Gendern made in Germany ist eine ganz eigene Sache. Das ist vielen gar nicht bewusst: Während wir hierzulande vorwiegend über Rollenbezeichnungen und Berufsbegriffe streiten, stellen sich andere Sprachgemeinschaften zu ähnlichen gesellschaftlichen Problemen ganz andere Fragen. Dass das so ist, ist in unserem Sprachsystem begründet: Die deutsche Grammatik bietet die Option, Personenbezeichnungen mit einer eindeutigen Endung zu versehen, die das Geschlecht des genannten Menschen auszeichnet. Ob und wie man dies umsetzt, ist eine der Fragen im Kern des Streits. In anderen Sprachen geht der Umschwung zum inklusiven Sprechen viel reibungsloser: Englische Feuerwehrleute werden vom fireman zum firefighter, die schwedischen Wissenschaftler*innen, die früher vetenskapsman hießen, können sich nun auch vetenskapsperson rufen. Das geht unter anderem deshalb auch einfacher, weil diese beiden Sprachen ganz anders mit Genus umgehen. Einen Unterschied zwischen Maskulinum und Femininum gibt es nicht. Ein englischer doctor und ein schwedischer läkare brauchen sich deswegen auch gar nicht zu verändern, denn ihnen sieht man das Geschlecht von vornherein nicht an. Würde man aber im Deutschen z.B. den Feuerwehrmann zum Feuerbekämpfer machen, wäre man der Gendergerechtigkeit kein Stück näher. Und dennoch wird auch in Großbritannien und Skandinavien heftig diskutiert, nur eben über andere Sprachelemente: z.B. über Pronomen, die bei uns bisher kaum Aufmerksamkeit bekommen.
Diese und weitere Phänomene beschreibt die Journalistin und Autorin Sigi Lieb in ihrem Blogpost, den sie ursprünglich 2019 auf ihrer Webseite veröffentlichte. In kurzen Abrissen berichtet sie von der Situation im Englischen, Niederländischen, Schwedischen, Französischen sowie im spanischsprachigen Raum. Erstaunlich ist, wie unterschiedlich die Debatten in den einzelnen Gemeinschaften verlaufen. Man sieht deutlich, welchen Spagat zwischen Grammatik und Gesellschaft die Frage der Gendergerechtigkeit erfordert. Besonders schön an Liebs Beitrag ist, dass sie ihn seit der Erstfassung vor drei Jahren mit neuen Beobachtungen aktualisiert, sodass der globale Wandel anhand mehrerer Sprachen gleichzeitig greifbar wird. Auffällig aus der deutschsprachigen Warte ist dabei die schnelle Akzeptanz, die einige Vorstöße andernorts erreichen konnten. An Maskulinum und Femininum allein kann es nicht liegen – das haben z.B. Französisch und Spanisch auch. Macht uns unsere Grammatik den Abschied vom generischen Maskulinum schwerer als in anderen Sprachen, oder sind wir vielleicht einfach ein wenig zu bequem?