Curator's Cut, 07 Sep 2023

Selbstfindung? Die EU als Imperium

Das 21. Jahrhundert erlebt ein imperiales Revival. Jedoch gehört für die Europäische Union, anders als für die USA, China oder Russland, das Imperiale nicht zum politischen Selbstverständnis. Wird sich das durch die gegenwärtigen Krisen ändern?

Umbruch | Krieg | Europa

In Krisen, zumal den kriegerischen, mangelt es nicht an großen politischen Erzählungen. Europas Politiker, Intellektuelle und Kommentatoren machen da keine Ausnahme. Der russische Angriff auf die Ukraine fordere die EU heraus, heißt es, geopolitisch, wirtschaftlich, aber auch moralisch. Optimistische Stimmen sehen darin – wie bei jeder Krise nach dem Zweiten Weltkrieg – für das europäische Projekt zugleich die Chance, den nächsten notwendigen Integrationsschritt zu gehen.  

In Anbetracht des langen Krisenjahrzehnts, in dem sich die EU seit 2008 befindet, stellt sich die Frage: Worin soll eigentlich dieser Schritt bestehen? Die Meistererzählungen der EU als Friedens-, Krisen-, Wirtschafts- oder Verrechtlichungsprojekt bieten mittlerweile nur noch wenig Orientierung, wurden sie doch mit der Finanz-, Euro-, Migrations- und nun der Ukraine-Krise schwer erschüttert. 

Aber eine politische Gemeinschaft wird nicht nur durch ihre offiziellen Erzählungen bestimmt. Oft ist es gerade das Unausgesprochene und dennoch Offensichtliche, das sich in Krisen Bahn bricht. Es gerinnt zu Begriffen und wird schließlich Politik. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat einmal mehr verdeutlicht, dass es ein „politisch Unbewusstes“ gibt, das die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Europas miteinander verbindet.1 Und in ihm schwingen die imperialen Fragen des alten Europas mit – nach der „richtigen“ europäischen Ordnung und den Grenzen des eigenen Herrschaftsmodells.

Spätestens mit der Osterweiterung der EU 2004, dem Kyjiwer Euromaidan 2013/14 und dem russischen Krieg gegen die Ukraine seit 2022 erscheinen die imperialen Selbsterinnerungen Europas in einem neuen Licht und fordern Antworten der Gegenwart: Muss die EU nun ebenfalls zu einem Imperium werden? War sie es vielleicht schon immer? Und kann sie es überhaupt sein?

Verdrängte Imperialität

Europäische Politiker reagieren auf diese Fragen instinktiv mit defensiver Rhetorik. So war das Plädoyer der 2019 eingesetzten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für eine „geopolitische Kommission“ weniger ein Programm zur pro-aktiven Ausgestaltung der europäischen Politik als vielmehr der Versuch einer Reaktion auf die zahlreichen Krisen (der globalen „Polykrise“, wie es der Historiker Adam Tooze ausdrückt), denen die Union gegenübersteht. Auch als der ehemalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso 2007 die politische Strahlkraft der Union herausstellte, kam er nicht umhin, die EU als „nicht-imperiales Imperium“ zu bezeichnen. Barrosos Einlassung, aus der die Verwunderung über die eigene Erkenntnis sprach, zog zweierlei Reaktionen auf sich: Die einen kritisierten seinen Größenwahn, andere die Widersprüchlichkeit und damit die Unbrauchbarkeit der Aussage.

Stimmen, die sich positiv über die Idee eines imperialen Europas auslassen, sind rar. Jemand wie Guy Verhofstadt, das Sprachrohr der liberalen Fraktion im EU-Parlament, steht mehr oder weniger allein auf weiter Flur: Ihm zufolge zeige sich im 21. Jahrhundert immer deutlicher, dass „die Weltordnung von morgen auf Imperien beruht“ – die Gesellschaften der EU könnten „ihren Lebensstil nur verteidigen, wenn sie dies gemeinsam in einem europäischen Rahmen tun“. Bedenkt man, dass im Jahr 2050 40 Prozent der Weltbevölkerung in lediglich vier Herrschaftsgebieten – Indien, China, die USA und die EU – leben werden, ist diese Aussage nicht vollkommen unplausibel.2

„Das Label des Imperialen löst selbst bei Befürwortern einer umfassenden EU-Integration meist nur ablehnendes Kopfschütteln aus.“

Das Label des Imperialen löst jedoch selbst bei Befürwortern einer umfassenden EU-Integration meist nur ablehnendes Kopfschütteln aus. „Die Europäer“, brachte es Timothy Garton Ash jüngst in einem aufsehenerregenden Artikel für Foreign Affairs auf den Punkt, „sind es nicht gewohnt, sich selbst durch die Linse des Imperiums zu betrachten“.3 Denn ist die „normative Macht EU“ nicht gerade gegen die expansiven Machtambitionen von Diktatoren, das Recht des Stärkeren und die rücksichtslose Militarisierung von Politik entworfen worden?4 Ist die Bezeichnung der EU als Imperium in Zeiten eines militaristischen Neo-Imperialismus in Russland nicht geradezu absurd? Schließlich war es ja auch kein Druck der Selbstverteidigung, keine „Brüsseler Armee“, die die Mitgliedstaaten zu einer supranationalen Union formte, sondern die legitime Entscheidung demokratisch gewählter Regierungen in Friedenszeiten, wie es der Princeton-Professor Andrew Moravcsik in seinem Standardwerk zur EU-Integration beschreibt.5 Die klassischen Bedingungen von Nation-Building und Imperiumsbildung werden von der EU sicher nicht erfüllt.

Die Gegenwart des Imperialen in Europa

Andererseits ist die Idee, die EU als Imperium zu begreifen, auch nicht erst heute aufgekommen.6 Interessanterweise erhielten entsprechende Diskussionen jedoch erst mit der Erweiterung der EU in das östliche Europa Auftrieb. Weder 1973, als Großbritannien, Irland oder Dänemark der Union beitraten, noch mit der Aufnahme Griechenlands 1981 oder Spaniens und Portugals 1986 spielte das Imperiale in der europäischen Öffentlichkeit eine große Rolle.7 Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine seit Februar 2022 ist es nun erneut der Osten Europas, der, in Antwort auf die neo-imperiale russische Bedrohung, die EU mit der Frage konfrontiert, ob und wie imperial sie ist oder sein sollte. 

Schaut man auf die Geschichts- und Sozialwissenschaften, so scheinen sie weniger Hemmungen zu haben als die Politik, die EU imperial zu denken. Sie korrigieren die weitverbreitete Vorstellung, das Modell der supranationalen Union sei eine Antithese zum Imperialen. Denn weder handelt es sich bei Imperien notwendigerweise um kriegführende Gebilde der autokratischen Rechtlosigkeit.8 Noch lässt die nach wie vor vorhandene Strahlkraft europäischer Demokratien und ihrer Ökonomien den Schluss zu, Europa sei frei von imperialen Tiefenstrukturen.9 Imperien sind, historisch und sozialwissenschaftlich betrachtet, erst einmal nichts anderes als größere territoriale Gebilde mit globalem militärischen, ökonomischen und diplomatischen Einfluss, in dem ein Herrschaftszentrum einer Reihe von formal souveränen oder autonomen Akteuren Beschränkungen auferlegt.10

„Die Geschichts- und Sozialwissenschaften korrigieren die Vorstellung, das Modell der supranationalen Union sei eine Antithese zum Imperialen. “

In der Regel werden in der Forschung drei Faktoren genannt, die die Bezeichnung eines „Imperiums EU“ rechtfertigen. Erstens habe sich in der EU ein Zentrum-Peripherie-Modell etabliert, in dem es zu starken Gefällen in der Verteilung von Macht, ökonomischen Ressourcen und Rechten zwischen den „alten“ europäischen Kernländern und den Mitgliedern im Westen, Süden und vor allem Osten komme.11 Die zurzeit diskutierte Aufnahme der vergleichsweise armen Länder Ukraine, Moldau und Georgien dürfte diese Unterschiede weiter wachsen lassen. Zweitens offenbare der Vergleich zwischen der EU-Politik der Konditionalität und klassischen imperialen Instrumenten der Expansion überraschende Ähnlichkeiten: Die eigenen Grenzen würden ständig erweitert und das Herrschaftsmodell in neue, aus Sicht des Zentrums periphere Regionen getragen.12

Damit eng verknüpft ist, drittens, ein selbstbewusst vorgetragener Diskurs europäischer Zivilisation, die es in die Welt zu tragen gelte.13 Dabei ist verblüffend, wie die heutige Diskussion um die Bedingungen einer EU-Mitgliedschaft den Debatten des 19. Jahrhunderts um einen europäischen „Zivilisationsstandard“ ähneln.14 Damals gingen sie freilich nicht mit der Figur unveräußerlicher Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einher, sondern mit einer kolonialen Logik ethnischer Unterschiede und als legitim verstandenen Ausbeutung nicht-europäischer Völker.15 Insbesondere die Politik der EU im östlichen Europa, gegenüber dem die Union ihre zivilisatorische, Frieden und Wohlstand bringende Mission besonders offen formuliert, wird daher von kritischen Beobachtern als „verleugnetes Imperium“ bezeichnet.16 

Ungleiche imperiale Revivals

Akzeptiert man die These der imperialen Selbstleugnung Europas, so stellt man fest, dass es sich dabei global gesehen um eine Ausnahme handelt. Denn tatsächlich erlebt das 21. Jahrhundert ein überraschendes imperiales Revival, das allerdings besser als durch den Begriff des „Imperiums“ oder des „Imperialismus“ durch den der „Imperialität“ auf den Punkt gebracht werden kann. Imperialität betont weniger territoriale Konstellationen und Expansion, sondern politisch und gesellschaftlich wirkmächtige imperiale Denkmuster und historische Präfigurationen, „die es zu erfüllen“ gelte.17 Heute kommen solche imperialen Ansprüche meist ohne faktisches Imperium oder „erfolgreiche“ imperialistische Eroberungskriege aus.

Die aktuellen imperialen Projekte zeigen eine erstaunliche Bandbreite: Ihr Selbstverständnis reicht von der US-amerikanischen „indispensable nation“ über das chinesische „Reich unter der Sonne“ bis zur „russischen Welt“. Die USA etwa haben seit dem 19. Jahrhundert einen stetigen Aufstieg zur demokratischen und kapitalistischen Weltmacht hingelegt. Postmarxistische Autoren wie Michael Hardt und Antonio Negri bezeichnen diese Entwicklung als „empire of capital“, das Imperium des Kapitals.18 Zwar verfügen die USA über mehrere Hundert Militärbasen weltweit, ihre bereits 150 Jahre andauernde lineare Imperialität beruht jedoch nicht auf klassischen Eroberungskriegen. Im Gegenteil: Die verlorenen Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts in Vietnam, Afghanistan und dem Irak haben den USA großen Schaden zugefügt. Stattdessen bedient sich die US-amerikanische Außenpolitik gleichzeitig harter und weicher Mechanismen zur Herstellung ihrer globalen Hegemonie. Und: Trotz massiver innenpolitischer Verwerfungen in den vergangenen Jahren handelt es sich dabei nach wie vor um ein demokratisches Imperium.19

„Die imperiale Selbstleugnung Europas ist global betrachtet eine Ausnahme.“

Demgegenüber steht die zyklische Imperialität Chinas, die heute mit den globalen Ambitionen der USA zu kollidieren scheint.20 Dass das chinesische Selbstverständnis imperial ist, lässt sich nicht bezweifeln. Gleichzeitig finden sich in der Geschichte Chinas zahlreiche Pendelbewegungen, von der jahrtausendealten Hochzivilisation zum kolonialen Objekt des europäischen Kolonialismus bis zum erneuten Aufstieg zu globaler wirtschaftlicher und politischer Geltung seit den 1970er Jahren. Noch stärker als im US-amerikanischen Fall, wo der globale Gestaltungsanspruch zum festen Bestandteil der politischen Kultur geworden ist, untermauert ein über Jahrhunderte angereichertes philosophisches Denkgebäude das Selbstverständnis als wohlwollendes Imperium.21

Das Russland Wladimir Putins schließlich verfügt im Gegensatz zu den USA oder China (sowie der untergegangenen Sowjetunion) über kein Wirtschaftsmodell, das regionale oder globale Attraktivität ausstrahlt. Projekte wie die Eurasische Wirtschaftsunion (EWU) oder die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) schaffen es nicht, die vom Kreml anvisierte Hegemonie gegenüber den Nachbarn aufrechtzuerhalten. Um diesen Mangel zu kompensieren, greift der russische Staat zur Untermauerung seiner Ambitionen auf militärische Machtmittel zurück. Der Krieg gegen die Ukraine seit März 2014 bzw. Februar 2022 zeigt, dass Russland in einer regressiven Post-Imperialität gefangen ist.22 Das imperiale Syndrom, wie es der russische Historiker Emil Pain formuliert, besteht ohne Chance auf Verwirklichung in einem aggressiven russischen Nationalismus fort.23

Was ein „Imperium EU“ bedeuten würde

Was das europäische Projekt angeht, so unterscheidet es sich in vielerlei Hinsicht von diesen imperialen Mitbewerbern. Ein Punkt sticht besonders hervor: Die EU ist sowohl ideologisch als auch territorial deutlich unabgeschlossener als andere Imperien.24 Wie der Politikwissenschaftler Gary Marks treffend beobachtet hat, ist das „Friedensprojekt EU“ nicht auf der Suche nach einem aus der Vergangenheit konstruierten Endzustand imperialer Größe. Die Expansion der EU ist vielmehr getrieben von einem vergleichsweise abstrakten Anliegen – so die Eigenwahrnehmung – der demokratischen, selbstbestimmten und friedlichen europäischen Einigung. Die finalen Grenzen und die institutionelle Ausgestaltung dieses Prozesses lassen sich nicht konkret benennen.25 Im Gegenteil scheinen das Improvisieren und die permanente Anpassung zur DNA der Union zu gehören.26

Die EU selbst hadert daher mit der Anerkennung ihres eigenen imperialen Unterbaus – und erst recht mit Versuchen, auf diesem politisch zu agieren. Gleichzeitig deuten aber die Debatten um eine strategische Autonomie, eine entschiedenere Erweiterungspolitik sowie Reformen hin zu einer Straffung von Entscheidungsprozessen auf eine faktische Imperiumswerdung hin: Gelingen der EU in den kommenden Jahren diese Vorhaben, würde sie handlungsfähiger, expansiver und globaler. Kurzum: imperialer.

Ein selbstbewusstes „Imperium EU“ hätte weitgehende Konsequenzen sowohl für die europäische Innenpolitik als auch für die internationalen Beziehungen. Drei Problemfelder, auf denen die EU bereits jetzt großem Druck und immenser Kritik ausgesetzt ist, würden verstärkt in den Fokus geraten: die demokratische Verfasstheit der Union, das Verhältnis zwischen großen und weniger mächtigen Staaten sowie die Positionierung der EU in einer multipolaren Welt.

„Gelingen der EU in den kommenden Jahren ihre Reformvorhaben, würde sie handlungsfähiger, expansiver und globaler. Kurzum: imperialer.“

Demokratie. Die häufigste und sicherlich schärfste Kritik an der EU seit Beginn des andauernden Krisenjahrzehnts seit 2008 lautet, dass sie technokratisch sei und sich nur in Krisen auf undemokratische Art und Weise weiterentwickeln könne.27 Wäre es angesichts eines solchen Demokratiedefizits überhaupt möglich, ein zukünftiges  „Imperium EU“ demokratisch zu steuern?28

Eine Möglichkeit, gemäß dem Motto „zurück in die Zukunft“, besteht sicherlich darin, den demokratischen Prozess auf die Ebene der Nationalstaaten zurückzuverlagern.29 Manche Autoren schlagen hingegen die Stärkung demokratischer Verfahren jenseits des Parlamentarismus vor. Beispiele wären die Instrumente der Anhörung, Anfechtung, Verrechtlichung und Beratung, die an frühere imperiale Mechanismen des Interessenausgleichs erinnern. Die auch von Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeschlagene Reform von Entscheidungsprozessen, die mit einer Zentralisierung der EU einhergehen würde, könnte damit zumindest teilweise ausbalanciert werden. Zweifellos müsste ein demokratisches „Imperium EU“ aber mit einem Spannungsverhältnis umgehen lernen: Die in den Mitgliedstaaten über Jahrzehnte eingeübte parlamentarisch-repräsentative Demokratie stünde einer europäischen Anhörungsdemokratie entgegen. Möglicherweise liegen hier aber auch neue Chancen für europaweite politische Teilhabe.30

Zentrum vs. Peripherie. Ein „Imperium EU“ würde darüber hinaus noch mehr als bisher verlangen, auf die wachsende Kluft zwischen starken und schwachen, zentralen und peripheren Mitgliedstaaten einzugehen. Hierzu reicht es nicht, wie dies Deutschland in den europäischen Wirtschaftskrisen der vergangenen Jahre zum Leid vor allem südeuropäischer Mitgliedstaaten gefordert hat, auf die „harten“ Regeln der europäischen Verträge zu pochen.31

Stattdessen würde das Regieren einer zunehmend größeren und damit auch komplexeren EU eine Mischung aus harten und weichen Mechanismen – sprich: einen „prinzipiengeleiteten Pragmatismus“ – erfordern.32 Bereits seit einiger Zeit wird daher die Idee einer „differenzierten Integration“ diskutiert, die verschiedene Geschwindigkeiten und Tiefen der europäischen Integration erlaubt, gleichzeitig aber auch den gemeinsamen Rechtsrahmen aufweichen würde.

Kritiker sehen darin die Gefahr, dass die EU unregierbar wird. Andererseits offenbart der Blick in die Geschichte europäischer Imperialität auch Vorzüge einer größeren Flexibilität. Das Heilige Römische Reich (962-1806) mit seiner immerhin 900-jährigen Stabilität zeigt, dass sich divergierende Interessen, Konsensbildung und die internationalen Herausforderungen imperialer Herrschaft nicht notwendigerweise ausschließen.33 Allerdings wird die flexible, den jeweiligen Herausforderungen der Zeit angemessene Handhabung der eigenen Regeln von vielen in Europa immer noch als Abweichung von der Norm und nicht als Norm selbst verstanden.

Multipolare Welt. Laut einer repräsentativen Umfrage des European Council on Foreign Relations (ECFR) im April 2023 wünscht sich eine Mehrheit der Europäer im Falle eines Krieges zwischen den USA und China um Taiwan, dass die EU neutral bliebe. Die Befragung ergab auch Mehrheiten für eine EU, die China als Partner behält und begrenzte Kontakte nach Russland pflegt sowie militärisch nicht ausschließlich auf die USA angewiesen und strategisch autonom ist. Die Ergebnisse der Befragung verweisen auf einen interessanten Zusammenhang: Will das „Imperium EU“ demokratisch legitim sein, muss es eine eigenständige Politik auf der globalen Bühne entwickeln.

Diese Eigenständigkeit wird derzeit in drei Richtungen gedacht und kontrovers diskutiert. Zum einen arbeitet die EU aktiv an ihrer strategischen Autonomie, also einer größeren Selbständigkeit in außenpolitischer und nicht zuletzt wirtschaftlicher Hinsicht. Eine solche Autonomie verlangt, zweitens, auch eine selbstbewusste Gestaltung der Beziehungen zu den USA. Vor allem muss die EU für sich festlegen, wie sehr sie sich selbst in der China-Frage der Politik des maximalen Drucks der USA anschließen und letztendlich unterordnen will.34 Damit ist auch die dritte Kontroverse markiert: die zukünftigen Beziehungen der Union mit China.35 Wie eigenständig die EU und ihre Mitgliedstaaten zukünftig ihre wirtschaftliche und politische Verflechtung mit der Volksrepublik gestalten, wird maßgeblich über das Gewicht Europas in einer zunehmend multipolaren Welt entscheiden.

„Im Zentrum der Diskussion um die zukünftige Ordnung Europas steht erneut die „deutsche Frage“.“

Der sprichwörtliche „Motor der europäischen Integration“, das deutsch-französische Tandem, scheint sich derzeit kaum in Richtung einer Realisierung moderner, demokratischer europäischer Imperialität zu drehen. Zwar hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seit 2018 mehrmals weitreichende EU-Reformen angemahnt. Vor allem in Berlin überwiegen jedoch die Stimmen der Zweifler und die Angst vor der eigenen Bevölkerung. Statt eine tiefere Integration als Zukunftsprojekt auf die politische Tagesordnung zu setzen, gibt man dem resignierenden und nationalistischen Zeitgeist nach. 

Im Zentrum der Diskussion um die zukünftige Ordnung Europas steht demnach erneut die „deutsche Frage“.36 Trotz multipler Krisen scheint die Diagnose des Politikwissenschaftlers James Heartfield immer noch zuzutreffen: Die EU ist ein Prozess ohne Subjekt, ein Rechtsrahmen ohne Visionäre und Vision.37 Will das „Imperium EU“ eine Zukunft haben, muss es dieses Subjekt finden.


Sebastian Hoppe ist Fachkurator des Themenkanals Umbruch | Krieg | Europa und forscht am SCRIPTS Cluster of Excellence der Freien Universität Berlin zur politischen Ökonomie regionaler Entwicklung in Russland, sozialen und politischen Konflikten in post-sozialistischen Gesellschaften sowie zur Historischen Soziologie internationaler Politik.

Fußnoten
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Wolfgang Streeck: Zwischen Globalismus und Demokratie. Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus. Suhrkamp, Berlin 2021, ISBN 9783518766279 .

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Dabei waren es Deutschland und Frankreich, die selbst regelmäßig die sog. Stabilitätskriterien des Euro gebrochen haben, wofür sie mehrere sog. blaue Briefe aus Brüssel erhielten. Zu den problematischen Konsequenzen der deutschen Position für die europäische Integration siehe Ulrich Beck: Das deutsche Europa. Neue Machtlandschaften im Zeichen der Krise. Suhrkamp, Berlin 2012, ISBN 9783518062869 .

Erik Jones: Europe's Tragic Political Economy. In: Current History. Band 114, Nr. 770, 2015, S. 83–88. https://www.jstor.org/stable/45319286 

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Die Idee des prinzipiengeleiteten Pragmatismus wurde von der EU 2016 in ihrem Strategiepapier „Shared Vision, Common Action: A Stronger Europe“ eingeführt. Sie betont die gleichwertige Bedeutung von Interessen und Werten und bildet einen Grundpfeiler des außenpolitischen Handelns der EU.

Unter „normativer Macht Europa“ („normative power Europe“) wird in der EU-Forschung diskutiert, ob die Union nach innen und außen vor allem auf der Verteidigung und Verbreitung von Normen und Werten beruht. Die Vorstellung einer wertebasierten Union soll auch eine Abgrenzung zu anderen Staaten, Imperien und Herrschaftsformen markieren, die, so das Argument, vor allem auf harten Machtinstrumenten basieren.

Die sog. „deutsche Frage“ kam erstmals zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf. 1806 endete das Heilige Römische Reich (962-1806) und es begann eine Phase, in der vor allem Kleinstaaten die internationale Politik in Europa dominierten. Bis 1990 wurde die Frage der deutschen Wiedervereinigung immer wieder als „deutsche Frage“ diskutiert. Seit 1990 taucht die „deutsche Frage“ hingegen regelmäßig in Auseinandersetzungen um notwendige Reformen im Zuge der europäischen Integration auf. In diesem Kontext geht es allerdings nicht mehr um die deutsche Wiedervereinigung, sondern um deutsche Führung und Dominanz innerhalb Europas.

Das Heilige Römische Reich (HRR) bestand von 962 bis 1806 und umfasste mehrere, sich im Laufe der Zeit verändernde autonome Herrschaftsgebiete. Ab dem späten 15. Jahrhundert wurde es auch als Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation bezeichnet. Das HRR war eine Monarchie, die über Stände organisiert war und als Herrschaftsverband nur über wenige gemeinsame Institutionen verfügte.

Technokratie bezeichnet eine Herrschaftsform, die davon ausgeht, dass eine Gesellschaft durch den Rückgriff auf wissenschaftliches und technisches Wissen regiert und verwaltet werden kann. Technokratie richtet sich somit gegen eine Vorstellung von Politik, die auf Interessen und Ideologie beruht.

Multipolarität ist ein Konzept der Internationalen Beziehungen, das davon ausgeht, das die Weltpolitik vor allem durch mehrere Pole, meist mächtige Staaten, gestaltet wird. Multipolarität grenzt sich von zwei anderen Formen der Polarität ab: In einem unipolaren System dominiert ein Staat alle anderen, während sich in einer bipolaren Konstellation vor allem zwei große Staaten gegenüberstehen.

Unter dem Begriff der strategischen Autonomie wird insbesondere die Fähigkeit der EU diskutiert, eigene außen- und wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Die strategische Autonomie Europas war seit dem Beginn des europäischen Einigungsprozesses nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-45) unter verschiedenen Bezeichnungen immer wieder Gegenstand kontroverser Debatten. Sie hat aber insbesondere mit dem Brexit-Votum und der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA (beides 2016) an Kontur gewonnen.

Bei der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) handelt es sich um ein im Jahr 2002 gegründetes Militärbündnis. Es wird von Russland angeführt und umfasst mit Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan mehrere ehemalige Sowjetrepubliken. Ehemalige Mitglieder sind Aserbaidschan, Georgien und Usbekistan.

Die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) ist eine supranationale Organisation, die vor allem einen Binnenmarkt und eine Zollunion zwischen den Mitgliedsstaaten Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Armenien erreichen will. Sie wurde 2015 gegründet und vertiefte die zuvor bestehende Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft.

Unter Hegemonie versteht man die Vorherrschaft eines Akteurs oder einer Institution in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. Hegemonie wird dabei nicht nur mit harten, sondern auch indirekten Herrschaftsmitteln erreicht und ist auf den Konsens der Beherrschten angewiesen.

Supranationalismus bezeichnet ein Prinzip von Herrschaft, bei dem die Autorität über Entscheidungen eine Ebene über den Nationalstaaten liegt. Üblicherweise, wie im Fall der EU, wird diese Autorität von einer Organisation oder einem Set von Institutionen ausgeübt.

Als Euromaidan bezeichnet man die Proteste, die von November 2013 bis Februar 2014 auf dem zentralen Platz von Kyjiw, dem Maidan Nesaleschnosti, stattfanden. Auslöser der Proteste war, dass der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch ein mit der EU ausgehandeltes Assoziierungsabkommen entgegen vorheriger Ankündigungen nicht unterzeichnen und stattdessen einen umfangreichen Kredit aus Russland annehmen wollte. Die Proteste führten schließlich zur Flucht Janukowytschs und der Einsetzung einer neuen Übergangsregierung.

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