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Vom Recht, in Wales Walisisch zu sprechen

Re-Paper
Abhimanyu Sharma2022
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Vom Recht, in Wales Walisisch zu sprechen

»Power and Language Policies in Wales«

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Geschrieben von Deborah Arbes

Bei te.ma veröffentlicht 14.11.2023

te.ma DOI 10.57964/m71z-f668

Geschrieben von Deborah Arbes
Bei te.ma veröffentlicht 14.11.2023
te.ma DOI 10.57964/m71z-f668

Bei einer Reise durch Wales fallen zweisprachige Straßenschilder auf, am Bahnhof werden Informationen erst auf Walisisch und dann auf Englisch durchgesagt. Doch das war nicht immer so: Im Buchbeitrag „Power and Language Policies in Wales“ legt Abhimanyu Sharma durch die Analyse von Gesetzestexten dar, welche Rechte sich Walisisch-Sprechende im letzten Jahrhundert erkämpft haben. 

Walisisch gehört zum britannischen Zweig der keltischen Sprachfamilie, ist zusammen mit Englisch Amtssprache in Wales und wird dort von ca. 17,8 Prozent der Bevölkerung gesprochen. Die Geschichte der Sprachgemeinschaft ist geprägt von Konkurrenz mit dem Englischen. Durch den Einfluss der britischen Krone und der Industrialisierung sind Walisisch-Sprechende in Wales zu einer Minderheit geworden. Anders als in Belgien oder in der Schweiz konkurrieren hier also zwei Sprachen miteinander, die bezüglich ihres Prestiges und der Anzahl ihrer Sprechenden sehr unterschiedlich sind. Anhand von Gesetzestexten lässt sich nachvollziehen, welche Rechte die Sprachgemeinschaft im Laufe der Geschichte verloren hat und durch erfolgreichen Aktivismus wiedererlangen konnte.

Sharmas historischer Überblick beginnt im Jahr 1536, als Heinrich VIII. durchsetzte, dass in öffentlichen Ämtern und vor Gericht ausschließlich Englisch genutzt werden darf. Trotz dieser Machtausübung von englischer Seite sprach Ende des 19. Jahrhunderts noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung Walisisch, manche von ihnen ausschließlich. Dass die Sprache so lange vital blieb, sei nicht zuletzt der Kirche und einer walisischen Bibelübersetzung zu verdanken, argumentiert der Autor. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts gab es jedoch nur noch wenige monolinguale Walisisch-Sprechende und der Bevölkerungsanteil der bilingualen Englisch- sowie Walisisch-Sprechenden ging auf unter 50 Prozent zurück. Als Reaktion auf diese Entwicklungen forderte im Jahr 1938 eine Petition, dass Walisisch den gleichen Status wie Englisch bekommen sollte. Mit 360.000 Unterschriften hatte dieser Vorstoß eine bedeutende Wirkung: Durch den Welsh Courts Act von 1942 wurde das Gesetz von Heinrich VIII. geändert und Walisisch durfte erstmals wieder vor Gericht verwendet werden. Dies war jedoch nur möglich, wenn die Verwendung der englischen Sprache einen Nachteil für die Aussagenden dargestellt hätte. 

Die Zeit der 1960er bis 1980er war geprägt vom sogenannten Graswurzel-Aktivismus, beschreibt Sharma. Gruppen wie Cymdeithas yr Iaith Gymraeg (CIG, „Gesellschaft der Walisischen Sprache“) engagierten sich lautstark für bilinguale Straßenschilder, Menschen verweigerten die Zahlung von Gebühren, wenn die Rechnungen nicht auf Walisisch gestellt wurden, und die Gründung eines walisischsprachigen TV-Senders (S4C) wurde durch die Androhung eines Hungerstreiks durchgesetzt. Die Veränderungen in der offiziellen Nutzung der Sprache beschreibt Sharma anhand der Legislaturen im Welsh Language Act 1967 und 1993: „Obwohl das Gesetz von 1967 einige positive Änderungen einführte, befasste es sich nicht mit der Frage nach dem offiziellen Status des Walisischen. Außerdem verstärkte es den übergeordneten Status des Englischen vor Gericht, indem es festlegte, dass bei Unstimmigkeiten die englische Fassung eines Textes Vorrang hat. Diese Nachteile wurden mit dem Welsh Language Act 1993 behoben, der den Grundsatz aufstellte, dass bei öffentlichen Geschäften und in der Rechtsprechung in Wales die englische und die walisische Sprache gleichbehandelt werden sollten.“1

Ebenso wichtig seien aber auch gesetzliche Regelungen, die auf den ersten Blick keine Sprachpolitik im engeren Sinne darstellen. Beispielsweise finden sich in Verordnungen zu Eheschließungen und der Registrierung von Geburten und Todesfällen Hinweise auf den Sprachgebrauch. Hier lautet eine Anweisung aus dem Jahr 1987: „Formulare […] dürfen auf Englisch oder auf Englisch und Walisisch ausgefüllt werden“ („Forms […] may be completed in English or in both English and Welsh“). Die Nutzung des Verbs may („können/dürfen“) erweckt hier laut Sharma den irreführenden Eindruck, dass die Sprechenden eine Wahl hätten, welche Sprache sie verwenden möchten. Es könne jedoch nicht als Wahl angesehen werden, wenn Englisch in beiden Optionen vorkommt.

Im „Government of Wales Act“ von 2006 erkennt Sharma einen bedeutenden Richtungswandel in der Sprachpolitik: Im Rahmen der sogenannten Devolution“ (Dezentralisierung) wurden politische Kompetenzen von London zurück nach Schottland, Nordirland und Wales verlagert, um brodelnde Konflikte zu beruhigen. Dies schuf neue Möglichkeiten, die autochthonen Sprachen der Regionen zu stärken. Die besondere Rolle solcher (sprach-)politischer Zugeständnisse thematisiert auch die Juristin und Friedensaktivistin Nirmala Chandrahasan , die betont, dass Infrastrukturen für Minderheitensprachen nicht nur ein Menschenrecht sind, sondern auch ein Instrument der Herrschenden, um Frieden und nationalstaatliche Integrität zu wahren.

In einigen legislativen Texten finden sich mittlerweile auch Formulierungen, die nicht nur die Rechte der walisischsprachigen Bevölkerung, sondern auch andere sprachliche und kulturelle Hintergründe berücksichtigen. So werden z.B. in Regelungen für Gesundheitswesen und Sozialhilfe die Begriffe „sprachlicher Hintergrund“ bzw. „sprachliche Bedürfnisse“ („linguistic background“, „linguistic needs“) verwendet, ohne zu spezifizieren, um welche Sprache es sich genau handelt. Dies zeige, dass die walisische Regierung nicht von einer monolingualen „Welsh-only“-Ideologie geprägt sei, sondern anstrebe, Dienste inklusiver und zugänglicher für alle zu gestalten. 

In der walisischen Sprachpolitik des 21. Jahrhunderts ist also im Vergleich zum 20. Jahrhundert eine Kehrtwende zu verzeichnen. Anstatt Walisisch im öffentlichen Raum zu unterdrücken oder lediglich zu tolerieren, gibt es nun von Seiten der Regierung Bemühungen, die Sprachkenntnisse der Bevölkerung zu verbessern und Walisisch auch im geschäftlichen Kontext zu fördern. Das Ziel ist, die Anzahl der Walisisch-Sprechenden zu verdoppeln – bis 2050 soll es laut Plan der Regierung eine Million von ihnen geben. Dabei ist der genaue Kenntnisstand nicht festgelegt und das Erlernen der Sprache soll sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie unterstützt werden. Der Autor veranschaulicht die Initiativen der Regierung anhand von kostenlosen Übersetzungsdiensten und geförderten Sprachkursen für Mitarbeitende von Unternehmen. Auch im Bildungsbereich habe sich viel verändert. 1947 öffnete die erste Schule mit Walisisch als Unterrichtssprache ihre Türen – mittlerweile gibt es mehr als 400 davon, und auch an englischsprachigen Schulen ist Walisisch seit 1990 ein obligatorisches Schulfach.

Diese Form von staatlicher Förderung für die Sprache wünschen sich auch Sprechende anderer Minderheitensprachen. Beispielsweise ist der Niederdeutsch-Unterricht an deutschen Schulen bisher eine Seltenheit, während ein Gerichtsurteil im Juni 2023 besagte, dass Arbeitslose kein Recht darauf haben, Schreiben des Jobcenters auf Niederdeutsch zu erhalten. Die Situation in Wales stellt dementsprechend für viele Gemeinschaften ein Vorbild dar. Sharma betont, dass jene wichtigen Gesetze, die den Spracherhalt unterstützen, den walisischsprechenden Menschen und ihrem Graswurzel-Aktivismus zu verdanken sind.  

Fußnoten
1

Originalzitat: „Although the 1967 Act introduced some positive changes, it did not address the issue of the official status of Welsh. Moreover, it reinforced the superior status of English in court by stipulating that the English version of any text would prevail in case of discrepancies (Art. 3.2.a). These drawbacks were addressed through the Welsh Language Act 1993 which established the principle that ‘in the conduct of public business and the administration of justice in Wales, the English and Welsh languages should be treated on the basis of equality’ (Art. 3.2.b).“

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