In der
Gendered Language (z.B. Deutsch, Russisch): Substantive sind immer einem grammatischen Genus zugeordnet. Beispiele (de): der Lehrer, die Lehrerin, das Kind (Pronomen: sie, er, es)
Natural Gender Language (z.B. Englisch, Dänisch): Die meisten Substantive sind nicht genusmarkiert. Geschlechter können jedoch u.a. durch Pronomen voneinander unterschieden werden. Beispiele (en): the teacher „der Lehrer/ die Lehrerin“, the waiter „der Kellner“, the waitress „die Kellnerin“ (Pronomen: she, he, it)
Genderless Language (z.B. Finnisch, Swahili): Für Substantive gibt es keine Genus-Unterscheidung und Pronomen sind ebenfalls geschlechtsneutral. Beispiele (fi): tarjoilija „der Kellner/ die Kellnerin“ (Pronomen: hän „er/sie“)
Unter der Prämisse, dass Sprache das menschliche Denken beeinflusst, sind unterschiedliche Wahrnehmungen in Bezug auf Geschlecht in den jeweiligen Sprachgemeinschaften zu vermuten. Inwiefern diese messbar sind, zeigen die Autor*innen zunächst anhand von Ergebnissen vorangegangener, sprachspezifischer Studien (z.B. Wasserman und Weseley
Aber können wir mit der Kenntnis über das Genus-System einer Sprache den Stand der Gleichberechtigung im jeweiligen Land prognostizieren, wo doch so viele andere Faktoren eine Rolle spielen? Die Studie misst Gleichstellung anhand von vier Indikatoren, die zum Global Gender Gap (GGG) zusammengefasst werden: „Economic participation“, „educational attainment“, „health and survival“ und „political empowerment“. Es zeigt sich, dass auch nach dem Herausrechnen von anderen relevanten Faktoren wie geografischer Lage, politischem System und Staatsreligion eine Korrelation zwischen dem Genus-System und dem GGG des jeweiligen Landes besteht. So finden sich die besten durchschnittlichen GGG-Werte in den Ländern, in denen Natural Gender Languages gesprochen werden; in Ländern mit Gendered Languages ist der durchschnittliche GGG-Wert am schlechtesten.
Einige Unsicherheiten bleiben jedoch. Den Leser*innen wird nicht verraten, welche Sprachen überhaupt untersucht worden sind. Dafür muss die dominante Sprache eines Landes erst nachgeschlagen werden, denn in den Tabellen wird nur aufgelistet, welches der drei Genus-Systeme das jeweilige Land verwendet. Ein Blick auf die Natural Gender Languages verrät, dass Englisch gleich mehrfach vertreten ist. Dies ist in vielen Ländern auf die Kolonialisierung zurückzuführen. Auf solche historischen Sachverhalte und ihre potentiellen Auswirkungen geht die Studie allerdings nicht ein.
Die Hälfte der Länder in der Kategorie Natural Gender Languages befindet sich in Nordwesteuropa. Bei Ländern, die sich teils geografisch und historisch nahe stehen und in denen eng verwandte Sprachen gesprochen werden, ist es schwierig, die verschiedenen Einflüsse voneinander zu trennen und allgemeingültige Ergebnisse abzuleiten. Die Autor*innen sagen selbst, dass es zusätzliche (nicht benannte) Faktoren für die Gendergerechtigkeit geben könnte, die in dieser Studie nicht berücksichtigt wurden. Zusätzlich sei es wichtig, dass sprachliche Veränderungen mit sozialen und politischen Anpassungen einhergehen, um wirkliche Gerechtigkeit zu erreichen.
Wir sollten also die Ergebnisse der Studie nicht übergeneralisieren. Sie stellen jedoch eine wichtige Grundlage dar, auf der weitere Studien mit vertiefenden Fragestellungen aufbauen können, denn viele Fragen sind noch offen: Wie sehen Prozesse zwischen Sprachwandel und gesellschaftlichen Veränderungen aus? Bisher wurde lediglich eine Korrelation zwischen Genus-Systemen und Geschlechtergerechtigkeit festgestellt. Gibt es Hinweise auf eine Kausalität zwischen den beiden? Und wie können Gemeinschaften mit Gendered Languages und Genderless Languages zu mehr Gleichstellung beitragen, auch wenn sie nicht die optimalen sprachlichen Startbedingungen dafür haben?