Meylaerts weist darauf hin, dass der Idee staatlicher Einsprachigkeit, die heute vielfach in der Kritik steht, zu Beginn der Moderne durchaus ein demokratisches Ideal zu Grunde gelegen habe. So zitiert sie einen Abgeordneten des nachrevolutionären Frankreichs, der 1794 verkündet: „Die Monarchie hatte ihre Gründe, dem Turm zu Babel zu gleichen; in der Demokratie hingegen bedeutet es Verrat am Vaterland, wenn man die Bürger in Unkenntnis der Landessprache hält. Denn so können sie die Mächtigen nicht kontrollieren… die Sprache eines freien Volkes muss eine sein, und sie muss für alle gleich sein.“
Gleichzeitig, so stellt Meylaerts klar, ist dieses Ideal in der Regel fernab der Realität. In den meisten Staaten der Erde werden nicht eine, sondern unzählige Sprachen gesprochen – seien es die Sprachen seit Jahrhunderten ansässiger Minderheiten oder die Sprachen von Migrant*innen und deren Nachkommen.Auf welche Weise Staaten mit ihren anderssprachigen Bewohner*innen umgehen, wird sprachpolitisch gesteuert. Als Sprachpolitik versteht Meylaerts dabei die gesetzliche Organisation des offiziellen Sprachgebrauchs von Ämtern, Behörden und Regierungsinstitutionen. Dabei gäbe es „keine Sprachpolitik ohne Übersetzungspolitik“. Sprachpolitik schreibe also nicht nur vor, welche Sprachen (nicht) verwendet werden können, sondern auch in welche Sprachen übersetzt werden darf oder muss. In ihrem Aufsatz stellt sie vier mögliche Ansätze vor, die sich auf einem Kontinuum zwischen zwei Extrempolen bewegen.
Zunächst diskutiert wird das Modell einer radikalen Mehrsprachigkeit – ein Staat mit einem vollständigen institutionellen Multilingualismus. Alle Bewohner*innen hätten in diesem Staat das Recht, mit den Institutionen in ihrer Sprache zu kommunizieren. Der Staat hätte umgekehrt die Verpflichtung, in jede beliebige Sprache zu übersetzen und die institutionelle Gleichheit aller Sprache zu garantieren. Ein solcher Ansatz ist keineswegs rein fiktiv. Meylaerts weist darauf hin, dass zwar selten Staaten, dafür aber Organisationen wie die Europäische Union Züge eines solchen Arrangements aufweisen. Dort besitzen die insgesamt 24 Landessprachen aller Mitgliedstaaten gleichrangigen Status als Amtssprachen. Alle Gesetze und Publikationen der europäischen Institutionen werden in diese Sprachen übersetzt und Bürger*innen können mit den Institutionen in diesen Sprachen kommunizieren. Dennoch sei der Multilingualismus der Europäischen Union von zwei Einschränkungen geprägt: Übersetzt wird zum einen nur in die Nationalsprachen der Mitgliedstaaten – nicht in dort gesprochene Regional- und Minderheitensprachen. Zum anderen werden die Sprachen von Migrant*innen und deren Nachkommen bislang nicht berücksichtigt.
Der entgegengesetzte Pol zu diesem Modell ist ein vollständiger institutioneller Monolingualismus. Meylaerts zeichnet das Modell eines Staates, in dem die gesamte Kommunikation zwischen Staat und Bürger*innen von einer einzigen Sprache geregelt wird. Historische Beispiele findet sie etwa im nachrevolutionären Frankreich oder im Belgien des 19. Jahrhunderts – damals hatte ein französischsprachiger Staat eine einsprachige Norm auch gegenüber seinen niederländisch- und deutschsprachigen Bürger*innen durchgesetzt. Hinsichtlich seiner Übersetzungspolitik, arbeitet Meylaerts heraus, bedürfe ein solcher Staat eines Vorgehens in zwei Richtungen: Während staatlichen Organen untersagt wird, Dokumente in anderen als der offiziellen Landessprache zu veröffentlichen, ist umgekehrt die Übersetzung von fremdsprachigen Texten stets verpflichtend. Zeugnisse etwa erhielten nur dann eine Gültigkeit, wenn man eine Übersetzung verfolgen könne. Man könne daher keinesfalls davon ausgehen, dass Übersetzungen stets eine emanzipative Funktion erfüllten – sie können auch als Mittel der Dominanz dienen.
In der Folge diskutiert Meylaerts zwei Modelle, die sich zwischen diesen beiden extremen Polen bewegen. In den meisten zeitgenössischen Demokratien werde ein Mittelweg praktiziert, den sie als institutionelle Einsprachigkeit in Kombination mit gelegentlicher (und oft vorübergehender) Übersetzung charakterisiert. Solche Regime sähen begrenzte Übersetzungsrechte in genau definierten Situationen vor, etwa das Recht auf Dolmetscher*innen zu Gericht. Durch die restriktive Anwendung dieser Übersetzungsrechte werde jedoch die grundlegende Monolingualität des Staates nicht gefährdet. Übersetzung bleibe eine Ausnahme in ständiger Erwartung der sprachlichen Assimilierung von Minderheiten. Schließlich gäbe es jedoch auch Fälle, in denen auf lokaler Ebene eine institutionelle Einsprachigkeit, auf übergeordneter Ebene jedoch eine institutionelle Mehrsprachigkeit verfolgt wird. Derartige Politiken fänden sich zumeist in offiziell mehrsprachigen Ländern, die sich aus historischen sprachlichen Minderheiten zusammensetzen, also etwa Belgien, Kanada, Südafrika oder Indien.
Genauer geht Meylaerts auf die Situation in Belgien ein. Das Land ist auf nationaler Ebene mehrsprachig organisiert, jedoch auf
Wie demokratische Staaten mit Mehrsprachigkeit umgehen, schließt Meylaerts, sei derzeit im Wandel begriffen. Selten jedoch gäbe es innerhalb von Staaten eine einheitliche Vision. Gerade das dritte Modell von Meylaerts, das in den meisten westlichen Einwanderungsländern praktiziert werde, erschaffe Flickenteppiche. Verschiedene Stellen gingen in einem Land oftmals ganz unterschiedlich mit ihrer mehrsprachigen Kommunikation um – ohne ein verbindliches Konzept und eine zukunftsweisende Vision.