Ein differenzierter Blick auf den Prozess der Regimepersonalisierung in Russland sei Burkhardt zufolge notwendig, um mit einer insbesondere in Deutschland anzutreffenden Fehlwahrnehmung aufzuräumen: Was viele Beobachter*innen als „russische Sicherheitsinteressen“ bezeichnen, ist tatsächlich nur das individuelle Weltbild Wladimir Putins bzw. einer kleinen Elitenclique. Die Herausforderung im Umgang mit dem Krieg führenden Russland sei demnach nicht, ein Abkommen über den Ausgleich staatlicher Sicherheitsinteressen auszuhandeln. Stattdessen müsse man sich bewusst machen, dass derlei diplomatische Verbindlichkeiten, die Stabilität und Frieden versprechen, erst wieder für die Zeit nach Putin realisierbar seien.
Burkhardt bettet seine Analyse des russischen Herrschaftssystems immer wieder in den aktuellen politikwissenschaftlichen Forschungsstand ein.
Burkhardts Analyse zeigt somit die Grenzen von Erklärungen auf, die mit russischen Sicherheitsinteressen argumentieren. Denn die Ukraine war in den Wochen vor und nach dem Einmarsch am 24. Februar 2022 zu weitreichenden Kompromissen bereit, etwa zur von Russland geforderten Neutralität unter Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft. Dennoch kam es zum Krieg, der letztendlich Konsequenzen hatte, die Russlands Sicherheitsinteressen entgegenlaufen: Finnland und Schweden haben die Nato-Mitgliedschaft beantragt, die Ukraine wird enger als zuvor in westliche Militärstrukturen eingebettet und Russland ist durch Sanktionen von wichtigen Schlüsseltechnologien abgeschnitten, was auch seinen militärisch-industriellen Komplex zurückwirft. Die Genese des Krieges könne man demnach nicht unter Rückgriff auf die vermeintlichen Sicherheitsinteressen Russlands verstehen. Die radikalisierte Sicht Putins, wonach die Ukraine ein künstliches Gebilde sei, und der herausgehobene Einfluss dieser Sicht durch die Personalisierung des Regimes, so Burkhardt, müssen zentrale Bestandteile der Erklärung des Angriffskriegs sein. Sein Fazit fällt konsequenterweise pessimistisch aus: Äußeren Frieden könne es nur durch einen internen Bruch mit dem System Putin geben.
Das bedeutet Burkhardt zufolge auch, dass man sich von dem Gedanken verabschieden könne, Putin sei womöglich das kleinere Übel im Vergleich zu Kommunisten oder Ultranationalisten. Schließlich sei es der vermeintlich „moderate“ Putin gewesen, der seine Armee gen Kyjiw marschieren ließ und nun ukrainische Wohnhäuser bombardiere.