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Martin Krohs stellt vor:

Sind wir moralisch verpflichtet, eine gendergerechte Sprache zu verwenden?

Re-Paper

Sind wir moralisch verpflichtet, eine gendergerechte Sprache zu verwenden?

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Geschrieben von Martin Krohs

Bei te.ma veröffentlicht 29.03.2023

te.ma DOI 10.57964/q79n-wv51

Geschrieben von Martin Krohs
Bei te.ma veröffentlicht 29.03.2023
te.ma DOI 10.57964/q79n-wv51

Gendern mag unpraktisch sein, aber es ist doch wohl in jedem Falle zwischenmenschlich gut. Schließlich fördert es die Gerechtigkeit, und das ist moralisch wünschenswert. – Aber stimmt das wirklich? Wie lässt sich dieser moralische Anspruch begründen? Mit Roland Kipke schaltet sich erstmals ein Ethiker in die Debatte ums Gendern ein.

„Die öffentliche Debatte kocht, die Ethik schweigt“ – so beginnt Kipke seinen Aufsatz. Und in der Tat: Wie kann es sein, dass die eminent moralische Frage, ob und wie Sprache gleichheitsfördernd verwendet werden kann, von professionellen Ethikern fast völlig ignoriert wird? Auch der Deutsche Ethikrat schweigt sich aus. Dabei darf man annehmen, dass – wenn überhaupt – nur die Moral den Streit ums Gendern definitiv entscheiden kann. 

Denn Moral ist die Trumpfkarte im Spiel der Argumente. Sollte es wirklich eine moralische Pflicht sein, zu gendern, genauso wie es eine Pflicht ist, Ertrinkenden zu helfen oder alle Menschen vor Gericht gleich zu behandeln, dann müssten sämtliche Bedenken grammatikalischer, praktischer oder ästhetischer Art dahinter zurückstehen. 

Kipke räumt erst einmal einige Einwände gegen die moralische Dimension des geschlechtergerechten Sprechens beiseite: Etwa den, dass Gendern halt nicht der Sprachnorm genüge (die könnte ja selbst moralisch falsch sein) oder dass in Deutschland die Mehrheit der Sprecher Genderstern und Co. ablehnt (denn warum sollte die Mehrheit moralisch richtig liegen?). Dann folgt eine analytische Rekonstruktion von drei moralischen Argumenten, die die Debatte unterschwellig beherrschen, die aber kaum jemals transparent gemacht werden.

Gemeinsam ist ihnen ihre normative Prämisse: Wir müssen für die gesellschaftliche Gleichstellung von Männern, Frauen und geschlechtlichen Minderheiten sorgen. Davon, dass diese Prämisse unstrittig ist, selbst wenn man geschlechtergerechte Sprache ablehnt, geht Kipke aus. Allerdings: Um zur relevanten Schlussfolgerung zu gelangen – Also müssen wir eine gendergerechte Sprache sprechen –, sind weitere Prämissen nötig. Prämissen deskriptiver Art, also solche, die auf (behauptete?) Sachverhalte Bezug nehmen. Mit ihrer Gültigkeit oder nicht-Gültigkeit – und natürlich derjenigen des logischen Schlusses selbst – steht oder fällt jeweils das gesamte Argument.

Im ersten der drei von Kipke untersuchten Argumente ist die deskriptive Prämisse eine doppelte, nämlich, dass für die gesellschaftliche Gleichstellung eine Bewusstseinsänderung nötig ist und dass gendergerechte Sprache diese Bewusstseinsänderung auch tatsächlich bewirkt (Sensibilisierungsargument). Im zweiten Argument lautet sie, dass die Sprache keine Ausnahme im übergreifenden Gleichstellungsprojekt darstellen darf (Universalitätsargument), und im dritten wird angenommen, dass fehlende sprachliche Gleichstellung die soziale Gleichstellung hindert (Hinderungsargument). In der öffentlichen Debatte fließen diese drei Prämissen ineinander, was ihnen eine hehre Aura der Unangreifbarkeit verleiht. Kipke bemüht sich, sie mit dem Seziermesser wieder auseinanderzupräparieren.

Um zu verstehen, wie er das genau tut, sollte man den Text selbst lesen, der frei im Netz zugänglich ist (und fast kriminologische Gedankengänge bietet), denn bei derartigen Analysen hängt alles an den Details. Eines sei hier beispielhaft herausgegriffen. Kipke schreibt: Selbst wenn gendergerechte Sprache tatsächlich ein Bewusstsein für gesellschaftliche Gleichstellung schafft (Argument 1), folgt daraus – entgegen dem Tenor der Befürworter des Genderns – keine moralische Pflicht, diese Sprache auch zu verwenden. Denn: „Dazu müsste gendergerechte Sprache für die Schaffung dieses Bewusstseins notwendig sein. Und es müsste erforderlich sein, dass wir alle so sprechen. Beide Annahmen sind jedoch äußerst unplausibel.“

Auch wenn das auf den ersten Blick wie eine Spitzfindigkeit klingen kann, es ist ein durchaus substanzieller Einwand. Denn wenn sich das erwünschte gesellschaftliche Bewusstsein besser durch andere, nicht-sprachliche Mittel schaffen lässt, dann sollte man, moralisch gesehen, zu denen auch greifen, und nicht zu den sprachlichen. Und ob es der Bewusstmachung nicht sogar mehr hilft, wenn nur einige Aktivisten auf ihre besondere Weise sprechen, die Mehrzahl der Menschen aber nicht, lässt sich ebenfalls kaum beurteilen. 

Kipke zieht für seine Prämissen-Analyse eine Vielzahl von linguistischen Befunden heran, die teils für, teils gegen das Gendern sprechen. So widmet er sich ausführlich der Frage nach dem Verhältnis von Genus und außersprachlichem Geschlecht, diskutiert psycholinguistische Assoziationsstudien, den Zusammenhang von Sprache und Denken und die inhärenten grammatischen Probleme des generischen Maskulinums

In der Summe stellt Kipke den moralischen Argumenten in der Debatte ums Gendern kein gutes Zeugnis aus: „... es gibt keine Pflicht zum gendergerechten Sprechen“. Auch die Politisierung der Debatte, die die guten Progressiven gegen die schlechten Konservativen stellt, hält er für unproduktiv: „Jeder Kritik an ‚gendergerechter Sprache‘ das Kainsmal der Rückständigkeit zu verpassen, ist ein Versuch der Selbststilisierung und der Delegitimierung der Gegenposition. Verständlich, aber falsch.“

Es ist eine Eigenart philosophischer Analysen, dass sie angreifbar sind. Kipkes Text zeigt zwar überzeugend, dass die moralischen Argumente weniger zwingend und vor allem weniger eindeutig sind, als ihre Vertreter es vorgeben. Seine Analyse wird dennoch den Moral-Argumenten kaum wirkungsvoll einen Riegel vorschieben, genauso wenig wie die moralischen Argumente es schaffen, die traditionellen Sprachnormen von heut auf morgen zu pulverisieren.

Doch selbst wenn man zugesteht, dass moralische Argumentationen in der Debatte ums Gendern zwar mächtig Kanonendonner erzeugen, ihre Kugeln aber weitgehend am Ziel vorbeifliegen: Wie ist es mit den schwächeren zwischenmenschlichen Anforderungen, die wir an unser Sprechen stellen? Was ist mit der Höflichkeit, dem Respekt? Vielleicht geht es in der ganzen Debatte eher um eine quasi-moralische soft power denn um eine regelrechte kategorische Pflicht? 

Dann steht man doch wieder vor der Abwägung, was uns denn nun dieses Sollen-qua-Höflichkeit an grammatischen Umständlichkeiten und ästhetischen Einschränkungen (oder nur Umgewöhnungen?) wert ist – und was nicht. Wer darf, wer soll, wer kann das überhaupt entscheiden?

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Der Begriff beschreibt eine besondere Form der Machtausübung von Staaten und politischen Akteuren über andere Staaten und Gesellschaften; diese Macht beruht nicht auf militärischen oder ökonomischen Ressourcen („hard power“), sondern auf Attraktivität durch Vorbildfunktion, z.B. durch Vermittlung eigener Normen und Werte. Die Soft Power ist somit eine subtile Macht, die aber über einen längeren Zeitraum hinweg wirkt. Ihr Spektrum reicht von der Anziehungskraft des „American Way of Life“ (Coca Cola und Hollywoodfilme) bis zu westlichen Werten wie Demokratie und Menschenrechte. Geprägt wurde der Begriff vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Joseph S. Nye.

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