In ihrer Diskussion über die Verwendung des Faschismusbegriffs betten Makhotina und Rossoliński-Liebe die gegenwärtige Debatte über den angeblichen Faschismus in Russland in den größeren Kontext der russisch-sowjetischen Geschichte ein. Eine Neubewertung der Faschismus-These war mit der russischen Invasion der Ukraine im Februar 2022 notwendig geworden, da unter anderem Autoren wie Alexander Motyl oder Timothy Snyder die Politik Putins und die Kriegsführung als faschistisch bezeichnet hatten.
Allerdings ist der Begriff in ganz erheblichem Maße emotional besetzt und in seinem analytischen Gehalt umstritten. Stanley Payne kommt in History of Fascism
Das Bedürfnis nach konkreten Begriffsdefinitionen spiegelt sich auch in der hier vorgestellten Podcast-Diskussion wider: „Faschismus“ würde, so die beiden Historiker, nicht als analytischer Begriff genutzt, sondern als ein Kampfbegriff. Die Diskussionen über Putins „Faschismus“ würden keinen Bezug zur Wissenschaft haben und entsprechen nicht den Standards der Faschismusforschung. „Faschismus“ sei bis heute, so Makhotina, ein stark emotionalisierender Begriff. Sie zieht eine Parallele zur Verwendung des Begriffs in der sowjetischen Zeit. Wer etwas als „faschistisch“ bezeichnet, stelle sich auf die Seite der moralischen Überlegenheit. Es gehe bei so einer undifferenzierten Verwendung des Begriffs darum, festzulegen, was das „absolut Böse“ und das „absolut Gute“ sei. Rossoliński-Liebe betont außerdem, dass die sowjetische Prägung der russischen Gesellschaft dazu geführt habe, dass sich autoritäre Strukturen halten konnten. Diese Autorität mag nationalistisch sein, so Rossliński-Liebe, aber nicht faschistisch. Stattdessen plädiert er dafür, dass man anerkennen sollte, dass es faschistoide Elemente gibt, wie zum Beispiel eine imperiale Ideologie oder eine ausgeprägte Militärkultur. Aber diese Aspekte reichen weder Makhotina noch Rossoliński-Liebe aus, um Putins Russland als einen faschistischen Staat zu bezeichnen.