Der russische Überfall auf die Ukraine am 22. Februar 2022 steht nicht nur für eine internationale Zäsur. Auch in Russland selbst hat er eine neue Phase der Repression eingeleitet. Die meisten kritischen Stimmen sitzen mittlerweile im Gefängnis, befinden sich im
Gretskiy führte dazu im Laufe des Jahres 2022 zahlreiche Interviews mit verschiedenen NGO-Vertretern in mehreren russischen Regionen, nicht nur den großen Ballungszentren Moskau und St. Petersburg. Sein Ergebnis: Von der unabhängigen, kritischen Zivilgesellschaft war bereits vor Kriegsbeginn so gut wie nichts mehr übrig. Jene Gruppen, die sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben, würden sich im „Überlebensmodus“ befinden und sich so bewegen, dass sie mit dem Staat möglichst nicht in Berührung kommen. Dieser wiederum habe mit einer Reihe von Gesetzen, die sich gegen „
Am weitreichendsten dürfte jedoch eine andere Entwicklung sein, die Gretskiy ebenfalls aufgreift: Der russische Staat habe unter Wladimir Putin erfolgreich daran gearbeitet, eine staatlich gemanagte Zivilgesellschaft aufzubauen. Gretskiy nennt die daraus entstandenen Gruppen government-organised non-governmental organisations (GONGOs). Diese habe mittlerweile die demokratisch und westlich orientierte Zivilgesellschaft verdrängt und erlaube es den staatlichen Ideologen zu behaupten, dass es doch eine dynamische Zivilgesellschaft in Russland gebe.
Und auch das, was jenseits der GONGOs von der unabhängigen russischen Zivilgesellschaft übriggeblieben ist, liegt quer zu westlichen Vorstellungen einer strikt auf Demokratie und Menschenrechte ausgerichteten Zivilgesellschaft.
Aus europäischer Perspektive ergeben sich aus dem Zustand der russischen Zivilgesellschaft vor allem zwei Lehren. Erstens fällt der Unterschied zur
Die unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Entwicklungen in der Ukraine und Russland verändern also die Koordinaten der EU-Politik im östlichen Europa. Galt lange Russland als der maßgebliche Partner, zu dem darüber hinaus enge gesellschaftliche Verbindungen bestanden, hat diese Rolle nun die Ukraine übernommen. Die Entfremdung Europas gegenüber Russland ist also auf Dauer gestellt: Sie betrifft nicht nur die große Politik, sondern auch die zwischengesellschaftlichen Beziehungen.