine Unterschiede.

Die Forscher*innen schließen hieraus, dass das generische Maskulinum die Interpretation hin zu einer Überrepräsentation der Männer beeinflusst, selbst wenn die sozialen Verhältnisse dies eigentlich nicht nahelegen. Dass Stereotypeninformationen auch mit einbezogen werden, kann nicht ausgeschlossen werden – und in Abwesenheit klarer Genusmarker sind sie es, die den Ton angeben – aber weil fast alle unsere generischen Personenbezeichnungen im Maskulinum sind, denken wir auch zuerst an Männer. Die Studie liefert damit empirische Evidenz für die Positionen der feministischen Linguistik. Ein wenig geschwächt wird ihre Aussagekraft allerdings durch die fehlenden Angaben zum Geschlecht der Teilnehmer*innen. Eine Unausgewogenheit in der ohnehin recht kleinen (aber Psycholinguistik-typischen) Stichprobe könnte die Ergebnisse beeinflusst haben, da in der Zeit der Datenerhebung (2008) bei weiblichen Studierenden eher von einer Sensibilisierung für inklusive Sprache auszugehen ist. Waren sie überrepräsentiert, könnte es sein, dass sie weniger geneigt waren, Maskulina generisch zu interpretieren.3 Interessant wäre auch gewesen, den Einfluss der wenigen generischen Feminina zu untersuchen (z.B. „Geisel“, „Nachtwache“, „Koryphäe“ oder „Waise“) als Prüfstein für die interpretatorische Vormacht des grammatischen Genus. Aber ein solches Unterfangen ist vermutlich kaum im Sprachvergleich zu realisieren. 

Das eingangs angeführte Beispiel aus der Tierwelt zeigt, dass wir es hier vermutlich mit einem größeren sprachlichen Effekt zu tun haben. Sprachliche Strukturen scheinen unser Denken auf subtile Weise überall dort zu beeinflussen, wo sie zur Anwendung kommen, egal ob Mensch, Tier oder sogar Möbelstück. Genus ist dabei ein Faktor von vielen. Oftmals ist dieser Effekt vernachlässigbar bis amüsant. Nur bei Begriffen, die in konkrete sozioökonomische Prozesse eingebunden sind – wie Berufsbezeichnungen –, kann aus einer Autohyperonymie eine Diskriminierung werden.

Fußnoten
3

Quelle: https://www.bundesjustizamt.de/SharedDocs/Downloads/DE/Justizstatistiken/Richterstatistik_2020.pdf, abgerufen am 10.03.2022

Diese Unterteiltung wurde anhand einer Nomierungsstudie vorgenommen, siehe https://link.springer.com/article/10.3758/BRM.40.1.206. Nicht-binäre Personen wurden hierbei nicht mit einbezogen.

In einer Nachfolgestudie desselben Forschungsteams gibt es die Angabe, dass in der vorliegenden Erhebung keine signifikanten Geschlechtsunterschiede gefunden wurden und man daher aus logistischen Gründen auf eine geschlechtsbalancierte Stichprobe verzichten könne.

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Als generisches Maskulinum wird der Usus bezeichnet, grammatisch maskulin markierte Formen als Oberbegriff für Menschen unabhängig ihres Geschlechts zu verwenden.

Movierung bezeichnet Wortbildung zum Zweck der konkreten Geschlechtsspezifizierung (z.B. Fahrer > Fahrerin, Witwe > Witwer).

Das Genus oder deutsch das grammatische Geschlecht ist eine besonders auffällige Kategorie des deutschen Sprachsystems, da es die Substantive betrifft und Substantive diejenigen Wörter sind, mit denen wir die Dinge beim Namen nennen. Die Genera des Deutschen sind das Femininum, Maskulinum und Neutrum.

Hyperonymie ist eine Art der Bedeutungsbeziehung zwischen zwei Begriffen (semantische Relation) und drückt eine Überordnung aus. So ist z.B. „Tiere” der Oberbegriff – das Hyperonym – für Begriffe wie „Fische”, „Vögel”, „Säugetiere”, etc.

Autohyperonymie ist dann der Sonderfall, wenn ein Wort sein eigenes Hyperonym ist. Dieser tritt insgesamt relativ selten auf, ist aber ein prägendes Phänomen bei der Markierung von Geschlechtsinformationen wie beim generischen Maskulinum („Ärzte” für männliche, weibliche und nicht-binäre Personen der Berufsgruppe).

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