Eine Form wie „die Richterinnen“, ein Plural mit femininer Markierung, ist immer eindeutig. Sie kann ausschließlich eine Gruppe von weiblichen Personen mit einer entsprechenden juristischen Ausbildung und einem öffentlichen Amt bezeichnen und wird immer spezifisch weiblich gelesen. Beim maskulinen Pendant, „die Richter“, ist dies – zumindest traditionell – anders: Es kann spezifisch verwendet werden und nur Männer bezeichnen, oder es soll geschlechtsabstrahierend, also allgemein für alle Menschen stehen. Diese zweite Bedeutung, die wir als generisches Maskulinum kennen, ist eigentlich nur pseudo-allgemein. Denn wenn ein Wort gleichzeitig für alle Elemente einer Menge sowie für nur einen Teil derselben steht, haben diejenigen, die beide Male vorkommen, einen gewissen Vorteil. In der Linguistik nennt man so etwas
Woran dachtet ihr bei „der Hund“ und „die Katze“ zuerst? Studien haben gezeigt, dass Deutschsprecher*innen mit Hunden eher männliche Tiere assoziieren, mit Katzen eher weibliche. Und das, obwohl es bei diesen Tierarten durchschnittlich gleich viele Männchen wie Weibchen gibt. Ein Effekt des grammatischen
Wie ist es denn mit Wörtern für Mitglieder unserer eigenen Spezies? Anders als bei Tieren gibt es bei Berufsbezeichnungen nicht nur ein grammatisches Gefälle, sondern häufig zusätzlich auch einen sozialen Unterschied. Während im Falle der Richter laut Bundesamt für Justiz aktuell fast paritätische Verhältnisse herrschen (2020 waren 47,78% der Amtsinhabenden Frauen
Das Psycholinguistikteam um Pascal Gygax hat sich erstmals vor 15 Jahren der Frage gewidmet, was in einer solch komplexen Situation das Verständnis von
Um zu testen, ob – wie bei unserem Tierbeispiel – grammatische Information die Stereotype überschreibt, führten Gygax und seine Kolleg*innen ein sogenanntes Satzevaluationsexperiment durch: Hierbei lasen Proband*innen ein Satzpaar und sollten beurteilen, ob ein Satz wie (2) eine passende oder unpassende inhaltliche Fortsetzung von einem Satz wie (1) ist:
(1) Die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof.
(2) Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen keine Jacke.
Sie entwarfen 36 solcher Passagen auf Deutsch, Französisch und Englisch und zeigten sie jeweils 36 Muttersprachler*innen aus Deutschland, der französischen Schweiz und England. Deutsch und Französisch sind dabei Sprachen mit klar ausgezeichneter Geschlechtsinformation am Wort („die Sozialarbeiter“/„les assistants sociaux“; „die Sozialarbeiterinnen“/„les assistantes sociales“), im Englischen fehlen diese („social workers“ für alle Geschlechter).
Gleichzeitig sind, so die Forscher*innen, die gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland, der Schweiz und Großbritannien ähnlich genug, um ähnliche Stereotype vorauszusetzen. Darüber, wie die Geschlechterverteilung unter den Proband*innen war, machen die Forschenden keine Angaben.
Der Test funktioniert dann so: Der erste Satz des Satzpaares enthält Personenbezeichnungen im Plural. Systematisch werden entweder stereotyp männliche (z.B. „Informatiker“, „Ingenieure“, „Physikstudenten“) stereotyp weibliche (z.B. „Geburtshelfer“, „Kosmetiker“, „Psychologiestudenten“), und geschlechtsneutrale (z.B. „Sänger“, „Spaziergänger“, „Schüler“) Begriffe eingesetzt
Die Ergebnisse sind eindeutig: Im Deutschen und Französischen wurden die zweiten Sätze signifikant häufig positiv bewertet, wenn Männer explizit benannt wurden, unabhängig davon, ob von Technikern, Coiffeuren oder Zuschauern die Rede war. Im Englischen dagegen entsprach der Anteil der positiven Bewertungen den Stereotypen: bei männlich konnotierten Begriffen wurden Fortsetzungen mit Männern besser bewertet; bei weiblich konnotierten Fortsetzungen mit Frauen; bei geschlechtsneutralen gab es keinen Unterschied. Auch die Entscheidungszeiten untermauern diese Beobachtungen, wenn auch weniger statistisch eindeutig – wenn Männer benannt wurden, ging es im Deutschen und Französischen schneller, im Englischen gab es keine Unterschiede.
Die Forscher*innen schließen hieraus, dass das generische Maskulinum die Interpretation hin zu einer Überrepräsentation der Männer beeinflusst, selbst wenn die sozialen Verhältnisse dies eigentlich nicht nahelegen. Dass Stereotypeninformationen auch mit einbezogen werden, kann nicht ausgeschlossen werden – und in Abwesenheit klarer Genusmarker sind sie es, die den Ton angeben – aber weil fast alle unsere generischen Personenbezeichnungen im Maskulinum sind, denken wir auch zuerst an Männer. Die Studie liefert damit empirische Evidenz für die Positionen der feministischen Linguistik. Ein wenig geschwächt wird ihre Aussagekraft allerdings durch die fehlenden Angaben zum Geschlecht der Teilnehmer*innen. Eine Unausgewogenheit in der ohnehin recht kleinen (aber Psycholinguistik-typischen) Stichprobe könnte die Ergebnisse beeinflusst haben, da in der Zeit der Datenerhebung (2008) bei weiblichen Studierenden eher von einer Sensibilisierung für inklusive Sprache auszugehen ist. Waren sie überrepräsentiert, könnte es sein, dass sie weniger geneigt waren, Maskulina generisch zu interpretieren.
Das eingangs angeführte Beispiel aus der Tierwelt zeigt, dass wir es hier vermutlich mit einem größeren sprachlichen Effekt zu tun haben. Sprachliche Strukturen scheinen unser Denken auf subtile Weise überall dort zu beeinflussen, wo sie zur Anwendung kommen, egal ob Mensch, Tier oder sogar Möbelstück. Genus ist dabei ein Faktor von vielen. Oftmals ist dieser Effekt vernachlässigbar bis amüsant. Nur bei Begriffen, die in konkrete sozioökonomische Prozesse eingebunden sind – wie Berufsbezeichnungen –, kann aus einer Autohyperonymie eine Diskriminierung werden.