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Die Erfindung der Sprachwaschmaschine

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Die Erfindung der Sprachwaschmaschine

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Geschrieben von Martin Krohs

Bei te.ma veröffentlicht 17.01.2023

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/5q5y-pk36

Geschrieben von Martin Krohs
Bei te.ma veröffentlicht 17.01.2023
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/5q5y-pk36

Soll durch Gendern & Co. unsere Sprache von allem Alten, Unguten, „Falschen“ gereinigt werden? Das gab es schon einmal, schreibt der Romanist und Sprachtheoretiker Jürgen Trabant: bei der Französischen Revolution. Sein aufschlussreicher historischer Vergleich, der auch den Umgang mit der Sprachgeschichte des Nationalsozialismus streift, bekommt aber nicht alle Aspekte der gegenwärtigen Sprachdebatte in den Blick.

Die Jakobiner nutzten die Terrorherrschaft als Mittel der Revolution und waren auch sprachpolitisch radikal: Sie unterdrückten nicht nur die alten Regionalsprachen wie Bretonisch, Katalanisch und Okzitanisch, sondern verfügten auch per Dekret, dass das Wort roi (König) durch tyran (Tyrann) ersetzt werden solle, die Woche zehn Tage habe – mit neuen Namen, selbstverständlich – und das Wörterbuch der Akademie in der geplanten Form nicht erscheinen könne. Bis auf die Vereinheitlichung der Landessprache hatte davon nichts Bestand.

Jürgen Trabant, leidenschaftlicher Verfechter europäischer Vielsprachigkeit, fragt in diesem Aufsatz: Wie kamen die französischen Revolutionäre überhaupt auf derartige Ideen? Und machen wir heute, wo wir das Sprechen wieder starken politischen Zielsetzungen unterwerfen, nicht etwas ganz Ähnliches?

Die Jakobinischen Intellektuellen, die, wie Trabant schreibt, „mehr oder weniger alle durch die Schule der eng­lischen Philosophie gegangen“ waren, bezogen ihre sprachkritischen Ideen von Francis Bacon, dem Gründervater der europäischen Aufklärung. Jener hatte einen Kampf gegen überkommene geistige Trugbilder („Idole“) aufgenommen, weil sie die Entfaltung der empirischen Wissenschaften behinderten. Als die schlimmsten unter ihnen betrachtete er die „falschen Wörter“. Denn die Wörter gebieten laut Bacon dem Denken, sie steuern es geradezu und müssen daher zunächst in Ordnung gebracht werden, bevor man in der Wahrheit leben kann.

Man erkennt hier ein Leitmotiv der gesamten Debatte um Sprachplanung und Sprachkorrektur und damit auch das Gendern: die Frage, ob die Wörter das Denken bestimmen (und dieses dann die soziale Realität) oder ob man auch mit suboptimalen Wörtern „richtig“ denken kann. 

Eine derart deterministische Auffassung wie Bacon würde heute niemand mehr vertreten, dennoch ist das Spektrum möglicher Positionen weit, und auch Jürgen Trabant lässt sich in ihm nicht ganz einfach verorten. Geprägt von Herder, Humboldt und Leibniz ist er nämlich sehr wohl der Ansicht, dass unterschiedliche Sprachen auch unterschiedliche Denkarten verkörpern – siehe etwa sein Aufsatz Was wissen wir, wenn wir eine Sprache können. Er sieht in dieser Vielfalt der Sprachwelten aber einen Wert an sich und würde sich jedem Bestreben nach der Schaffung einer idealen und allein richtigen Sprache entschieden entgegenstellen.

Entsprechend hält er auch nichts von der – seiner Auffassung nach – „totalitären Sprach-Wasch­maschine“, die beispielsweise das Wort Flüchtling durch geflüchtete Person zu ersetzen versucht, weil es tendenziell abschätzig klinge und an Eindringling und Emporkömmling erinnere. (Warum nicht an Liebling oder Zwilling, könnte man fragen?) Dass diese Sprach-Waschmaschine ausgerechnet in Deutschland derzeit mit solchem Nachdruck angeworfen werde, hat nach Trabant auch mit dem Nationalsozialismus zu tun.

In dieser Zeit des politischen Missbrauchs der Sprache hätten Wörter in Bacon’scher Art dem Denken ja tatsächlich „befehlen“ und es „von der Wahrheit oder einfach vom menschlichen Anstand abbringen“ können, wie Victor Klemperer in seiner Aufarbeitung der Lingua Tertii Imperii1 gezeigt habe. Man dürfe dies aber nicht auf die heutige Zeit übertragen: „Klemperers Sprachkritik ist analytische historische Semantik eines bestimm­ten Diskurses gewesen, keine politische Aktion zur Sprach-Reform.“

Trabants Polemik gegen die Sprachkorrektur ist epistemischer Art, sie stellt die Frage nach der „richtigen Erkenntnis“ in den Mittelpunkt, nach dem richtigen Verhältnis zwischen Sprache, Denken und Welt. Jeglicher Rigorismus ist für ihn da unangebracht, denn Sprache sei „eben nur eine der kognitiven Schichten des Menschen“, wir denken auch „eine ganze Menge über die Welt unterhalb der Wörter, nämlich in Gesten, Bildern, Tönen, Berührungen und anderen Zeichen. Und wir denken eine ganze Menge oberhalb der Spra­che, wenn wir in wissenschaftlichen Begriffen im Sprachspiel Wissenschaft sprechen.“

Mit dieser Fokussierung aufs Epistemische erfasst Trabant allerdings nur eine der verschiedenen Stoßrichtungen aktueller Bestrebungen zur Verbesserung des Sprachgebrauchs, eine andere entgeht ihm: diejenige der Kommunikation. In seinem Beitrag zu Political Correctness analysiert Frank Polzenhagen, dass die Kommunikationstheorien der 1960er bis 1980er die Anforderung des fairen und wertschätzenden sprachlichen Umgangs in die Diskussion über das angemessene Sprechen hineingebracht haben. Ihr wird nun versucht, Rechnung zu tragen, indem zum Beispiel Selbstbezeichnungen der Vorrang vor Fremdbezeichnungen eingeräumt wird, etwa bei Namen von Nationalstaaten („Belarus“ statt „Weißrussland“) oder beim Gebrauch der Pronomen: Wenn jemand auf eigenen Wunsch als „er“, „sie“ oder ganz ohne Pronomen angesprochen werden möchte, dann sollten wir als Kommunikationspartner dies auch tun.

Ist dies dann ein sprachrevolutionärer Akt, der, ähnlich den Radikalismen der Jakobiner, die letzten Reste einer alten Herrschaftsstruktur vom Tisch wischen (oder waschen?) soll? Oder handelt es sich eher um ein Gebot der Höflichkeit, das dem (post-)modernen Menschen zur zweiten Natur wird und sich in seinem Sprachgebrauch niederschlägt? Andererseits kann auch Höflichkeit in leere Euphemismen umschlagen, derer die Sprachgemeinschaft bald wieder leid werden könnte: Wohin die Reise mit der Sprache geht, lässt sich auch in der demokratischen Gesellschaft kaum vorhersagen.

Fußnoten
1

Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen. Aufbau-Verlag, Berlin 1947; Victor Klemperer: Die unbewältigte Sprache – LTI. Notizbuch eines Philologen. Joseph Melzer Verlag, Darmstadt, 1966.

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Die Jakobiner waren eine politische Gruppe während der Französischen Revolution, die mit extremen politischen Mitteln für die republikanischen Ideale und die Durchsetzung der Macht des Volkes eintraten. Maximilien de Robespierre als einer ihrer führenden Köpfe wollte die aufklärerischen Ideen von Jean-Jacques Rousseau umsetzen, indem er die Gegner der Republik vor die Wahl zwischen einer Änderung ihrer Überzeugungen und dem Tod durch die Guillotine stellte.

Im vorrevolutionären Frankreich wurde eine Vielzahl von Regionalsprachen gesprochen, die füreinander teils nicht verständlich waren. Die Revolutionäre vermuteten in ihrem Gebrauch unkontrollierbare Umtriebe des Ancien Régime und etablierten das Pariser Französisch als einheitliche Landessprache, das zugleich dem Aufbau einer republikanischen Nation dienen sollte.

Die Académie française ist eine französische Gelehrtengesellschaft, deren Aufgabe die „Vereinheitlichung und Pflege der französischen Sprache“ ist. Sie wurde 1685 gegründet und war eng mit dem französischen Hof verbunden, was ihre Arbeit in den Augen der Revolutionäre diskreditierte. Die Wörterbücher der Académie française werden bis heute im Abstand einiger Jahre oder Jahrzehnte herausgegeben und nehmen eine ähnliche Rolle wie der Duden in Deutschland ein.

Francis Bacon (1561–1626) war ein englischer Philosoph, Jurist und Politiker, der als Wegbereiter der empirischen Methoden, der Objektivität und des Experiments in den Naturwissenschaften gilt. In seinem Hauptwerk Novum organum scientiarum („Neues Werkzeug der Wissenschaften“) wendet er sich gegen vier Arten von Vorurteilen, „Trugbildern“, die den objektiven Erkenntnisprozess hemmen, von unkritisch übernommenen Traditionen bis zu Fehlschlüssen des Verstandes. Auch ein falscher, unreflektierter populärer Wortgebrauch – die „Trugbilder des Marktplatzes“ (Idola Fori) gehören zu diesen Erkenntnis-Hemmnissen, die überwunden werden müssen.

Als „deterministisch“ werden philosophische Auffassungen bezeichnet, die einem einzelnen Faktor einen unausweichlichen, bestimmenden Einfluss auf ein komplexes Geschehen zuschreiben – hier dem Wortgebrauch auf das Denken.

Victor Klemperer (1881–1960 in Dresden) war ein deutscher Literaturwissenschaftler und Romanist. Als zum Protestantismus konvertierter Jude verlebte er die Zeit des Nationalsozialismus unter Repressionen in Deutschland. Aus seinen Tagebuchnotizen entstand das „Notizbuch eines Philologen – Lingua Tertii Imperii (Sprache des Dritten Reichs)“, in dem er analysiert, wie der offizielle Sprachgebrauch des Nationalsozialismus den Sinn der Wörter pervertierte und zu Verschleierung von Verbrechen und Gewalt gebraucht wurde.

„Epistemisch“ bedeutet „auf die Erkenntnis bezogen“ (von gr. episteme – Erkenntnis, Wissen, Wissenschaft). Ein philosophischer Gegenbegriff wäre zum Beispiel „praktisch“ (aufs Handeln bezogen).

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